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       # taz.de -- Gewaltenteilung in Polen: Streit um Verfassungshüter eskaliert
       
       > Das Oberste Gericht rügt ein neues Gesetz zur Ernennung von Richtern. Es
       > verstoße teilweise gegen die Verfassung. Das ficht Präsident Duda nicht
       > an.
       
   IMG Bild: Adam Slomka, ein ehemaliger Aktivist der Opposition, demonstriert am Mittwoch im Verfassungsgericht in Warschau. „Für eine Dekommunisierung der Gerichte“ steht auf seinem Spruchband.
       
       Warschau taz | Vor dem Verfassungsgericht in Warschau marschierten am
       Mittwoch zwei Gruppen mit Transparenten auf und ab. Die eine skandierte
       „Demo-kratie“ und „Ge-wal-ten-tei-lung“, die andere „Jaros-law“ und
       „Ge-rech-tig-keit“. Nach sechs Stunden Gerichtsverhandlung verkündete
       endlich Richter Piotr Tuleja das Urteil: „Das Gesetz über das
       Verfassungsgericht vom 19. November ist teilweise verfassungswidrig“.
       
       Noch früh am Mittwochmorgen, vor der Sitzung des polnischen
       Verfassungsgerichts, hatte Polens Präsident Andrzej Duda eine
       Verfassungsrichterin vereidigt. Das wenige Stunden später zu erwartende
       Urteil des Verfassungsgerichts über die Wahl der neuen Richter interessiere
       ihn nicht, erklärte Duda öffentlich.
       
       Die scharfen Proteste vieler Rechtsexperten, des Generalstaatsanwalts und
       des Verfassungsgerichts selbst wischte er beiseite. Auf Warnungen in den
       Medien „Demontage des Rechtssystems“, „Offener Verfassungsbruch“ und sogar
       „Staatsstreich“ ging er erst gar nicht ein.
       
       Er habe als Präsident Polens insgesamt fünf Verfassungsrichter vereidigt.
       Das neue Parlament habe nach den Wahlen vom Oktober ein neues Gesetz über
       das Verfassungsgericht verabschiedet und gleich die neuen Richter ernannt.
       Diese sollten nun, so Duda, die im November und Dezember frei gewordenen
       Stellen im Verfassungsgericht einnehmen. Damit sei der Streit um die
       Neubesetzung der Richterstellen für ihn beendet.
       
       ## Verfassungsmäßigkeit prüfen
       
       Das Verfassungsgericht sieht das ganz anders. Schon vor einer Woche, als es
       über ein anderes Gesetz in der gleichen Frage urteilen musste, hatte es
       Polens Präsidenten darauf hingewiesen, dass er die Urteile des
       Verfassungsgerichts umzusetzen habe. Die Aufgabe des Verfassungsgerichts
       bestehe darin, Gesetze daraufhin zu überprüfen, ob sie mit der geltenden
       Verfassung in Einklang stünden. Dies sei weder die Aufgabe des Parlaments
       noch des Präsidenten.
       
       Das erste Urteil von vergangener Woche bezog sich auf ein Gesetz, das noch
       das Parlament mit einer Mehrheit von liberalkonservativer Bürgerplattform
       (PO) und Bauernpartei (PSL) im Juni 2015 verabschiedet hatte. Aufgrund
       dieses Gesetzes ernannten PO und PSL noch im Oktober - kurz vor den
       Parlamentswahlen - fünf nachrückende Richter für das Verfassungsgericht.
       
       Der neue Präsident Andrzej Duda weigerte sich aber, die gewählten Richter
       dann auch zu vereidigen, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Statt dessen
       behauptete er, die Wahl sei „rechtsunwirksam“. Schließlich wandten sich PO
       und PSL nach der verlorenen Wahl selbst an das Verfassungsgericht und baten
       um eine Überprüfung des Gesetzes.
       
       Denn inzwischen hatte die rechtsnationale Partei Recht und Gerechtigkeit
       (PiS), die im Oktober die Parlamentswahl gewonnen hatte und seitdem die
       absolute Mehrheit im Parlament stellt, ein neues Verfassungsgerichtsgesetz
       verabschiedet und ihrerseits fünf Richter ernannt.
       
       ## Teilweise verfassungswidrig
       
       Das Urteil vor einer Woche fiel ähnlich aus wie das an diesem Mittwoch: das
       PO-PSL-Gesetz sei teilweise verfassungswidrig. Konkret: Verfassungskonform
       sei die Wahl der drei November-Richter, verfassungswidrig hingegen die Wahl
       der beiden Dezember-Richter, da das Recht auf deren Wahl bereits beim neuen
       Parlament, also der PiS, lag.
       
       Polens Präsident ignorierte aber das Urteil von vergangener Woche und
       kündigte an, er werde sich erst dazu äußern, wenn es im Gesetzesblatt
       Polens veröffentlicht worden sei. Vorher sei es ja ohnehin nicht gültig.
       
       In Polen werden im Gesetzesblatt nicht nur Gesetze, sondern auch Urteile
       des Verfassungsgerichts publiziert. Erst danach erlangen sie Gültigkeit.
       Während der Präsident sich also darauf berief, dass das Urteil ja noch
       nicht publiziert sei, er sich also auch nicht daran halten müsse, kam vor
       kurzem heraus, dass Dudas Ex-Parteifreundin, Regierungschefin Beata Szydlo,
       die rasche Publikation verboten hatte.
       
       Szydlo entstammt wie auch Duda der rechtsnationalen PiS. Die Partei unter
       Führung von Jaroslaw Kaczynski versucht, die demokratische Gewaltenteilung
       aufzuheben: Regierung und Präsident (Exekutive) sowie das Parlament
       (Legislative) befinden sich bereits in den Händen der PiS. Jetzt geht es
       darum, die bislang unabhängigen Gerichte, darunter auch das
       Verfassungsgericht, (Judikative) unter Parteikontrolle zu bringen.
       
       ## Keine Dreiviertelmehrheit
       
       Ziel dabei ist es, die parlamentarische Demokratie in eine „IV. Republik“
       mit einer starken Stellung des Präsidenten umzugestalten. Da dies mit der
       polnischen Verfassung nicht zu vereinbaren ist, muss entweder die
       Verfassung geändert werden, wozu eine Dreiviertelmehrheit im Parlament
       nötig ist, die die PiS nicht besitzt. Oder aber das Verfassungsgericht muss
       außer Gefecht gesetzt werden. Genau darauf zielen die Maßnahmen von
       Parlament, Präsident und Premier ab.
       
       Ob sich Polens Parlament, Präsident und Premier an das Mittwochs-Urteil des
       Verfassungsgericht gebunden fühlen, ist zweifelhaft. Offen ist, wie es nun
       weitergehen soll.
       
       10 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Lesser
       
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