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       # taz.de -- Die Wahrheit: An der flüssigsten Front des Terrors
       
       > Helden wie Polizeioberinspektor Grabowski beschützen die verunsicherte
       > Bevölkerung vor feigen Anschlägen – auch am Glühweinstand.
       
       Die Spannung knistert wie ein Tannenzapfen im Kaminfeuer, als dem bereits
       sanft delirierenden Polizeioberinspektor Bodo Grabowski der Pokal mit dem
       Glühwein angereicht wird. Doch obwohl sich die Besucher des in Berlin
       weltgrößten Weihnachtsmarktes zwischen Jannowitzbrücke und Alexanderplatz
       in lautstarken „Vivat!“- und „Prost!“-Rufen ergehen, sinkt Grabowskis Kinn
       immer wieder kraftlos auf seine Brust. Erst als PKA Scheunitz seinen Chef
       mit Riechsalz traktiert, kommt wieder Leben in den Leiter der Soko
       „Glühwein“.
       
       Denn es obliegt allein diesem wackeren Polizisten, der feinsten Spürnase,
       die das Landeskriminalamt Berlin aufzubieten hat, jede neue Charge Glühwein
       auf terroristische Umtriebe zu überprüfen. Derzeit harren rund 17.000
       Hektoliter halbseidenster Kreszenzen aus EU- und Nicht-EU-Ländern in
       verrosteten Stahltanks veredelt, mit leckeren natur-identischen
       Aromastoffen, Gewürzresiduen und Frostschutzmitteln versetzt, ihres
       Einsatzes auf einem der zahllosen Berliner Weihnachtsmärkte.
       
       Und seit sich die Hinweise auf einen salafistischen Anschlag verdichtet
       haben, müssen sämtliche Posten von Bodo Grabowski persönlich verkostet
       werden, den seine Kollegen wegen seiner divenhaften, aber genialischen
       Persönlichkeit nur „die Grabo“ nennen.
       
       „Wir haben ein vollkommen vernuscheltes Telefongespräch zwischen zwei
       IS-Kämpfern abgehört, die dem Glühwein auf deutschen Weihnachtsmärkten
       attestierten, voll in die Rübe zu knallen“, erzählte uns „die Grabo“ heute
       morgen, als man ihn noch halbwegs verstehen konnte. „Das ist natürlich
       Terror-Code, der auf einen Anschlag hindeutet. Aber wenn ich es nicht
       besser wüsste, würde ich sagen, die Typen waren einfach rotzevoll.“
       
       Der joviale Beamte hatte sich zu Dienstbeginn beidhändig eine
       Frühstücksration Alka-Seltzer in den Rachen geworfen, dann lud er uns ein,
       ihn zu seinem ersten Einsatz in einen Kindergarten in Dahlem zu begleiten,
       wo ein Kinderpunsch auf Basis von Pastinaken- und Sauerkrautsaft wegen
       seiner üblen Ausdünstungen Verdacht erregt hatte. „Ein absolutes
       Teufelszeug, aber kein Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung“, hatte
       der Experte routiniert geurteilt, das Gebräu aber sicherheitshalber
       kontrolliert zur Explosion gebracht.
       
       ## Gaumen im Härtetest
       
       Seitdem hat Grabowski Weihnachtsmärkte in zwölf verschiedenen Kiezen
       besucht und dabei 79 verschiedene Weinmischgetränke, Punsche und Bowlen
       verkostet. Von Adventsbasaren in Altenheimen bis Xmas-Afterworkpartys in
       Großraumdiskotheken hat „Berlins härtester Gaumen“ (BZ) keinen Ort
       ausgelassen, an dem aufgezuckerter Fusel ausgeschenkt wird.
       
       Seit Tagen schiebt „die Grabo“ nun schon Überstunden an dieser flüssigsten
       Front im Kampf gegen den Terror. Die übermenschlichen Strapazen haben
       Spuren in sein teigiges Gesicht gefressen, fingerdick steht Alkoholschweiß
       auf seiner Stirn oder versickert in den erbsengroßen Poren seiner Wangen.
       Das pulsierende Adergeflecht auf der Nase scheint jeden Moment zu platzen,
       doch Grabowski steht seinen Mann, von gelegentlichen Ausfallschritten
       einmal abgesehen. Ein stiller Held der Exekutive, der kein Jota vor dem
       Terror zurückweicht, auch wenn er schon bedenklich Schlagseite hat.
       
       Eine besonders brenzlige Situation verpuffte er nur Stunden zuvor
       leichthändig in einem Café in Neukölln, wo der IS eine Feuerzangenbowle mit
       Napalm versetzt haben sollte, das sich letztlich als Craft-Schnaps mit
       Aroma-Terpentin entpuppte. „Geschmacklich ist das nur schwer zu
       unterscheiden, Napalm ist im Abgang vielleicht etwas weicher und insgesamt
       bekömmlicher“, analysierte kornklar der Leiter der Soko „Glühwein“, die
       neben Grabowski selber nur aus PKA Scheunitz und einem blauen Eimerchen für
       den Notfall besteht.
       
       ## Nur Nuancen zwischen tödlich und handelsüblich
       
       Zunächst hatte man in Berlin die Expertise chemischer Labore bemüht, doch
       waren die Weißkittel mit ihrem Latein schnell am Ende gewesen.
       „Naturwissenschaftlich gesehen besteht kein Unterschied zwischen chemischem
       Kampfstoff und Glühwein“, erklärte Grabowksi beim nächsten Termin in
       Charlottenburg zwischen einem Met-Derivat mit Apfel-Cranberry-Flavour und
       einem überhitzten Chardonnay-Prosecco-Litschi-Substrat. „Die ganz feinen
       Nuancen zwischen tödlich und handelsüblich kann nur eine geübte Zunge
       herausschmecken.“
       
       Und die eben besitzt Bodo Grabowski, der Berliner Mi-chelangelo der
       Glühweindegustation, dessen Personalakte sich liest wie der Lebenslauf
       eines verkannten Genies im gehobenen Dienst: Suspendierungen lösten sich
       mit Krankmeldungen ab, bis Psychologen und Amtsärzte endgültig
       kapitulierten. Nach einer Wette im Rahmen einer Fahrzeugkontrolle, die
       Grabowski mit sattem Promillevorsprung (4,8) gegen den Verkehrsteilnehmer
       (2,3) gewann, hatte man ihn gar als subalterne Trittleiter in der
       Asservatenkammer beerdigt, nur die Ernennung zum Leiter der Soko rettete
       ihm noch die volle Beamtenpension.
       
       ## Scheinbar ungerührt
       
       Mittlerweile wird der unerschrockene Polizeioberinspektor jedoch gefeiert
       wie ein Messias. Die Politik hofiert ihn, weil der Vorkoster den
       verängstigten Massen das Vertrauen in ihre Weihnachtsmärkte zurückgegeben
       hat, die nach den Skandalen in der Automobilbranche als allerletzte Stütze
       der deutschen Wirtschaft gelten. Und das Volk jubelt ihm zu, weil er einer
       der ihren ist: ein einfacher, strunzbesoffener Arbeiter im Weinberg des
       Herrn.
       
       Und „die Grabo“ weiß, was er seinen Fans schuldig ist, die ihm vor der
       endzeitlich öden Kulisse des Einkaufszentrums Alexa bei seinem Flirt mit
       dem Tod zusehen. Es ist der letzte, wenn auch größte Einsatz dieses Tages.
       Kaum ist Grabowski wieder zur Besinnung gekommen, lässt er sich scheinbar
       ungerührt den womöglich todbringenden Schierlingsbecher reichen, bekommt
       ihn aber erst beim dritten Versuch zu fassen und lässt ihn dann erheblich
       pladdernd unter seinem mächtigen Riechkolben kreisen.
       
       Ein Raunen geht durch die Menge und Tausende Weihnachtsmarktbesucher
       verfolgen gebannt, wie „die Grabo“ den geäderten Rüssel kraus zieht und
       Witterung aufnimmt.
       
       ## In schwerer Schockstarre
       
       Dann schließt er die Augen, wirft den Kopf in den Nacken, klappt den
       Unterkiefer herunter, lässt die tanninverkrustete Zunge hervorschnellen und
       den Sud in seine schrundige Kehle rinnen. Stille liegt über dem Platz, bis
       sich Grabowskis Magen mit leisem Grummeln meldet. Ein Zucken geht durch
       seinen aufgedunsenen Körper, wild schlagen Arme und Beine aus. PKA
       Scheunitz will seinem Chef abermals zu Hilfe eilen, doch nach einem letzten
       Aufbäumen sackt Grabowski wie tödlich getroffen in sich zusammen.
       
       Ist dies der befürchtete Anschlag? Hat der IS nun auch diese stolze Bastion
       westlicher Leberwerte geschleift? Männer beginnen zu weinen, Frauen legen
       ohne Not Kunsthandwerksartikel beiseite und Kinder fallen in tiefe
       Ohnmacht. Manche hören sogar auf zu quengeln.
       
       Doch in die Schockstarre meldet sich eine Stimme, kaum verständlich
       lallend, aber doch so hoffnungsvoll wie die frohe Botschaft des
       Evangeliums. „Eins a“, attestiert Grabowski hochzufrieden, der Rest geht im
       Jubel unter.
       
       5 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
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