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       # taz.de -- Widersprüche nach Zschäpe-Aussage: Da gibt‘s noch einiges zu fragen
       
       > Nach ihrer Erklärung im NSU-Prozess will Beate Zschäpe nun schriftlich
       > Nachfragen der Richter beantworten. Klärungsbedarf gibt es reichlich.
       
   IMG Bild: Ob die Erklärung ein kluger Schachzug war?
       
       Berlin taz | Nach der Einlassung von Beate Zschäpe am Mittwoch im
       NSU-Prozess in München will die Angeklagte ab kommender Woche Nachfragen
       beantworten – wenn auch nur schriftlich und nur von den Richtern. Die
       dürften gleich eine ganze Reihe an Nachfragen haben.
       
       Zschäpes Kernaussage: Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hätten die zehn
       NSU-Morde zu verantworten, sie habe erst später davon erfahren und deren
       rassistisches Motiv verurteilt. Ist das plausibel? 
       
       Dieser zentrale Punkt ist bereits der wackligste. Gleich mehrere Zeugen
       schilderten Zschäpe nicht als Mitläuferin, sondern „überzeugte
       Rechtsextremistin“. Tatsächlich hatte der Verfassungsschutz sie bereits
       seit 1995, seit ihrem 20. Lebensjahr, als rechte Aktivistin im Blick.
       
       Sie lief auf Szenedemos mit, meldete selbst einen Aufmarsch an. Die
       Gedenkstätte der Opfer des Faschismus in Rudolstadt soll sie mit rohen
       Eiern beworfen haben. In ihrer Wohnung fanden Polizisten ein
       „Pogromly“-Spiel, eine zynische, rechtsextreme Monopoly-Variante, in der
       Straßen „judenfrei“ gemacht werden sollen. In ihrer „Kameradschaft Jena“
       soll Zschäpe mit dafür plädiert haben, „mehr zu machen“ als nur
       Demonstrationen.
       
       Tatsächlich schilderten Weggefährten Zschäpe als gewaltbereit: Einer
       Punkerin habe sie einmal „direkt eine reingehauen“, weil diese sie dumm
       angeguckt habe. In ihrer Wohnung hingen Wurfsterne an der Wand, Messer,
       eine Pistole und ein Gewehr. Bei einer Festnahme im Jahr 1996 trug Zschäpe
       eine Schreckschusspistole bei sich.
       
       Sie selbst gestand am Mittwoch, Bombenattrappen in Jena mit aufgestellt und
       Drohbriefe mit Schwarzpulver verschickt zu haben. Und dann, nach dem
       Untertauchen, will sie plötzlich mit Gewalt und rechter Ideologie nichts
       mehr zu tun haben, verurteilt das rassistische Mordmotiv als „entsetzlich“.
       Das scheint wenig glaubhaft.
       
       Hat Zschäpe wirklich nichts von den Mord- und Anschlagsplänen mitbekommen? 
       
       Jahrelang lebte das Trio auf engstem Raum. Aufgefundene Notizen zeigen, wie
       akribisch Böhnhardt und Mundlos vor den Morden Skizzen über die Tatorte und
       Fluchtwege anfertigten. Nie hat Zschäpe etwas davon mitbekommen? Die Bombe,
       die 2001 in einem Kölner Geschäft hochging, habe Böhnhardt in seinem Zimmer
       gebaut, sagte Zschäpe aus. Damals lebte das Trio in einer
       66-Quadratmeter-Wohnung in Zwickau. Zschäpe bemerkte nichts vom Bombenbau?
       
       Auch nichts von Mundlos‘ Arbeit an der Bekenner-DVD, die sich offenbar über
       Jahre zog? Zschäpe behauptete, sie sei davon ausgegangen, Mundlos habe sich
       mit Computerspielen beschäftigt, wenn er wieder stundenlang vor dem PC saß.
       Die Anklage glaubt das nicht. So sei ein „Wettschein“ zwischen den Männern
       und Zschäpe gefunden worden, der als Einsatz „200x Videoclips schneiden“
       vorsah. Zschäpes Version: Es sei nur um TV-Serien gegangen.
       
       Ermittler fanden aber auch deren Fingerabdrücke auf zwei Zeitungsartikeln
       zu NSU-Taten. Zudem soll Mundlos Zschäpe laut Anklage vor dem Mord an
       Theodoros Boulgarides in München einen Zettel mit einer Handynummer und dem
       Verweis „Aktion“ gegeben haben. Zschäpe habe diese Nummer vor der Tat auch
       angerufen - für die Bundesanwaltschaft ein Indiz, dass sie über die Taten
       informiert war.
       
       An den Taten war Zschäpe nicht beteiligt? 
       
       Tatsächlich gibt es lediglich für den Mord an Ismail Yasar 2005 in Nürnberg
       vage Hinweise, dass Zschäpe in Tatortnähe war. Der Mitangeklagte Holger G.
       sagte aber aus, dass diese 2001 oder 2002 einmal bei einer Waffenübergabe
       von ihm dabei war, ihn eigens vom Bahnhof abholte und später zusah, wie die
       Pistole durchgeladen wurde. Auch habe ihm Zschäpe Geld gezahlt, um Fotos
       für einen gefälschten Pass anzufertigen. Kein Einzelfall: Laut Ermittlern
       hat Zschäpe auch weitere falsche Papiere besorgt. Sie sei auch bei der
       Anmietung von Wohnmobilen dabeigewesen, die später an Tatorten auftauchten.
       
       Mehrere Bekannte schilderten zudem, dass es immer Zschäpe war, die die
       Ausgaben des Trios tätigte. Holger G. soll sie einmal 10.000 DM zur
       Verwahrung übergeben haben. Die Anklage weist Zschäpe die Rolle der
       „Finanzverwalterin“ des Trios zu. Dazu bemerkte diese am Mittwoch nur
       pauschal: Das stimme nicht. Ausgaben wurden „mal von dem einen, mal von dem
       anderen bezahlt“. Ob das reicht?
       
       Zudem hat Zschäpe nun selbst eingeräumt, den letzten Unterschlupf in
       Zwickau in Brand gesetzt zu haben – wenn auch auf Wunsch der Uwes. Für die
       Anklage gehört aber auch das zum „Tatkonzept“ des NSU, es sei „Teil eines
       vorher abgesprochenen Plans für den Fall der Entdeckung“ gewesen.
       
       Warum hat Zschäpe fast nichts über Helfer gesagt? 
       
       Gute Frage. Denn neben Holger G. hielt das Trio auch mit dem in München
       mitangeklagten André E. bis zum Schluss Kontakt. Dessen Frau soll Zschäpe
       auf ihrer Flucht nach der Inbrandsetzung des letzten Unterschlupfes sogar
       noch Wechselwäsche überbracht haben.Kein Wort darüber.
       
       Außer den anfänglichen Helfern, die dem Trio Wohnungen stellten, nannte
       Zschäpe nur einen Namen: Tino Brandt, Anführer des „Thüringer
       Heimatschutzes“ und einstiger V-Mann. Dabei führte dessen Kameradschaft 170
       weitere Neonazis. Auch gab es Helfer aus dem „Blood & Honour“-Netzwerk, die
       dem Trio Dokumente beschafften. Auch dazu verlor Zschäpe kein Wort. Das
       würde in den rechten Szenekodex passen: Kameraden verpfeift man nicht. Ein
       anderes Motiv könnte sein, dass Zschäpe unbedingt vermeiden wollte, mit
       Gegenaussagen konfrontiert zu werden.
       
       Nachdem Mundlos und Böhnhardt Zschäpe von den Morden erzählten, sei die
       Stimmung „eisig“ gewesen. 
       
       Das schildern Urlaubsbekannte und einstige Wegbegleiter anders. Sie hätten
       das Trio stets als Einheit erlebt, berichteten diese im Prozess, als
       verschworene Gemeinschaft. Auch Holger G. will keine Missstimmung unter den
       Dreien bemerkt haben.
       
       Leider, sagte Zschäpe aus, habe sie es nicht geschafft, die beiden von
       weiteren Morden abzuhalten. 
       
       War Zschäpe wirklich so durchsetzungsschwach? Wiederholt schilderten
       Bekannte, diese habe Böhnhardt und Mundlos „im Griff“ gehabt, sie sei
       niemand gewesen, der sich „unterordnet“. Ihr Cousin nannte sie „robuster im
       Umgang als normale Frauen“.
       
       Dass sich Zschäpe sehr wohl durchsetzen konnte, beweist auch ein Aspekt
       ihrer eigenen Aussage am Mittwoch. Demnach hätten Böhnhardt und Mundlos
       eigentlich nach Südafrika fliehen wollen, Zschäpe war dagegen. Das Trio
       blieb in Sachsen.
       
       Und hätte sie sich nicht unmittelbar nach dem Tod ihrer beiden Kumpanen im
       November 2011 der Polizei stellen können, wie sie es angeblich seit Jahren
       überlegte? Stattdessen zündete Zschäpe die letzte Wohnung an und versandte
       die Bekenner-DVD des NSU.
       
       Der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn sei nur
       geschehen, weil Mundlos und Böhnhardt neue Pistolen brauchten. 
       
       Eine überraschende Aussage. Insgesamt 20 Waffen stellten Ermittler im
       letzten Unterschlupf und im Wohnmobil der Männer fest. Die Lieferanten sind
       weitgehend unbekannt, offenbar aber funktionierten ihre Dienste. Warum also
       nicht diese kontaktieren, sondern Hunderte Kilometer fahren und auf einem
       offen einsehbaren Platz Polizisten überfallen – und damit einen enormen
       Fahndungsdruck riskieren? Und warum bewahrten die Männer bis zum Schluss
       eine blutbefleckte Jogginghose von der Tat auf?
       
       Noch dazu endet das Bekennervideo des NSU mit einem Bild von Kiesewetters
       Beerdigung und der Einblendung: „Paulchens neue Streiche“. Das klingt alles
       mehr nach der Version der Bundesanwaltschaft – wonach die Polizistin als
       „Vertreter des verhassten Systems“ ermordet und ihre Waffe als Trophäe
       aufbewahrt wurde.
       
       Den NSU habe es nie gegeben, das Kürzel sei nur eine Erfindung von Mundlos
       gewesen, um einen Brief an ein rechtes Szeneheft zu unterschreiben. 
       
       Dazu bemerkt die Bekenner-DVD etwas anderes. Dort heißt es: „Der
       Nationalsozialistische Untergrund ist ein Netzwerk von Kameraden. Mit dem
       Grundsatz: Taten statt Worte.“ Das Untertauchen des Trios, das heimliche
       Ermorden von Migranten passte zudem genau zu der damaligen Szenediskussion
       über einen „bewaffneten Kampf“ und „führerlosen Widerstand“.
       
       Auch fanden Ermittler auf einer Festplatte einen zweites NSU-Pamphlet, das
       zu „neuen Wegen im Widerstandskampf“ und zur „energischen Bekämpfung der
       Feinde des Deutschen Volkes“ aufruft. Darüber schwieg Zschäpe.
       
       Wie geht’s jetzt weiter? 
       
       Ab kommenden Dienstag wird in München wieder verhandelt – bisher mit dem
       seit Langem geplanten Programm: der Befragung eines mutmaßlichen
       Fluchthelfers des NSU. Zschäpes Anwalt Mathias Grasel bot aber an, bereits
       da erste Nachfragen des Gerichts zu beantworten – schriftlich. Richter
       Manfred Götzl ließ bisher offen, ob er sich auf dieses ungewöhnliche
       Prozedere einlässt.
       
       Bisher hat er nur an Zschäpe appelliert, sich zumindest zu ihrer Biografie
       selbst und mündlich zu äußern. Zudem muss Götzl noch eine andere
       Entscheidung fällen: Am Ende ihrer Einlassung hatte Zschäpe erneut die
       Entlassung ihrer drei ursprünglichen Pflichtverteidiger Anja Sturm,
       Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl beantragt. Diese hätten sie mit ihrer
       Schweigestrategie „bewusst geschädigt“. Es ist bereits der vierte
       Misstrauensantrag gegen die Anwälte – alle vorherigen scheiterten.
       
       Und noch eine Ungewisse steht im Raum: Auch der Mitangeklagte Ralf
       Wohlleben, beschuldigt als NSU-Waffenlieferant, hat inzwischen eine Aussage
       angekündigt. Auch dies könnte bereits kommende Woche so weit sein.
       
       10 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
   DIR Andreas Speit
       
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