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       # taz.de -- Kolumne Behelfsetikett: Der Klimawandel – das sind wir
       
       > Die Erderwärmung schreitet voran. Was hat das Individuum damit zu tun?
       > Eine ganze Menge. Müll trennen und Biowaschpulver allein retten die Welt
       > nicht.
       
   IMG Bild: Braunkohle ist böse. Hier wird sie gerade abgebaut
       
       Mit dem Klimawandel ist das so eine Sache. Über das viel zu warme
       Dezemberwetter freuen sich die einen, die anderen verteufeln die
       vermeintliche Auswirkung der voranschreitenden Erderwärmung. Mir ist das
       Wetter im Grunde genommen egal, es macht ja sowieso, was es will. Was soll
       ich allein da schon ausrichten?
       
       Die Pariser Klimakonferenz, die letzten Samstag zu Ende ging, hatte das
       Zeug zum Allerweltsthema. Plötzlich sprachen FreundInnen und KollegInnen
       über das Wetter und noch mehr über eigene Klimasünden oder eben das
       Gegenteil. Wobei: Was ist das Gegenteil von Sünde – eine Heiligentat? Nun,
       Heilige sind wir alle nicht. Höchstens ein bisschen.
       
       Ich wasche meine Wäsche nur noch mit Biowaschpulver und Bioweichspüler;
       Kochwäsche ist selten geworden, niedrige Temperaturen schonen die Umwelt.
       Biogeschirrspülmittel ist obligat. Der Eier sind bio und vom Ökoladen um
       die Ecke, dem wir neuerdings die alten Eierverpackungen zurückbringen –
       das ist ressourcensparend. Ich fahre, sooft es geht, mit dem Fahrrad und
       benutze den öffentlichen Personennahverkehr; für weite Reisen die Bahn.
       Geflogen wird nur einmal im Jahr (und hübsch in Europa geblieben). Alle
       Glühbirnen sind gegen umweltfreundliche LED-Lampen ausgetauscht. Batterien
       werden ordnungsgemäß entsorgt – ich bin eine Art Umweltaktivist im
       Verborgenen.
       
       Ich koche und dusche mit Gas, das ist sicher böse, aber gibt es eigentlich
       Biogas? Mir kommt nur Biofarbe auf Fenster und Türen. Ich putze mit
       Bioneutralreiniger, der die guten Bakterien und Mikroorganismen in der
       Kanalisation nicht umbringt. Ich kaufe seit Anfang des Jahres nur noch
       Biofleisch, was meinen Fleischverbrauch enorm gesenkt hat (und damit auch
       meinen persönlichen CO2-Fußabdruck). Ja, ich trenne Müll und habe sogar
       meine Abneigung gegen Biomüll überwunden: Seitdem ich meinen Biomüll in die
       Biotonne werfe, hat sich mein persönliches Müllaufkommen halbiert.
       Wahnsinn. Ich bin auf der gute Seite.
       
       ## Jeder hat Schattenseiten
       
       Na ja, natürlich nicht ganz. Jeder Mensch hat so seine Schattenseiten.
       Meine besteht darin, dass ich ein Fan des Kachelofens bin. Als vor ein paar
       Jahren in meine Wohnung eine Gasetagenheizung eingebaut wurde, konnte ich
       einen Ofen – den im Wohnzimmer – stehen lassen. Den wollte ich nur ab und
       an mal an kalten Wochenende heizen, also nur zusätzlich benutzen. Weil es
       so gemütlich ist. Es gibt nichts Schöneres, als an klirrend kalten
       Wintertagen mit dem Rücken am warmen Kachelofen zu sitzen und ein Buch zu
       lesen oder sonst etwas zu tun. Dieses Wohlgefühl kommt nicht von ungefähr,
       ähneln die Wärmestrahlen des Ofens doch denen der Sonne. Heizungswärme ist
       das genaue Gegenteil von Sonnenwärme.
       
       Mit den Jahren heizte ich meinen geliebten Kachelofen immer öfter,
       mittlerweile tue ich das von Oktober bis März täglich. Und ich muss es
       zugeben: Ich verheize Braunkohle. Derzeit sind es je nach Außentemperaturen
       sechs bis acht Stück große Briketts. Natürlich deutsche Markenware. Die hat
       einen guten Brennwert, was man an der braunen Asche sehen kann, die übrig
       bleibt. Schlechte Kohlenqualitäten werden durch weiße Asche entlarvt, wie
       ich schon als Kind lernte.
       
       Der gute Brennwert hat seinen Preis. Ich meine nicht das echt lästige
       Hochschleppen der schweren 25-Kilogramm-Brikettbündel. Ich meine auch nicht
       den Kaufpreis, denn die Kosten für eine Heizperiode mit Kohle und eine mit
       Gas halten sich in etwa die Waage.
       
       ## Gemütlichkeit geht vor
       
       Die Umwelt aber leidet. Mein Ofen pustet Kohlendioxid in die Luft. Und auch
       andere Öfen im Haus und meiner Friedrichshainer Straße. Man kann es
       riechen. Steht der Wind ungünstig, stinkt es bei uns im Karree wie zu
       DDR-Zeiten, als halb Ostberlin noch mit Kachelöfen warm gehalten wurde –
       also schrecklich. Doch das nehme ich in Kauf. Denn in dem einen Punkt ist
       mir mein ökologischer Fußabdruck egal. Gemütlichkeit geht vor. Ich bin ein
       Klimasünder. Denn der Klimawandel – das sind wir.
       
       20 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hergeth
       
       ## TAGS
       
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