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       # taz.de -- Werkschau zu Adolph Menzel in Berlin: Zeichnen als Lebensform
       
       > Zum 200. Geburtstag des großen Zeichners Adolph Menzel widmet ihm das
       > Märkische Museum in Berlin eine umfassende Ausstellung.
       
   IMG Bild: Adolph Menzel, Studie „Bierkrüge“ zum „Tabakskollegium“, 1878.
       
       „In tiefer Dankbarkeit gegen den hohen Meister . . . preise ich Gott, der
       Meinem Vaterlande einen solchen Künstler vergönnt“, das schreibt Kaiser
       Wilhelm II. zum 80. Geburtstag von Adolph Menzel im Jahre 1895.
       
       Für manche war es schon damals keine Auszeichnung, vom Hause Hohenzollern
       gelobt zu werden. Aber Menzel war durchaus kein Hofmaler. Er war unabhängig
       und hat vieles gerade von dem, was wir heute als sein Bestes schätzen, zu
       Lebzeiten gar nicht aus seinem Atelier herausgegeben: das berühmte
       „Balkonzimmer“ etwa oder manchen Blick auf städtische Hinterhöfe,
       Baustellen und Brachen, in denen er etwas Pittoreskes entdecken und
       darstellen konnte. Menzel ist damit und nicht nur mit seinen Paradestücken
       wie dem „Ballsouper“ oder dem „Flötenkonzert Friedrichs des Großen“ zum
       Klassiker geworden.
       
       Trotzdem drohte Menzel zu seinem 200. Geburtstag am 8. Dezember nicht
       genügend gewürdigt zu werden. Das fand jedenfalls die erst 2008 in Berlin
       gegründete Adolph Menzel Gesellschaft. Claudia Czok, Mitglied der
       Gesellschaft und von Hause aus Kunsthistorikerin, hat im Märkischen Museum
       (Stadtmuseum Berlin) eine Menzel-Ausstellung eingerichtet, die den Künstler
       hauptsächlich als Zeichner vorstellt.
       
       Zeichnen war für Menzel Beruf wie Berufung. Man könnte sogar sagen,
       Zeichnen war die spezielle Lebensform für einen Mann, der eigentlich
       unablässig zeichnen musste und zeichnen wollte. Anhand seiner Werke kann
       man deshalb nun dem Leben Menzels ganz gut nachfolgen.
       
       Rund 200 Objekte werden ausgestellt: Zeichnungen und druckgrafische
       Blätter, auch die bekleckste Palette des Meisters, seine Stifte mitsamt
       Zeichenblock, Briefe, Fotos, Drucksteine, ein Stuhl aus dem Atelier in der
       Sigismundstraße in Tiergarten, Gipsabdrücke seiner Hände, eine Büste sowie
       ein Reisepass, in dem seine Körpergröße mit knapp 1,50 Meter verzeichnet
       ist.
       
       ## Zwergenhafte Statur
       
       Nicht nur sein Zeichentalent, auch seine zwergenhafte Statur machte Menzel
       zu Lebzeiten zu einem stadtbekannten Unikum in Berlin. Geboren ist Menzel
       aber in Wrocław (Breslau). Hier trat er mit 14 Jahren in die väterliche
       Lithografenwerkstatt ein, die er zwei Jahre später nach dessen Tod allein
       weiterführte, um die Familie und die etlichen Geschwister durchzubringen.
       
       Das hieß jede Menge Arbeit: illustrierte Drucksachen von Neujahrskarten
       über Geschäftsanzeigen bis zu Buchillustrationen. Dabei war Menzel als
       Zeichner Autodidakt. Welches Handwerk Menzel seit Jugendzeiten eigentlich
       betrieb, dem kann man in der Schau anhand einer Druckerpresse nachgehen, in
       der Menzel-Grafiken reproduziert werden.
       
       Die früheste Zeichnung in der Schau stammt übrigens schon vom
       Vierzehnjährigen. Der eigentliche große Durchbruch gelingt Menzel 1849 mit
       dem Abschluss der 400 Illustrationen zu Franz Kuglers „Geschichte Friedrich
       des Großen“. Da lebte Menzel bereits seit fast 20 Jahren in Berlin.
       
       ## Humorvoll gezeichnet
       
       Menzel war als Künstler Realist und blieb es auch, als die Moden anderes
       nach oben spülten. Realistisch sind seine Figuren, weil sie lebendig sind
       und menschlich – oft humorvoll gezeichnet, gut beobachtet. Menzel hatte
       immer sein Notizheft dabei. Dafür hatte er sich extra Taschen in seinen
       Mantel einarbeiten lassen. Den Notizblock benutzte er wie andere heute den
       Fotoapparat.
       
       Sein Sujet waren vor allem Menschen. Einer davon, der bereits lange tot
       war, wurde durch Menzel gleichsam zur Pop-Ikone. Es ist Friedrich II.
       Menzel zeichnete den Preußenkönig so lebendig, als hätte der ihm selbst
       Modell gestanden und als wäre er mit seinem Zeichenblock fast ständig an
       dessen Seite gewesen. Friedrich und das friderizianische Rokkoko sollte in
       seinen großen Gemälden Thema werden. Aber auch für das Werk „Armee
       Friedrichs des Großen“ fertigte Menzel allein 170 Federlithografien an.
       
       Im der Ausstellung ist ein anderes Werk der Star. Es ist Menzels größtes
       Landschaftsgemälde, eine Aussicht auf den Berliner Kreuzberg aus dem Jahre
       1849 – wahrscheinlich unvollendet und nur zum eigenen Training gemalt. Denn
       auch im Malen war Menzel Autodidakt. Das Bild aus dem Besitz des
       Stadtmuseums hat jene wehende Leichtigkeit und Sensibilität für Stoff und
       Atmosphäre, die auch dem Balkonzimmer eigen ist. Allein der leere Ort passt
       nicht als offizielles Sujet in die damalige Zeit: nur zwei Bäume im
       Vordergrund und ein Häuschen in der Ferne, die Stadt dahinter nur
       angedeutet.
       
       Menzel malt, was an idyllischen Nischen beim damalige Bauboom vorerst noch
       verschont blieb. Öffentlich wurden solche Bilder zu seinen Lebzeiten nicht.
       Gut, dass das Märkische Museum schon 1874 begann, dessen Werke und viele
       seiner Hinterlassenschaften zu erwerben.
       
       Darunter das titelgebende Objekt der Schau: die Kladde mit einer nach
       wenigen Sätzen abgebrochenen Autobiografie. Die stilvolle Aufschrift lautet
       „Ich“. Zum 200. Geburtstag bekommt Menzel im Märkische Museum also doch
       noch die „Ich“ gebührende Würdigung. Oder, um es mit dem Berliner Gottfried
       Benn, zu sagen: Zu sehen ist ein „Gezeichnetes Ich“.
       
       6 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ronald Berg
       
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