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       # taz.de -- Jahresrückblick 2015: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
       
       > Ein Jahr der Krisen: Varoufakis scheitert, das G36 schießt nicht richtig
       > und Merkel flieht nach vorn in die eigenen Arme.
       
   IMG Bild: Ein Asylsuchender schießt ein Foto mit Angela Merkel, die mit ihrer Flüchtlingspolitik die Flucht nach vorne antrat
       
       taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht im vergangenen Jahr? 
       
       Friedrich Küppersbusch: Ok, ihr plant eine eigene Ausgabe?
       
       Und was wird besser im kommenden? 
       
       Könnten wir Varoufakis gegen Jauch tauschen?
       
       Januar: Syriza gewinnt die Wahlen in Griechenland und ein „Sexsymbol“ wird
       Finanzminister: Yanis Varoufakis. Er bleibt es nur ein gutes halbes Jahr.
       Wie war er? 
       
       Varoufakis ist der Politiker, den die SPD nicht hat – zu dem Programm, das
       die SPD nicht hat. Er performte Offensivwurschtigkeit, wo gut domestizierte
       Staatslinke jederzeit eurythmisch den Sachzwang tanzen können.
       
       Das fulminante Referendum gegen die EU-Politik – um ihr anschließend
       widerstandslos beizutreten: Hier blitzte kurz auf, welchen Wumms die
       europäische Linke haben könnte, wenn sie sich nicht für die bessere Rechte
       hielte.
       
       Letztlich hat Merkeldeutschland Europa einen Anti-Föderalismus
       aufgezwungen, mit dem nach dem Krieg Bayern erfroren wäre und Bremen heute
       tot. Varoufakis Abgang kann man als Scheitern des Schaums am Schläger
       belächeln. Der Rest war eine pfiffige Recherche der Jauch-Redaktion und die
       glückliche Koinzidenz von Böhmermanns Stattfindekrankheit und einem
       treffsicheren Witz.
       
       Februar: Nach dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo sind die deutschen
       Karnevalisten verunsichert: Islamkritische Wägen bleiben in der Garage, die
       Braunschweiger Sause wird gleich abgesagt. Für Sie als Kölner ein No-Go? 
       
       Mir imponierte besonders die eilig einberufene Pressekonferenz von Titanic;
       einer Zeitschrift, die seit Jahrzehnten viele Druckseiten darauf verwendet,
       anderen Leuten anzuhämen, dass sie aber auch nicht lustig seien.
       
       Für eine Publikation, die gerade neulich wieder, 1988, mit einer
       „Bunstiftleckeraffäre“ das Land ins Wanken brachte – liegt der
       Selbstvergleich mit „Charlie Hebdo“ natürlich nahe. Zuvor hatte sich auch
       Dieter Nuhr in der regimekritischen Welt dahingehend geäußert: Kollegen,
       die seine Islam-Scherze nicht unterstützten, hielten Satire „in vielen
       Fällen wohl nur für ein Geschäftsmodell“.
       
       Wie man bei diesem Thema von nichts auf hundert zum Thema Honorarhöhe
       findet, bleibt der ganz eigenen Gedankenwelt von Dieter Nuhr anvertraut.
       Freuen wir uns mit jedem Islam-Satiriker, dessen Witze nicht am nächsten
       Montag von Pegida durch Dresden getragen werden.
       
       Und wenn manches an der deutschen Satireszene auch gummistiefelig nach
       Strebergarten riecht – gerne auch Applaus für die Themenwagen zur
       Meinungsfreiheit, die sich Karnevalisten in Düsseldorf und Köln dann doch
       noch trauten. Die Geburt des Karnevals aus der Narrenfreiheit vor der
       Fastenzeit verpflichtet zu Kirchenkritik. Und nur katholische Pfaffen
       demütigen – ja nun. Vermutlich stehen die drauf.
       
       März: In Frankfurt brennen Barrikaden gegen die Eröffnung des neuen
       Gebäudes der Europäischen Zentralbank. Dabei hatte sich doch gerade deren
       Präsident, Mario Draghi, in der Griechenlandkrise sauber verhalten und
       angekündigt, ALLES für die Rettung der Griechen zu tun. Haben Sie Mitleid
       mit der EZB? 
       
       Die EZB ist ein Drittel der Institutionen formerly known as „Troika“. Die
       der griechischen Regierung aufgab, alle gesetzgeberischen und
       finanzpolitischen Maßnahmen vor Veröffentlichung und Befassung des
       Parlaments zunächst ihr vorzulegen.
       
       Das ist nicht so schlimm, Deutschland ist aus einem rechtlich ähnlich
       wirkenden Besatzungsstatus heraus eine führende Wirtschaftsmacht geworden.
       Allerdings könnte man eine solche Vereinbarung auch als Hoch- und
       Landesverrat ansehen. Nur: Sind ja die Griechen selber schuld, wenn sie der
       EZB sowas unterschreiben.
       
       April: Nachdem herausgekommen ist, dass das Sturmgewehr G36 bei Hitze nicht
       ordentlich schießt, melden sich im April die Kurden zu Wort. Sie, die mit
       der deutschen Waffe gegen den IS kämpfen, fänden das Gewehr absolut super.
       Sind wir zu streng oder die Kurden zu genügsam? 
       
       Die Aufgabe des Prinzips „keine Waffen in Krisengebiete“ ist ein Stein aus
       der wohlgefügten Mauer, die Deutschland als die dämonische Pickelhaube der
       Weltgeschichte sorgsam und endlich errichtet hatte. Andere hießen
       „Wehrpflichtarmee“ und „Bürger in Uniform“, oder die Verpflichtung der
       Armee ausschließlich auf „Aufgaben der Landesverteidigung“.
       
       Mit dem aktiven Kriegseinstieg in Syrien tickt die Uhr, bis ein Militärarzt
       bei der Obduktion in einem deutschen Soldaten ein deutsches Geschoss aus
       einer deutschen Geschenkwaffe findet. Mit dem Abschied von historischen
       Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt ist 2015 markiert als das Jahr, in dem
       die Generation Kriegserleben ihr Wissen mitnimmt. Man sieht es.
       
       Mai: US-amerikanische Ermittler stürzen den Fifa-Klüngel – Sepp Blatter
       gibt seinen baldigen Abschied bekannt. Später deckt der Spiegel auf, dass
       auch die WM 2006 in Deutschland womöglich gekauft war. Darf man trotzdem
       Fußballfan bleiben? 
       
       Für die Amis mag bedeutsamer sein, dass 2010 für Katar entscheiden wurde –
       und gegen den Bewerber USA. Seither liefen Ermittlungen von
       Mafia-gestählten Staatsanwälten jedenfalls. Vielleicht isses auch verdeckte
       Werbung für TTIP: Die Amis zeigen uns, wie auch beim Vergaserversager VW,
       wie korrekter Verbraucherschutz aussieht.
       
       Juni: Günther Jauch gibt bekannt, dass er zum Jahresende aufhört, Stefan
       Raab auch. Wen werden Sie mehr vermissen? 
       
       Jürgen Klopp. Und Gregor Gysi.
       
       Juli: Bernd Lucke gründet seine neue Partei: Alfa (Allianz für Fortschritt
       und Aufbruch). Wohin ist er denn eigentlich aufgebrochen, man hört gar
       nichts mehr?
       
       Bei Blinddarm gilt Aufbruchstimmung nicht als gutes Zeichen. Die
       milieutypische Egomanie in Splitterparteien schien ihr segensreiches Werk
       zu tun: Petry mobbt Lucke, nun mobbt Gauland Petry und nach ihm
       geisterfährt Höcke durch den Morast (“Björn out“).
       
       Es ist eine nachgerade faustische Versuchung, bei Lucke und seinen „80
       Professoren“ bis hin zum Negerfortpflanzungsgeschichtslehrer Höcke der
       Frage zu widerstehen, wie es ab einem gewissen Grad von Rassismus denn mal
       mit dem guten alten Berufsverbot für Professoren und Gymnasiallehrer wäre.
       Es durften damals Leute für deutlich weniger Hirnkaries nicht Briefträger
       werden.
       
       August: Zehntausende Flüchtlinge erreichen Deutschland. Kanzlerin Angela
       Merkel macht auf Schabowski und setzte für syrische Flüchtlinge das
       Dublin-Verfahren aus, Münchner empfangen jubelnd die Flüchtlinge am
       Bahnhof, Bundespräsident Joachim Gauck spricht vom „hellen Deutschland“.
       Woher all die Menschlichkeit? 
       
       Möglicherweise aus der gleichen Quelle wie alles andere auch: Es ist noch
       reichlich „alternativlos“ am Lager. In der €-Krise hat Deutschland Europa
       entföderalisiert, viele Nachbarn gönnen uns jetzt, vom Reichtum abgeben zu
       müssen.
       
       Merkel hatte die Wahl zwischen Bildern zu Fuß herbeiströmender Vertriebener
       – oder der Flucht nach vorne in die eigenen offenen Arme. Da beides ein
       Erstarken der fremdenfeindlichen Rechten absehbar machte, wählte sie den
       Weg des Anstands. Anders als bei Atomausstieg, Agenda und Berufsarmee hat
       sie hier keine fertige Politik einer Vorgängerregierung in der Schublade
       paratliegen. Deshalb funktioniert es bisher nicht.
       
       September: VW fliegt auf. Der Konzern hat die Abgaswerte seiner Autos
       manipuliert. Allein in Deutschland muss der Konzern bei 2,4 Millionen
       Dieselwagen die Abgasreinigung nachbessern. Bauen wir etwa doch nicht die
       allerbesten Autos? 
       
       Ach komm. Der deutsche Autofahrer rast bis 20 Meter vor der Radarfalle,
       fährt dann 30 Meter korrekt und tritt beherzt wieder drauf. VW ist Dein
       Bruder.
       
       Oktober: Kurz vor der Parlamentswahl hat der türkische Präsident Erdoğan
       unliebsame Journalisten entsorgt, den IS-Terror für seine Zwecke
       instrumentalisiert und Kurden beschossen. Die EU macht ihn trotzdem zum
       Mann an unserer Seite für die Flüchtlingskrise. Huch? 
       
       Siehe Polen, Ungarn oder Berlusconis Italien: EU-Mitgliedschaft ist keine
       Garantie für demokratische Sinneswandel. Andersherum kann einer auch
       außerhalb der EU gepflegt durchschmoren – Schweiz. Oder gar bekehrt werden:
       Türkei?
       
       November: Nach den Terroranschlägen in Paris, herrscht auch in Deutschland
       Angst. Der Innenminister Thomas de Maizière stellt sich schützend vor die
       Bevölkerung und verschweigt die Informationen, die uns verunsichern
       könnten. Wann wird der eigentlich Kanzler? 
       
       De Maizière ist ideologiefrei, hat Organisationsstärke und hinzu das
       seltene Talent, als letzter wegzulaufen, wenn die Arschkarten verteilt
       werden. Sein Umbau des Verteidigungsministeriums war deutlich weniger
       aggressiv als die Linie von der Leyens, seine Amtswaltung als Innenminister
       der stete Versuch, einen grammatikalisch respektablen Superlativ von
       „besonnen“ zu finden. Dass so einer Nerven zeigt, kann schon wieder besorgt
       stimmen.
       
       Dezember: Beate Zschäpe sagt im NSU-Prozess aus. Sie selbst habe von den
       Morden erst im Nachhinein erfahren. Haben Sie auch so viel Mitleid mit der
       Frau?
       
       Eher mit ihren Anwälten.
       
       Und was machten die Borussen? 
       
       1989 und 2013 war ich mit Kollege Jupp, dem Orakel von der kleinen
       Grisarstraße, beim Pokalfinale. Gewonnen. 2014 und 2015 war Jupp krank.
       Verloren. 2016 ist das Jahr der Entscheidung. Deutschland will einen
       gesunden Jupp.
       
       Fragen: AFRO
       
       30 Dec 2015
       
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   DIR Friedrich Küppersbusch
       
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