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       # taz.de -- Oslo in Zeiten des Nobelpreises: Hauptstadt des Friedens
       
       > In Oslo ist die Verleihung des Friedensnobelpreises viel mehr als eine
       > dröge Preisübergabe. Sie ist ein zweitägiges Fest.
       
   IMG Bild: Die Friedensnobelpreisgewinner 2015 umringt von Kindern.
       
       OSLO taz | „Warum sind es so oft Verrückte, die ein Land regieren?“, fragt
       ein norwegischer Schüler und blickt Abdessattar Ben Moussa erwartungsvoll
       an. Der Tunesier ist Chef der Menschenrechtsliga und gehört zum
       Dialog-Quartett, das für seinen Beitrag zum demokratischen Aufbau in
       Tunesien am vergangenen Donnerstag den Friedensnobelpreis in Oslo verliehen
       bekam.
       
       Bevor sie gleich zur offiziellen Zeremonie ins Osloer Rathaus gehen,
       besuchen die vier Gewinner schon in Frack und in schickem Kleid das
       gegenüberliegende Nobel Peace Center. Mit dabei sind auch Kronprinzessin
       Mette-Marit und ihr zehnjähriger Sohn, Prinz Sverre Magnus.200 Schüler
       sitzen auf rosarote Kissen am Boden und hören Moussas ausweichende Antwort.
       „Warum wollen Regierungschefs Diktatoren sein?“, hakt der junge Moderator
       nach. Er leitet mit drei Mitschülern am späten Vormittag durch die Save the
       Children’s Peace Prize Party, die zum 19. Mal vor der Preisverleihung
       stattfindet.
       
       Als 2014 die pakistanische Schülerin Malala Yousafzai den Nobelpreis bekam,
       musste die Veranstaltung nach draußen verlegt werden: 6.000 Kinder jubelten
       ihr zu. Diesmal ist alles deutlich kleiner. Abdessattar Ben Moussa erzählt
       noch, dass lange Zeit „westliche Staaten die Diktatoren unterstützt“
       hätten, aber nun habe man ja in Tunesien ein neues Wahlrecht, durch das
       Staatschefs nur maximal zwei Amtszeiten absolvieren dürften. Man hoffe auf
       eine bessere Zukunft. Dann ziehen die Ehrengäste weiter. Der norwegische
       König wartet schon.
       
       Zweimal im Jahr schaut die Welt nach Oslo: im Oktober, wenn die
       GewinnerInnen des Friedensnobelpreises bekannt gegeben werden, und dann am
       10. Dezember bei der Verleihung. Die Norweger mögen das Image Oslos als
       „Hauptstadt des Friedens“. Und so machen sie daraus gleich ein zweitägiges
       Happening, damit jeder mitbekommt, dass das nordische Land außer Öl, der
       Königsfamilie und unendlicher Natur noch mehr zu bieten hat. Für die
       meisten sind die Verleihungszeremonie und die ewige Debatte darüber, ob nun
       ein würdiger Preisträger gefunden wurde, aber nur Randaspekte. Aufregender
       ist, welche Prominenten nach Oslo kommen, wer am nächsten Tag beim Konzert
       singt und die Show moderiert.
       
       ## Bei Obama waren es 20.000
       
       Im Nobel Peace Center wird jetzt die Kinderparty schnell abgebaut und eine
       Leinwand aufgestellt, auch im dazugehörigen Café übertragen sie die
       Verleihung live. Es sind vor allem TunesierInnen, die sich in diesem Jahr
       hier treffen. Sie schwenken ihre Flaggen. Als das Dialog-Quartett ihre
       Urkunden und Medaillen bekommt, applaudieren sie lange und enthusiastisch.
       Vielen Männern und Frauen laufen Tränen die Wangen herunter.
       
       Am frühen Abend sind sie alle am Hauptbahnhof wieder versammelt.
       Gewerkschafter, Politiker und Vertreter von Amnesty International halten
       flammende Friedensreden auf Norwegisch. Um 18 Uhr startet der traditionelle
       Fackelzug zum Grand Hotel, in dem die FriedensnobelpreisträgerInnen wohnen
       und vom Balkon aus den Menschen zuwinken. Während die Norweger ruhig ihre
       Fackeln halten, singen und tanzen viele der Tunesier. Irgendwann öffnet
       sich die Balkontür und die Preisträger winken der Menge zu.
       
       Gerade mal 1.000 Menschen sind diesmal zusammengekommen. Als Obama 2009 den
       Friedensnobelpreis bekam, sollen es mehr als 20.000 gewesen sein. „Für eine
       Gruppe ist es immer schwerer, dieselbe Aufmerksamkeit zu bekommen wie
       einzelne Personen“ sagt Geir Helljesen. „Besonders wenn sie so unbekannt
       ist wie das Dialog-Quartett.“ Helljesen ist in Norwegen eine
       Reporterlegende. Mehr als 30 Jahre lang moderierte er für den
       öffentlich-rechtlichen und lange Zeit einzigen Fernsehsender NRK die
       Zeremonie. Er sitzt in der weihnachtlich geschmückten Lobby des Grand
       Hotel, die von Security-Leuten bewacht wird. Im Saal nebenan findet
       zeitgleich das Dinner der Königsfamilie mit den Preisträgern statt.
       
       Helljesen trägt einen Anzug, darüber eine regenfeste Outdoor-Jacke. Er
       nickt dem Kollegen eines Privatsenders zu. Der Reporter bedankt sich bei
       ihm für ein paar Hintergrundinfos. Kaum jemand weiß so viel über den
       Friedensnobelpreis und seine Preisträger wie der 76 Jahre alte Journalist
       Helljesen, der seit fünf Jahren offiziell in Rente ist. War der Preis für
       Obama eigentlich eine gute Entscheidung? „Man kann seine Wahl
       rechtfertigen, aber es war sicherlich zu früh“, sagt Helljesen.
       
       ## Bemerkenswerte Verleihung 1984
       
       Immer wieder wird darüber diskutiert, ob das Komitee wirklich nur aus
       Norwegern bestehen sollte. Doch so hat es Alfred Nobel in seinem Testament
       verfügt. Helljesen hält es für richtig, es so beizubehalten. Eine der
       bemerkenswertesten Verleihungen war für ihn im Jahr 1984 die an Erzbischof
       Desmond Tutu. Weil bei der Zeitung Dagbladet eine Bombendrohung einging,
       musste die Zeremonie gestoppt werden. Nach 45 Minuten ging es weiter. „Der
       König kam zurück, nur das Orchester war schon weg. Tutu bat spontan einige
       südafrikanische Frauen auf die Bühne, die dann ein Lied sangen.“
       
       Tutu soll gesagt haben, dass sich etwas in einem verändere, wenn man den
       Preis bekomme.
       
       So ging es auch Aung San Suu Kyi, die 1991 ausgezeichnet wurde, damals aber
       noch unter Hausarrest stand. Erst 2012 kam die burmesische Politikerin nach
       Oslo, um an einem Junitag ihre Rede zu halten. „15.000 Menschen trafen sich
       damals vor dem Nobel Peace Center“, sagt Bente Erichsen am nächsten Mittag.
       Sie ist die Direktorin des Hauses, das neben einer permanenten Ausstellung
       zu allen Preisträgern auch stets eine Sonderausstellung für die aktuellen
       Gewinner zeigt. Die 66-jährige Erichsen hat Tränen in den Augen, wenn sie
       an diesen Tag zurückdenkt. „Es war eine bewegender Moment, Aung San Suu Kyi
       nach all den Jahren endlich in Oslo begrüßen zu können.“
       
       Damals füllte die Preisträgerin genau wie Obama die Titelseiten. Heute muss
       man bei der größten Zeitung Aftenposten schon bis zur Seite 12 blättern,
       und in einer der Boulevardzeitungen wird lediglich darüber diskutiert,
       warum Mette-Marit bei der Zeremonie ihren Ehering nicht trug.
       
       ## Seichte Musikshow und politischen Statements
       
       Das tunesische Dialog-Quartett zieht halt nicht so. Aber wen stört’s? Der
       eigentliche Höhepunkt kommt ja noch: das Abschlusskonzert. „Die
       Nobelpreiszeremonie war sehr klein und intim. Sie war bescheiden, stilvoll
       und ein sehr norwegisches Event“, sagt Jay Leno über den offiziellen Teil.
       Als Amerikaner kenne er es da wesentlich größer und lauter.
       
       Dann ist er ja der richtige Mann, um dafür zu sorgen, dass es am Abend
       nicht so norwegisch bleibt: Der US-Comedian und Fernsehtalker moderiert das
       größte Event rund um die Preisverleihung. Weltstars wie Rihanna, Bon Jovi,
       Wyclef Jean und Duran Duran traten beim Nobel Peace Price Konzert schon
       auf. Dieses Jahr schicken die Norweger ihre alte Popband a-ha als Headliner
       ins Rennen. 10.000 Zuschauer sind in der Osloer Arena, darunter natürlich
       das Kronprinzenpaar und die gerade gekürten FriedensnobelpreisträgerInnen.
       Leno läuft durch die Reihen und fragt eine Norwegerin: „Hast du Angst, dass
       wir den Frieden wirklich erreichen, weil es dann dieses Konzert nicht mehr
       geben würde?“ Sie lächelt verlegen.
       
       Lenos Fragen sind pointiert. Aber sie passen irgendwie nicht so richtig
       hierher. Das Friedensnobelpreiskonzert ist eine Mischung aus seichter
       Musikshow und politischen Statements. Berührend ist an diesem Abend vor
       allem der Protestsong der Tunesierin Emel Mathlouthi.
       
       ## Ein bisschen relaxter
       
       Sind das eigentlich typisch norwegische Veranstaltungen? Die
       Nobel-Peace-Center-Direktorin Erichsen überlegt einen Moment. Besondere
       Tage seien das schon, aber typisch norwegisch? „Nicht wirklich. Vielleicht
       ist es bei uns ein bisschen relaxter als in Schweden.“
       
       Relaxter. Ja, das ist es. Nicht größer und lauter, wie anderswo. Nicht so,
       wie Jay Leno es kennt. Das bekommt er in Oslo halt nicht. Auch nicht beim
       großen Abschlusskonzert. Während die Bands spielen, rennen Kinder durch die
       Gänge in der Halle und spielen mit riesigen bunten Luftschlangen, die
       vorher heruntergeschossen wurden. Leno gesellt sich zu ihnen und verteilt
       Süßigkeiten.
       
       14 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alva Gehrmann
       
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