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       # taz.de -- Hafenschlick: Wo Sisyphus baggert
       
       > Hamburgs Hafen versandet immer stärker, das tägliche Ausbaggern fördert
       > Millionen von Kubikmetern Schlick zu Tage, die irgendwo gelagert werden
       > müssen.
       
   IMG Bild: Mehr als genug Schlick: Für manche ein Vergnügen, für den Hamburger Hafen ein großes Problem
       
       HAMBURG taz | Es geht um Millionen – Millionen Euro und Millionen
       Kubikmeter Schlick. Mehr als 60 Millionen Euro wird die Hamburger
       Hafenverwaltung Port Authority (HPA) im nächsten Jahr ausgeben müssen, um
       den Hamburger Hafen am Laufen zu halten. Schätzungsweise fünf Millionen
       Kubikmeter Schlick wird sie dafür aus dem Hauptstrom und aus den
       Hafenbecken baggern müssen, damit diese für größere Schiffe befahrbar
       bleiben. Dieser Schlick muss irgendwohin, wo er auch liegen bleibt. Sonst
       spült die Nordsee ihn mit jedem auflaufenden Wasser wieder zurück.
       „Kreislaufbaggern“ nennt die HPA diese Sisyphusarbeit.
       
       „Die Zugänglichkeit des Hamburger Hafens ist auch für Schleswig-Holstein
       von großer Bedeutung“, begründet der dortige grüne Umweltminister Robert
       Habeck seine Kooperationsbereitschaft. Seit Jahren darf Hamburg große Teile
       ihres Schlicks im Seegebiet Tonne E3 rund 60 Kilometer vor der
       schleswig-holsteinischen Westküste in eine unterseeische Bodenvertiefung
       kippen (siehe Kasten). Diese Erlaubnis ist an strenge Umweltauflagen
       geknüpft, giftigen Schlick darf Hamburg dort nicht ablagern. Der wird in
       der Aufbereitungsanlage Metha bei Finkenwerder getrennt. Der wenig
       belastete Anteil wird zum Straßenbau verwendet, der Rest kommt auf die
       Hamburger Deponien Francop, Feldhofe und Moorburg-Mitte.
       
       ## Nur für den Übergang
       
       Allerdings ist die unterseeische Deponie vor Helgoland für Habeck „nur eine
       Übergangslösung“. Für die Zukunft sei „eine nachhaltige Lösung
       erforderlich, die umfassend Strombau und Sediment-Management in der
       Tideelbe sowie die Reduzierung der Schadstoffbelastung“ umfasse, so Habeck.
       Deshalb laufen seit geraumer Zeit Verhandlungen zwischen Bund, Hamburg,
       Schleswig-Holstein und Niedersachsen mit dem Ziel, im ersten Quartal 2016
       ein „gemeinsam getragenes Gesamtkonzept für die Unterhaltung der Tideelbe
       vorzulegen“, sagte die Sprecherin der Hamburger Wirtschaftsbehörde, Susanne
       Meinecke, der taz.nord.
       
       Zu Details über Mengen und Preise will sich die Hamburger Regierung „im
       Interesse eines positiven Ergebnisses und aus Rücksicht auf die
       Verhandlungspartner“ nicht äußern, wie der Senat kurz vor Weihnachten auf
       eine schriftliche Anfrage des CDU-Politikers Ralf Niedmers erklärte.
       Hafeninterna unterliegen in Hamburg noch immer höchster
       Geheimhaltungsstufe, vor allem über die tatsächlichen Wassertiefen in den
       Hafenbecken gibt der Senat nicht einmal dem Parlament Auskunft.
       
       Solche Informationen seien „sensible Daten, die dem Betriebs- und
       Geschäftsgeheimnis unterliegen, weil sich daraus sowohl Rückschlüsse auf
       die Wettbewerbssituation des Hamburger Hafens insgesamt als auch der
       einzelnen Hafenbetriebe ziehen lassen“, fertigte der Senat schon Ende
       November den FDP-Politiker Michael Kruse ab. Dessen CDU-Kollege Niedmers
       muss sich nun mit der Auskunft begnügen, dass die HPA aktuelle Wassertiefen
       „nur an den jeweils verfügungsberechtigten Kaibetrieb“ weitergebe. Dadurch
       werde sichergestellt, so die Senatsantwort, „dass sich keine Übersicht über
       die Gesamtsituation und Rückschlüsse auf die Wettbewerbsfähigkeit des
       Hamburger Hafens ergeben“.
       
       Diese Intransparenz hat jedoch Lücken. So sickerte durch, dass ausgerechnet
       Europas modernster Containerterminal Altenwerder seit Jahren nur beschränkt
       erreichbar ist. Allein im Sommer 2012 lagerten sich in der Zufahrt 300.000
       Kubikmeter Sedimente ab, für die ganz großen Containerpötte waren die
       Liegeplätze nur noch bedingt erreichbar.
       
       Die Baggermengen im Hafen wuchsen von 2,45 Millionen Kubikmeter 2011 auf
       6,07 Millionen Kubikmeter 2013, die Kosten von 40 Millionen Euro 2011
       hatten sich in 2014 auf 66 Millionen Euro erhöht. Denn in trockenen Sommern
       kommt wenig Wasser aus der Oberelbe nach Hamburg, das Sedimente ins Meer
       fortspülen könnte. Im Gegenzug läuft beim täglichen Hochwasser die Nordsee
       umso ungestümer gen Hafen und schafft tonnenweise Sand und Schlick herbei,
       der sich in den ruhigen Hafenbecken ablagert.
       
       Die in den deutsch-tschechischen Grenzgebirgen immer häufiger ausbleibenden
       Regenfälle und der zunehmende winterliche Schneemangel sind Ursachen für
       die Versandung der Unterelbe. Der Klimawandel ist dem Hamburger Hafen ein
       größerer Feind als die wirtschaftliche Schwäche des Haupthandelspartners
       China oder die Konkurrenten Rotterdam und Antwerpen. Das wiederum stößt den
       Hafenbetrieben, die am Klimawandel nicht gänzlich unschuldig sind, sauer
       auf.
       
       ## Nicht mehr tief genug
       
       Im Oktober erwirkte die Hansaport GmbH vor Gericht ein Zwangsgeld gegen die
       HPA, weil diese ihrer Verpflichtung zur Herstellung vertraglich
       vereinbarter Wassertiefen nicht nachgekommen war. Der mächtige
       Unternehmensverband Hafen Hamburg, die Interessenvertretung aller großen
       Hafenbetriebe, beschuldigte die HPA, „vertraglich zugesicherte
       Verkehrsverhältnisse nicht gewährleistet“ zu haben. „Das hat es in der
       Nachkriegsgeschichte des Hafens noch nicht gegeben“, tadelte
       Verbandspräsident und Hamburg-Chef des größten deutschen Hafenlogistikers
       Eurogate, Gunther Bonz, die Hafenverwaltung.
       
       Die HPA musste schon auf Einnahmen verzichten, weil Hafenunternehmen wegen
       des ganzen Schlicks ihre Mieten gemindert haben. Das räumte auch der Senat
       auf eine entsprechende Frage der FDP mit einem knappen „Ja“ ein. Über die
       Details will Hamburgs Regierung sich auch hier ausschweigen. „Da es sich
       bei der Mietvertragsgestaltung und den Mieten um ein sensibles Thema
       handelt, welches Auswirkungen auf das wirtschaftliche Handeln der HPA hat,
       unterliegen diese Informationen dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis und
       werden nicht veröffentlicht“, so die Begründung des Senats fürs
       Auskunftverweigern.
       
       Wahrscheinlich wird eines Tages sogar verschwiegen werden, dass es den
       Hamburger Hafen gar nicht mehr gibt – sondern nur noch einen breiten
       Sandstrand von St. Pauli bis zur Köhlbrandbrücke.
       
       30 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven-Michael Veit
       
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