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       # taz.de -- Der Norte Chico in Chile: Pisco trinken, Sterne sehen
       
       > Im wüstenähnlichen Gebirge wird das Nationalgetränk, ein Traubenschnaps,
       > gemacht. Aber es gibt andere Gründe, sich auf die Einsamkeit einzulassen.
       
   IMG Bild: Das ist nicht Krieg der Sterne, sondern das chilenische San Sedro de Atacamo.
       
       Schwarz wie die Nacht. Heißt es. Aber wo ist sie noch gänzlich schwarz? Im
       Norte Chico zum Beispiel, in Chiles Kleinem Norden. Hier schmiegt sich das
       Valle de Elqui, das Elqui-Tal, in eine gebirgige Halbwüste, die weitgehend
       sich selbst überlassen ist. Kaum haben wir uns vom Dorf entfernt, wird es
       einsam und bald auch beängstigend finster. Nur mit Hilfe einer Taschenlampe
       finden wir den Weg. Stolpern immer wieder über irgendwelche Steine, die der
       schwache Lichtschein nicht erfasst. In der Ferne sind unheimliche Geräusche
       zu hören. Ob wir nicht besser zurücklaufen sollten? Und mit jemandem
       wiederkommen, der sich in der Gegend auskennt?
       
       Wir sind versucht es zu tun. Wäre da nicht dieses Bild, das uns fasziniert:
       das schwarze Himmelszelt, an dem sich unzählige Sterne abzeichnen. So
       golden und zum Greifen nah, wie wir es noch nie gesehen haben. Für Momente
       fühlen wir den Sog der Unendlichkeit, der uns den Boden unter den Füßen
       wegzureißen droht. Erst als wir uns ein bisschen gefangen haben, fragen wir
       uns, welcher Mars, welcher Venus oder Saturn sein könnte.
       
       Dass man sich in der südlichen Hemisphäre an der Cruz del Sur, dem Kreuz
       des Südens, orientiert, das aus fünf Sternen besteht, erfahren wir erst in
       einem der Observatorien in der Gegend. Entlang der Ruta de las Estrellas,
       der Sternenroute, die durch das Valle de Elqui führt, laden gleich mehrere
       Observatorien zum Blick in ferne Galaxien ein. Weil es weltweit kaum einen
       besseren Ort für Himmelsbeobachtungen gibt als dieses Tal, in dem an mehr
       als 320 Tagen im Jahr die Sonne scheint, kaum eine Wolke den Himmel trübt
       und die Nächte wortwörtlich sternenklar sind.
       
       Einige, wissenschaftlich ausgerichtete, bleiben professionellen Astronomen
       vorbehalten, und es bedarf der monatelangen Voranmeldung. Andere sind für
       Laien zugänglich wie das Observatorio Cerro Mamalluca bei Vicuña, das
       Observatorio Cielo Sur in Alcohuaz oder Cancana im abgelegenen Cochiguaz.
       Neben zum Teil modernsten Computer-Teleskopen bieten sie den Besuchern eine
       kleine Einführung in die Sternenkunde.
       
       ## Sternenkunde inclusive
       
       So lernt man auch die Milchstraße von den Magellanschen Wolken zu
       unterscheiden, die 200.000 Lichtjahre entfernt sind. Oder von der
       Andromeda-Galaxie, die sogar 2,5 Millionen Lichtjahre jenseits der Erde
       liegt. Ob man das alles wirklich begreift oder nicht – der tiefe Blick in
       den Kosmos macht geradezu trunken. Auch ohne, dass man am Pisco genippt
       hat, der im Valle de Elqui reichlich fließt.
       
       Mag sein, dass sich Chile und Peru um die Urheberschaft des
       Traubenschnapses streiten – in jedem Fall hat er das Tal ebenso bekannt
       gemacht wie die Sterne. Wie eine fruchtbare Oase zwängt es sich zwischen
       die braunen Schluchten der Halbwüste. Rechts und links des Elqui-Flusses
       gedeihen Papayas, Tomaten und Avocados. Und eben jede Menge Trauben, die zu
       Pisco verarbeitet werden.
       
       Zentraler Ort ist Pisco Elqui auf 1.300 Meter Höhe. Schräg gegenüber von
       der gelb-lila bemalten Kirche, die an der Plaza fürs Foto posiert, steht
       beispielsweise die Destilería Pisco Mistral, die eine der renommiertesten
       und größten Fabrikationsstätten für den Weinbrand ist.
       
       Schon über hundert Jahre hat sie hinter sich und lädt nach der sorgsamen
       Restaurierung zu Führungen und Degustationen ein. „Zwischen sechs und
       sieben Kilo Trauben ergeben einen Liter Pisco, wobei der Hauptanteil aus
       Muskateller-Trauben der Sorten Pedro Jiménez und Moscatel de Austria
       besteht“, erklärt ein Mitarbeiter und zeigt die glänzenden Apparate, in
       denen der Traubenmost vergoren wird. Anschließend wird er in Kupferkesseln
       zu 35-, 40- oder 46-prozentigem Weinbrand destilliert. Starprodukt der
       Brennerei ist der 40-prozentige Mistral Gran Nobel, der zehn Jahre in
       amerikanischen Eichenfässern reift.
       
       ## Pisco mit reifem Käse
       
       Viel zu schade für Pisco Sour oder andere Cocktails sei er, meinFoto:
       imago/Xinhuat der Fachmann. Man solle ihn besser zu gereiftem Käse oder
       hochprozentiger Schokolade genießen. Doch die meisten greifen ohnehin eher
       zu preiswerteren Produkten. In der Hochsaison kommen ganze Busladungen zur
       Degustation. Nach der Besichtigung der Fabrikationsanlagen mit kleinem
       Museum werden sie meist noch mit einem Menü im Patio des rustikalen
       Restaurants einschließlich Live-Musik und Pisco abgespeist. Dann geht es
       hoch her.
       
       Gegen Abend kehrt im Dorf wieder Ruhe ein. In die Straßen oberhalb der
       Plaza verirrt sich ohnehin kaum ein Tourist. Die Zeiten, als Pisco Elqui
       noch ein Geheimtipp für Aussteiger war, sind lange vorbei. Wenn in älteren
       Reiseführern noch von ungewaschenen Hippies die Rede ist und damals große
       Werbeschilder Besucher animierten, ihre Aura zu reinigen, prangt hier heute
       das Logo der Hamburger Maklerfirma Engel & Völckers an manchem Haus. Es ist
       der Vorbote einer ganz anderen Art von Tourismus.
       
       Doch verglichen mit den Küstenorten ist Pisco Elqui – noch – ein angenehm
       beschaulicher Aufenthaltsort für alle, die sich in der Halbwüste erholen
       wollen. Rund um Pisco Elqui können sie wunderbar wandern, mountainbiken,
       reiten. Und unendlich viele Sterne sehen – mit oder ohne Pisco.
       
       26 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Wiebrecht
       
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