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       # taz.de -- Etikettierung von Lebensmitteln: Fleischstreit vorm Verfassungsgericht
       
       > Es war ein Streit über die Etikettierung von Rindfleisch. Vor dem
       > Verfassungsgericht geht es nun um nicht weniger als das deutsche
       > Strafrecht.
       
   IMG Bild: Gerade noch Fast Food, nun von juristischer Bedeutung. Das hätte sich dieser Döner nicht träumen lassen.
       
       Karlsruhe taz | Ausgerechnet in einem Streit über die Etikettierung von
       Rindfleisch könnte sich die Zukunft des deutschen Strafrechts entscheiden.
       Das Bundesverfassungsgericht wird demnächst beraten, ob der Gesetzgeber das
       Strafrecht wirklich nur als letztes Mittel (“Ultima Ratio“) einsetzen darf.
       
       Anlass des Rechtsstreits waren Kontrollen bei einem Berliner
       Dönerhersteller. Dort fand ein Veterinär des Bezirksamts Mitte im Frühjahr
       2010 rund 60 Kilogramm völlig ungekennzeichnetes und 106 Kilo unzureichend
       etikettiertes rohes Rindfleisch. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten
       verurteilte den Geschäftsführer Remzi K. deshalb zu einer Geldstrafe von
       25.000 Euro (250 Tagessätze).
       
       Die strenge Pflicht zur Rindfleischetikettierung war als Folge der
       BSE/Rinderwahn-Krise auf EU-Ebene eingeführt worden und ist seit 2002
       verbindlich. Auf Fleischetiketten muss vermerkt sein, wo das Rind geboren,
       aufgezogen, geschlachtet und zerlegt wurde. Bei Verstößen drohen
       Geldstrafen oder Haftstrafen bis zu einem Jahr.
       
       Das Landgericht Berlin, das über die von K. eingelegte Berufung
       entscheidet, setzte jedoch im April 2015 das Verfahren aus und legte den
       Fall dem Bundesverfassungsgericht vor. Die Berliner Richter halten das
       deutsche Rindfleischetikettierungsgesetz für verfassungswidrig, weil es
       nicht konkret benennt, in welcher EU-Verordnung die Pflichten der
       Fleischhersteller geregelt sind. Das Gesetz sei daher nicht eindeutig
       genug.
       
       ## Ultima Ratio?
       
       In Karlsruhe gilt das Verfahren aber aus einem anderen Grund als spannend.
       Denn als die Akten im Oktober einigen Dutzend Verbänden und staatlichen
       Stellen zugestellt wurden, warf das Verfassungsgericht auch die Frage auf,
       ob das Etikettierungsgesetz „unter dem Gesichtspunkt des Strafrechts als
       Ultima Ratio“ verfassungswidrig sein könnte. Mit anderen Worten: Das Gesetz
       könnte schon deshalb nichtig sein, weil die korrekte Etikettierung von
       Rindfleisch nicht unbedingt mit dem Mittel des Strafrechts durchgesetzt
       werden müsste. Die Einstufung als Ordnungswidrigkeit und die Ahndung per
       Geldbuße könnte möglicherweise auch genügen. Die Stellungnahmen sollen bis
       Ende Januar in Karlsruhe eingegangen sein.
       
       Federführender Richter in diesem Verfahren ist Herbert Landau. Er hat bei
       öffentlichen Vorträgen bereits angedeutet, dass der Staat nach seiner
       Auffassung viel zu schnell zum Strafrecht greife und damit die Gerichte
       überlaste. Aus Landaus Sicht führt diese Überlastung wiederum dazu, dass
       sich die Strafgerichte in umstrittene Deals mit den Angeklagten flüchten
       und so die Akzeptanz des Strafrechts aufs Spiel setzen.
       
       ## Grundsätzliche Bedeutung
       
       Der Streit über die Rindfleisch-Etikettierung könnte nun das Vehikel sein,
       den Gesetzgeber daran zu erinnern, dass er das Strafrecht nur bei der
       Verletzung zentraler Rechtsgüter einsetzen soll. Ob dies sogar eine
       verfassungsrechtliche Pflicht ist, hat Karlsruhe bisher offen gelassen,
       könnte es an dieser Stelle aber entscheiden. Dann hätte das Verfahren
       äußerst grundsätzliche Bedeutung.
       
       Möglicherweise plant Landau hier nun sein verfassungsrechtliches
       Vermächtnis. Seine Amtszeit endet am 30. April und das
       Rindfleisch-Verfahren dürfte eines seiner letzten sein. Landau gilt als
       strategischer Kopf. Er wurde einst von der CDU/CSU als Verfassungsrichter
       nominiert, zuvor war er Justiz-Staatssekretär in Hessen.
       
       28 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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