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       # taz.de -- Alternativer Fußballclub in Schweden: Die anderen Profis
       
       > Die Spieler von Östersund FK tanzen Ballett, spielen Theater und
       > veranstalten einen Lesezirkel. Jetzt ist der Aufstieg in die Erste Liga
       > geglückt.
       
   IMG Bild: Zum Repertoire des Fußballvereins gehört auch „Schwanensee“
       
       Stockholm taz | Die Vorstellung im Storsjö-Theater beginnt mit einem
       Videoclip. „Das ist der erste Klub, bei dem ich spiele, der so einzigartige
       Sachen macht. Viele sagen ja, wir sind verrückt. Aber ich mag es“, lächelt
       Brwa Nouri in die Kamera. Danach kommen auch noch die anderen Mitwirkenden
       kurz zu Wort, bevor es richtig losgeht. Zu den Klängen von Tschaikowskis
       „Schwanensee“ bewegt sich einer nach dem anderen der Männer in den
       schwarzen T-Shirts und Trainingshosen auf die Mitte der Bühne. Die erste
       Fußballmannschaft des Östersunds FK (ÖFK) präsentiert ein 50-minütiges
       Ballett- und Tanzprogramm.
       
       Seit Januar hatten sie trainiert, und eigentlich sollte schon im Oktober
       Premiere sein. Sie wurde um einen Monat verschoben, damit sich die Elf erst
       einmal auf eine andere Aufgabe konzentrieren konnte, die sie dann auch mit
       Bravour schaffte. 2011 noch viertklassig, gelang in dieser Saison, die
       Anfang November endete, der Aufstieg in Schwedens höchste
       Männerfußballliga, die Allsvenskan. Womit Östersund mit seinen 40.000
       EinwohnerInnen und vor allem als Wintersportort bekannt, für eine Premiere
       sorgte: Erstmals in der 91-jährigen Geschichte der Allsvenskan spielt 2016
       mit dem ÖFK eine im nordschwedischen Inland beheimatete Mannschaft in
       Schwedens Bundesliga.
       
       Und ÖFK ist die einzige schwedische Profifußballmannschaft, die in ihren
       Verträgen eine „Kulturklausel“ verankert hat: Die Teilnahme an den
       kulturellen Aktivitäten des Vereins ist obligatorisch, berichtet
       Kulturcoach Karin Wahlén. 2012 startete der Klub eine erste
       „Kulturakademie“. Dort trafen Spieler und Vereinsangestellte mit
       Schauspielerinnen, Tänzern und Schriftstellern zusammen. „Doch das Resultat
       war nicht so gut“, erinnert sich Wahlén: „Das war alles ganz einfach zu
       passiv. Aktives Tun ist etwas ganz anderes als das bloße Aufeinandertreffen
       mit Kultur.“ Also begannen die Spieler eine eigene Theatervorstellung zu
       produzieren.
       
       Die öffentliche Kritik war zunächst allerdings gar nicht gnädig. Weil das
       Theaterprojekt ausgerechnet mit einer sportlichen Formschwäche
       zusammenfiel, schimpften die Fans und die Lokalzeitung Östersundposten. Man
       moserte vom „ÖFK-Theater, das schon drei Verluste gekostet hat“: Die
       Spieler sollten sich gefälligst auf ihren Job konzentrieren.
       
       ## „Kulturereignis des Jahres“
       
       Drei Jahre später ist solche Kritik längst verstummt. „Vom Kulturereignis
       des Jahres“ schreibt nun dasselbe Blatt, wenn es um die ÖFK-Aktivitäten
       geht: Der Verein beweise, dass er viel mehr beherrsche als nur den Ball auf
       dem Kunstrasen, nämlich auch das kulturelle Feld. Der Theatervorstellung
       folgten eine Gesangsaufführung, eine Fotoausstellung und ein viel gelobtes
       Buchprojekt.
       
       Wozu das Ganze? „Man soll neue Seiten in sich selbst entdecken“, sagt
       Wahlén. Über Schreiben, Malen, Singen, Tanzen bekomme man eine andere
       Stärke, eine größere Selbstsicherheit. Man lerne seine Mitspieler, die aus
       verschiedenen Ländern stammen, unterschiedliche persönliche Hintergründe
       und verschiedene Bildungsniveaus hätten, anders kennen. Das stärke die
       Gemeinschaft und schmiede das Team zusammen. Die Spieler bestätigen das.
       „Ich wurde offener, bin auch auf dem Spielfeld ein anderer Mensch
       geworden“, erzählt Nouri.
       
       „Wenn man seine Bequemlichkeitszone verlässt, sich auf Neues einlässt und
       etwas ganz anderes macht, ist das anstrengend, aber gleichzeitig eine große
       Herausforderung“, berichtet Stürmerkollege Michael Omoh. „Man wird mutiger,
       wenn man andere Sachen testet“, hat Torhüter Haraldur Björnsson gemerkt:
       „Man wächst.“ Die Gruppendynamik sei viel besser geworden, und es sei
       „cool, eine andere Rolle zu spielen als auf dem Platz“ sagt der
       Mittelfeldspieler Bobo Sallander.
       
       Und er verweist stolz auf ein Exemplar von „Meine Reise zum ÖFK“. Ein 2014
       veröffentlichtes Buch, auf dessen 240 Seiten die Spieler mit Wurzeln in
       neun Ländern – von Island bis Ghana und von England bis Bosnien – mit ihren
       Geschichten und Gedanken zu Wort kommen. Omoh erzählt, wie er mit seinem
       Spielergehalt nicht nur seine Familie in Nigeria unterstützt, sondern auch
       ein kleines Wohltätigkeitsprojekt gestartet hat, um noch mehr Menschen dort
       helfen zu können. Nouri berichtete von seiner Vergangenheit als „bad boy“
       und der Bedeutung des Fußballs für ihn, um eine kriminelle Lebensphase
       hinter sich zu lassen. Regelmäßig lesen Spieler nun vor Schulklassen oder
       in anderen Sportvereinen aus ihrem Buch vor.
       
       ## „Stärke durch Vielfalt“
       
       Parallel zum Buchprojekt veranstaltete der auch in der Flüchtlings- und
       Obdachlosenarbeit aktive Verein vor dem Hintergrund der letztjährigen
       Parlamentswahlen und dem Erstarken der Rechtspopulisten ein Kunstprojekt
       unter dem Motto „Stärke durch Vielfalt“. Der durch die Versteigerung der
       Bilder erzielte Erlös ging an die Organisation „Niemand ist illegal“.
       
       Auf eigene Initiative starteten die Spieler einen Lektürezirkel, in dem sie
       jeweils ein aus den eigenen Reihen vorgeschlagenes Buch lesen. Meist seien
       es Titel, „deren gemeinsamer Nenner Klasse, Ethnie und Liebe ist“,
       berichtet Wahlén. Und die Freude war groß, als die feministische
       nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie sich mit einer
       Videobotschaft bei den Spielern meldete, nachdem sie erfahren hatte, dass
       ihr „Americanah“ zum Leseprogramm der ÖFK-Spieler gehörte.“Mächtig
       imponiert“ zeigt sich Fußballnationalcoach Erik Hamrén von der Attitüde der
       Östersunder, das schwedische Königshaus gab sich bei ÖFK die Ehre, um deren
       Kultur- und Integrationsarbeit anzuerkennen, und von einem Verein, „der die
       Normen herausfordert“ schwärmt die Tageszeitung Expressen.
       
       Ein Kulturredakteur des schwedischen Rundfunks lobte die diesjährige
       Tanzvorstellung „souveräner Fußballspieler und Tänzer“ als „schlicht und
       ergreifend gut“: und als „eines der merkwürdigsten, bewegendsten und besten
       Projekte eines Elite-Sportvereins, das ich je gesehen oder von dem ich
       gelesen habe“.
       
       Im Januar gibt der ÖFK bekannt, wovon das nächste Kulturprojekt handeln
       soll. Und wie wird es sportlich in der höchsten Liga klappen? „Natürlich
       werden wir schwedischer Meister“, sagt Vereinsvorsitzender Daniel Kindberg.
       Aber es müsse ja nicht gleich sein.
       
       8 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reinhard Wolff
       
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