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       # taz.de -- NDR und Radio Bremen feiern Geburtstag: Old School
       
       > Radio Bremen und der NDR feiern dieser Tage Geburtstag. Grund zur Freude?
       > Oder hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine besten Zeiten hinter
       > sich?
       
   IMG Bild: Ewig währende Maskottchen: NDR-Walrossdame „Antje“.
       
       Im Foyer des Sendezentrums von Radio Bremen trifft man auf das wohl
       berühmteste Sofa der Republik. Das mit grünem Samt bezogene
       Biedermeiermöbel, von dem aus Vicco von Bülow alias Loriot seine
       gleichnamige und zum Klassiker der Fernsehunterhaltung aufgestiegene
       Sendung moderierte. Ein paar Meter entfernt birgt eine Vitrine die Schätze
       einer anderen Karriere: der Rudi Carrells. Kultgegenstände wie der rote
       Würfel mit dem Fragezeichen aus der Sendung „Am laufenden Band“ etwa und
       jener „Rudis Tagesshow“-Globus, der im Zuge des Ärgers um eine Parodie, in
       der der iranische Machthaber Khomeini in Damenunterwäsche wühlt, legendär
       wurde. Die Relikte stammen aus einer Zeit, in der drei Knöpfe beim
       Fernseher wichtig waren. Einer fürs Erste. Einer fürs Zweite. Und der für
       das dritte Programm, den jeweiligen Regionalsender der ARD.
       
       Auch der NDR ist so ein Regionalsender und zu der Zeit, als Radio Bremen
       Teil des großen ARD-Samstagabendprogramms war, übernahm der NDR die
       Verantwortung für eine tatsächlich Welten bewegende Sendung: die
       Sesamstraße. Neben der Karriere von Ernie und Bert begründete der Sender –
       innerhalb der ARD verantwortlich für Nachrichten und traditionell stark in
       politischen Formaten – vor allem die von Journalisten. Gert von Paczensky
       und Peter Merseburger hat er großgemacht. Anne Will und Anja Reschke.
       
       Der NDR hat wie wenige Sender vom Mauerfall profitiert.
       Mecklenburg-Vorpommern wurde seiner Hoheit zugeschlagen. Das bedeutet mehr
       Geld und Bedeutungszuwachs. Für das Regionalprogramm aber heißt das noch
       mehr Küste. Noch mehr Fischer und Möweneier, noch mehr Sand und
       Gummistiefel. Und falls doch mal etwas thematisch Unglaubliches und
       qualitativ Innovatives gemacht wird wie der „Tatortreiniger“, dann kann man
       sich darauf verlassen, dass die Programmplaner das nicht merken. Kommt ja
       keine Robbe drin vor.
       
       Radio Bremen ist die kleinste Sendeanstalt, auch sie mit viel Küste im
       Einzugsgebiet, und gäbe es nicht den Bremer Tatort mit der
       allwetterbeständigen Sabine Postel und Giovanni di Lorenzo mit „3 nach 9“,
       einer Plauderstunde süß wie Butterkuchen, würde mancher fragen: „Radio
       wer?“ Dass die Bremer mit einem schnuckeligen Etat für „Zulieferungen“ von
       7,3 Millionen Euro auch Das Erste, Arte, 3Sat und Kika mit Programm
       bestücken, geht mangels Wumms in der öffentlichen Wahrnehmung unter. So
       sendet der einstige Innovator mit einem Regionalfernseh-Etat von 26,9
       Millionen Euro quasi unbemerkt ins Bremer Umland hinein Sendungen wie
       „Buten un binnen“ (Plattdeutsch für „Draußen und drinnen“), „Hallo
       Niedersachsen!“ und „Leopard, Seebär & Co“ (Thema am 29. Dezember:
       Grundsanierung im Ottergehege).
       
       Man muss das alles nicht schlimm finden. Man kann sagen, so ist das eben.
       Alte Menschen haben auch Rechte. Man kann aber auch sehen, dass das mal
       anders war. Das klein nicht automatisch „für Oma“ hieß. Sondern dass der
       kleinen Sendeanstalt das Zeug und das Geld zum Großsein zugestanden wurden.
       Dass hier Menschen gearbeitet haben, die mehr wollten, als Robbenbabys ein
       Zuhause bieten. Was früher ein Mitspielen im Großen war, ist heute der
       Versuch des Intendanten Jan Metzger, dem Sender seine Position innerhalb
       der ARD zu sichern.
       
       Der NDR steht mit der Stadt Hamburg als einer der wichtigsten Film- und
       Fernsehproduktionsstätten, seiner Produktionsfirma Studio Hamburg sowie
       seinem Beitrag für das Gesamtprogramm der ARD anders da. Und doch ist der
       Blick aufs Regionale ähnlich traurig. Auch hier wird nicht groß gedacht.
       Auch hier wird wenig Nachwuchs gefördert. Allenfalls in den toten Winkeln
       des NDR-Nirwanas, von Liebhabern der Comedy und Satire anarchistisch
       besetzt, erwächst immer mal wieder ein Talent, das Richtung Das Erste
       strahlt. Wohlgemerkt, weniger als Ergebnis der gezielten Förderung, sondern
       als einer aus einer Scheiß-drauf-Haltung resultierenden Qualität. Success
       by Accident. Was etwa auch für Ina Müller gilt.
       
       „Hinterm Horizontgeht’sweiter“, singt Udo Lindenberg – bei den beiden
       Regionalprogrammen im Norden ist das anders. Dort ist der Horizont belagert
       mit Robben, die aufpassen, dass es nicht zu wild wird im Flimmerkasten.
       Wegen der Oma. In einigen Jahren kommen diejenigen ins Oma-Alter, die mit
       den ersten Folgen Sesamstraße sozialisiert sind. Nicht mit diesem bräsigen
       Samson-Blödsinn der Helmut-Kohl-Jahre, sondern mit der richtigen. Mit der,
       die den Kindern gezeigt hat, dass man sich nicht mit dem abfinden muss, was
       einem nicht gefällt. Die Senderverantwortlichen sollten nicht annehmen,
       dass diese Leute sich vom Robbenprogramm abholen lassen.
       
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       2 Jan 2016
       
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