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       # taz.de -- Neue EU-Taskforce: Infokrieg gegen Russenpropaganda
       
       > Mit einer publizistischen Sondertruppe will Brüssel russischen
       > Falschmeldungen begegnen. Doch die Wirkung ist fragwürdig.
       
   IMG Bild: Wladimir Putin und die Chefredakteurin von Russia Today (RT), Margarita Simonyan
       
       BRÜSSEL taz | Seit dem 2. November 2015 wird zurückgeschossen. Nicht mit
       Waffen, aber mit Worten. An diesem denkwürdigen Montag begann die
       europäische „Taskforce Stratcom East“ in Brüssel, Falschmeldungen aus
       Moskau zu dokumentieren und richtigzustellen.
       
       „IS-Kämpfer fliehen in die Ukraine, um dort zu kämpfen“, hieß so eine Ente,
       die Moskau am 23. Oktober in die Welt setzte. „Nationalisten aus der
       Ukraine und die IS-Terroristen werden von ein und derselben Zentrale
       gesteuert“, meldeten russische Medien am 25. Oktober. Fein säuberlich haben
       dies die neun Experten der neuen EU-Taskforce aufgeschrieben, die streng
       abgeschirmt von der Außenwelt im Prachtbau des Europäischen Auswärtigen
       Dienstes im Brüsseler Europaviertel arbeiten. Unter Leitung des Briten
       Giles Portman – eines Türkei-Experten – bringen sie jede Woche eine
       detaillierte „Disinformation Review“ heraus.
       
       Die strotzt vor Lügen und Propaganda – allein im ersten Rundbrief wurden 46
       russische Falschmeldungen aufgelistet. Ihnen will die EU nun wahre Fakten
       und gute Nachrichten entgegensetzen, um im „Informationskrieg“ gegen
       Russland, der mit dem Umsturz in der Ukraine voll entbrannt ist, nicht den
       Kürzeren zu ziehen.
       
       Doch das ist gar nicht so einfach. Denn den Brüsseler „Infokriegern“, die
       auf Wunsch Großbritanniens und der baltischen Staaten engagiert wurden,
       stehen nur bescheidene Mittel zur Verfügung. Während Russland mit der
       geballten Kraft seiner staatlichen Medien auf ganz Europa zielt – allein in
       Deutschland soll „Russia Today“ fünf Millionen Menschen erreichen –, steht
       der neuen Brüsseler Taskforce nicht einmal ein eigener Sender zur
       Verfügung.
       
       ## Besuch und Nachfrage unerwünscht
       
       Portman und sein Team aus russischsprachigen Journalisten und PR-Experten
       müssen sich vor allem auf Twitter und andere soziale Medien verlassen, um
       ihre Korrekturen zu verbreiten. Sie haben auch kein eigenes Budget, sondern
       werden aus dem Haushalt der EU für „strategische Kommunikation“
       mitfinanziert.
       
       Bei der Abwehr russischer „Trolls“ und ihrer Kampagnen im Internet ist die
       Taskforce zudem auf fremde Hilfe angewiesen. 450 auf Osteuropa
       spezialisierte Journalisten, Blogger und Experten melden fehlerhafte und
       falsche russische Berichte nach Brüssel, wo sie dann in den wöchentlichen
       Newsletter eingehen.
       
       Doch die Richtigstellungen erreichen bisher nicht einmal die mehr als 1.000
       akkreditierten EU-Korrespondenten in Brüssel. Das liegt auch daran, dass
       Stratcom East die Öffentlichkeit scheut. Ihre Chefin, die
       EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini, lässt keine Besuche von
       Journalisten in der neuen Stabsstelle zu. Auch kritische Nachfragen werden
       abgewehrt.
       
       Das hat paradoxe Folgen: Während die europäischen Wahrheiten zum Konflikt
       in der Ukraine nur tröpfchenweise nach außen dringen, ist in Brüssel eine
       heftige Debatte über die Frage entbrannt, ob sich die EU überhaupt in die
       Arbeit der Medien einmischen darf. „Die EU versucht, eine Mauer des
       Misstrauens zwischen unseren Völkern zu errichten“, kritisiert der
       russische EU-Botschafter Wladimir Tschischow. Das „ideologische Kommando“
       erschwere die Zusammenarbeit etwa im Kampf gegen den „Islamischen Staat“.
       
       ## Offensive mit Gegenpropaganda
       
       Entschieden anderer Meinung ist Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen
       im Europaparlament. Es sei doch der Kreml, der die Medien zur gezielten
       Desinformation nutze. „Ich habe wirklich Angst vor der russischen
       Propaganda, denn der Kreml finanziert Marine Le Pen und den rechtsextremen
       Front National in Frankreich und versucht gleichzeitig den Eindruck zu
       erwecken, in der Ukraine seien Faschisten am Werk.“ Die Stratcom-Initiative
       sei eine gute Sache, findet Harms.
       
       Vielen geht die europäische Antwort auf die russische Propagandaoffensive
       nicht weit genug. Der Kreml richte seine Botschaften gezielt auf die
       russischsprachige Minderheit in Europa, so ein litauischer Diplomat. Die EU
       müsse dagegenhalten. „Wenn wir stark wären, könnten wir einen eigenen
       TV-Sender auf Russisch aufmachen. Aber das kann Generationen dauern.“
       
       Zu wenig, zu langsam – diese Kritik richtet sich nicht nur an die EU in
       Brüssel, die nach der Annektierung der Krim lange Zeit sprachlos war. Sie
       richtet sich auch an die Bundesregierung in Berlin, die hochfliegende Pläne
       für neue europäische Sender nicht mittragen wollte.
       
       Euronews und die Deutsche Welle müssten reichen, so die deutsche Haltung.
       Es gehe nicht darum, die russische Propaganda mit Gegenpropaganda zu
       kontern, sondern vielfältige Medien aufzubauen und professionellen
       Journalismus zu fördern, betont Bundesaußenminister Frank-Walter
       Steinmeier.
       
       Diese Haltung vertritt auch Mogherini. Ihr geht es nicht um den Aufbau
       einer PR-Agentur, sondern um Politik. Der Auftrag von Stratcom Ost sei das
       „Vorantreiben der politischen EU-Ziele in der östlichen Nachbarschaft“,
       heißt es klipp und klar im Aktionsplan der EU-Außenbeauftragten. Im Fokus
       stehen nicht nur Russland und die Ukraine, sondern auch Georgien, Moldau,
       Weißrussland, Armenien und Aserbaidschan.
       
       ## Transparenz auf Twitter
       
       Diese Klarstellung hat allerdings für neue Unruhe gesorgt. Es handle sich
       um den „Versuch, Russland auch an der Medienfront zu destabilisieren“,
       kritisiert der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko von der Linken. Die EU
       werde dabei von den USA und der Nato unterstützt, sogar die OSZE lasse sich
       in den neuen kalten Infokrieg einspannen. Die Infokrieger schweigen zu
       ihren Kooperationspartnern. Sie legen auch nicht alle Quellen offen.
       [1][Nur auf Twitter lassen sie sich in die Karten schauen].
       
       Neuerdings geht es dabei nicht mehr nur um Osteuropa, sondern auch um
       Libyen und die Türkei. Sogar ein Vorfall in der Ägäis schaffte es in den
       Propaganda-Report. Ein russischer Zerstörer hatte Schüsse auf ein
       türkisches Fischerboot abgegeben – angeblich, um eine Kollision zu
       vermeiden. Dabei hätten die Fischer nicht einmal geahnt, dass sie sich
       einem Kriegsschiff nähern, meldet Stratcom Ost.
       
       Woher man das im fernen Brüssel so genau weiß, bleibt allerdings im
       Dunkeln. Die Experten beziehen sich auf das Portal Yahoo, eine EU-Quelle
       wird nicht genannt. Klar ist nur, dass sich die Kampfzone ausweitet.
       
       30 Dec 2015
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] https://twitter.com/EUvsDisinfo
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
   DIR Camille Le Tallec
       
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