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       # taz.de -- CSU-Streit in Bayern: Flieger ohne Horst
       
       > Die dritte Startbahn für den Münchner Flughafen sorgt für Streit in der
       > CSU. Er entzweit Ministerpräsident Seehofer und den Großteil der
       > Landtagsfraktion.
       
   IMG Bild: Anwohner in Attaching protestieren gegen den Ausbau auf ihre Kosten.
       
       Wenigstens einer behauptet noch, den Durchblick zu besitzen. „Ich bin für
       mich klar. Aber das behalte ich für mich“, sagte Bayerns CSU-Chef und
       Ministerpräsident Horst Seehofer letzte Woche am Rande einer Plenarsitzung
       des Bayerischen Landtags und ließ damit Freund und Feind weiter im
       Ungewissen. Es ging mal wieder um das Reizthema „dritte Startbahn“, das
       derzeit die Gemüter im Maximilianeum erhitzt.
       
       Am Dienstag bekräftigte Seehofer sein Schweigegelübde dann noch einmal bei
       der Aktuellen Stunde im Parlament. Das Bemerkenswerte an der Kontroverse:
       Die Kampflinie verläuft in diesem Fall nicht in erster Linie zwischen der
       CSU und der ohnehin marginalisierten bayerischen Opposition, bestehend aus
       SPD, Freien Wählern und Grünen. Der Riss geht mitten durch die regierende
       CSU hindurch – und mittlerweile vor allem zwischen Ministerpräsident
       Seehofer und einem Großteil seiner Landtagsfraktion.
       
       Die Gemengelage ist vertrackt: Schließlich ist es die Landtagsfraktion, die
       den Ministerpräsidenten wählt. Und die ist mehrheitlich für den Bau einer
       dritten Startbahn am Münchner Flughafen. Andererseits aber ist es das Volk,
       das die Landtagsabgeordneten wählt. Und das ist mehrheitlich gegen den
       Flughafenausbau. Und dann gibt es da noch die rot-schwarz regierte
       Landeshauptstadt München, die 23 Prozent an der Flughafengesellschaft hält.
       Deren Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), aber auch sein Vize Josef
       Schmid von der CSU, fühlen sich an einen Bürgerentscheid von 2012 gebunden
       und lehnen den Ausbau ebenfalls ab.
       
       Zu der großen Aufregung in der CSU kam es, nachdem Seehofer in Attaching –
       einer flughafennahen Gemeinde, die zum Teil der geplanten Startbahn weichen
       müsste – Ende Oktober zu ungewöhnlich klaren Worten gefunden hat. „Wenn ich
       auf die Zahl der Flugbewegungen schaue“, sagte der Ministerpräsident, „dann
       kann man jedenfalls für den Augenblick feststellen, dass sich aus der Zahl
       der aktuellen Flugbewegungen die Notwendigkeit einer dritten Startbahn
       nicht ergibt.“ Zwar warnte er die versammelten Flughafengegner zugleich
       davor, „daraus zu euphorische Schlüsse“ zu ziehen. Doch deren Beifall war
       groß.
       
       ## Erwin Huber gehört zu den Startbahn-Befürwortern
       
       Mindestens ebenso groß muss das Entsetzen etlicher Parteifreunde gewesen
       sein. Denn die Alleingänge des Ministerpräsidenten sind nicht bei jedermann
       beliebt. In der Fraktion kursierte kurz nach Seehofers Auftritt in
       Attaching eine Unterschriftenliste für den Startbahnbau. Ex-Parteichef
       Erwin Huber soll diese schriftliche Kampfansage an seinen Nachfolger
       maßgeblich initiiert haben. Als Privatfehde zweier älterer Herren lässt
       sich die Aktion jedoch nicht abtun: Nahezu zwei Drittel der
       Fraktionsmitglieder sollen den Appell unterzeichnet haben.
       
       Unter den Befürwortern der Startbahn finden sich auch durchaus namhafte
       CSU-Politiker wie Innenminister Joachim Herrmann und Wirtschaftsministerin
       Ilse Aigner. Markus Söder, notorischer Seehofer-Widersacher, zugleich aber
       auch Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft, ist ohnehin
       dafür. Alle fürchten sie, die Landeshauptstadt München könnte im
       internationalen Wettbewerb der Metropolen weit zurückfallen. Ein neues
       Drehkreuz könnte in Istanbul entstehen, wo gerade der dritte Flughafen der
       Stadt gebaut wird – mit sechs neuen Startbahnen.
       
       Einen zweiten Rückschlag erlebte Seehofer dann am 21. November, als er sich
       auf dem CSU-Parteitag als CSU-Vorsitzender zur Wiederwahl stellte: Statt
       95,3 Prozent beim letzten Mal stimmten jetzt gerade mal 87,2 Prozent der
       Delegierten für ihn. Was etwa bei den Grünen einem Erdrutschsieg
       gleichkäme, kann in der CSU als kräftige Watschn bezeichnet werden. Und
       nicht wenige machen Seehofers Äußerungen in Sachen Startbahn zumindest zu
       einem gewichtigen Teil verantwortlich für das Wahldebakel.
       
       ## Die Entscheidung ist für einige Monate vertagt
       
       Dass man den Ernst der Lage in der Staatskanzlei mittlerweile erkannt hat,
       daran gibt es keinen Zweifel. Wenn man die Sache jetzt falsch anpacke,
       komme es zum Knall, warnt ein prominentes Vorstandsmitglied hinter
       vorgehaltener Hand. Deshalb gibt sich wohl auch der im Oktober noch so
       redselige Seehofer derzeit so schweigsam. Nur die Behauptung, er habe die
       Entscheidung allein fällen wollen, weist der Parteichef von sich.
       „Absoluter Quatsch“ sei das. Eine solche Sache müsse mit den zuständigen
       Gremien entschieden werden. „Aber ich mache einen Vorschlag. Dabei bleibt
       es.“
       
       Eine kleine Verschnaufpause gibt es nun immerhin für alle Beteiligten.
       Während es vor ein paar Wochen noch hieß, eine Entscheidung werde in diesem
       Jahr fallen, ist nun von Februar oder März die Rede. Bis dahin werde
       Seehofer seinen Vorschlag machen und mit der Fraktion, der CSU-Landesgruppe
       im Bundestag und der Parteispitze diskutieren.
       
       Wie dieser aussehen könnte, darüber kann derzeit nur spekuliert werden.
       Eine mögliche Lösung wäre ein Moratorium, den Bau der Startbahn angesichts
       des derzeitigen Flugaufkommens also erst einmal auf Eis zu legen, die
       Entscheidung bei einer veränderten Sachlage allerdings erneut zu
       überprüfen.
       
       Dass das Thema diese Woche überhaupt im Bayerischen Landtag diskutiert
       wurde, ist der Opposition zu verdanken – in diesem Fall den Freien Wählern.
       Statt der CSU genüsslich bei der Selbstzerfleischung zuzuschauen, setzten
       sie das Thema auf die Tagesordnung. Doch mit der Opposition haben die
       Christsozialen traditionell das geringste Problem – zumindest solange sie
       sich außerhalb der eigenen Partei befindet.
       
       9 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominik Baur
       
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