# taz.de -- Eishockey in Timmendorf: Wo der Videowürfel eine Discokugel ist
> Der einzige Eishockey-Club Schleswig-Holsteins muss in der Oberliga um
> den Klassenerhalt kämpfen und das in einer völlig veralteten Halle.
IMG Bild: Ein paar Verrückte“ wollten ein Eishockey-Team aufbauen: Hans Meyer, Vorsitzender des EHC, in der Halle aus den 80ern.
Timmendorf taz | Eigentlich fehlt ein kleiner Zusatz auf der
Eintrittskarte. „Zeitreise inklusive“ hätte als Aufdruck auf dem Ticket
seine Berechtigung. Wer sich ein Heimspiel des einzigen
schleswig-holsteinischen Eishockey-Vereins, ETC Timmendorfer Strand,
ansieht, fühlt sich beim Betreten des Eissport- und Tenniszentrums in die
späten 80er oder frühen 90er versetzt. Wo bei den Klubs der Deutschen
Eishockey Liga (DEL) schon mal Videowürfel über dem Eis hängen, baumelt
beim ostholsteinischen Oberliga-Vertreter eine Discokugel von der Decke
herab.
Auch die Einlaufchoreografie für die Mannschaften passt eher in die Rubrik:
Das Beste aus den Achtzigern. Rot, blau, lila, gelb und grün flackern
abwechselnd Discolichter auf, wenn die Spieler der drittklassigen Teams auf
die Eisfläche hinausfahren. Die „Pistenbar“ preist ihre Currywurst mit
Pommes an. Und aus der anderen Ecke, jenseits der harten und harzigen
Holzbänke für die Mannschaften, weht der Duft warmer Crepes herüber. Aus
einem Tiroler-Holzhäuschen, das gerade drei Meter Abstand zur zerkratzten
Plexiglasscheibe am Spielfeldrand hat, werden Getränke der eher
zweckmäßigen Art ausgeschenkt.
## „Ach, damals“ seufzen sie
Die gute alte Zeit ist hier allgegenwärtig. Vor allem der Gedanke an die
90er-Jahre lässt so manchen EHC-Fan, von denen in dieser schwierigen Saison
stets rund 500 zu den Heimspielen kommen, wehmütig seufzen. „Ach, damals“,
heißt es. Und dann wird von den früheren Heldentaten der Beach Boys
erzählt, wie sich der sportliche Stolz des Ostseebades Timmendorf nennt.
„Das waren andere Zeiten, gute, erfolgreichere“, sagt Helmut Mann, der seit
23 Jahren zu den Spielen des Teams geht. Sein Kumpel Andre Suck nickt.
Beide nehmen einen Schluck aus ihren Biergläsern, während sie aus der
„Pistenbar“ versonnen auf das Eis blicken.
Hinter ihnen hängen Zeitungsausschnitte an der Wand. „Timmendorf im
Aufstiegs-Taumel“ heißt es dort. Oder „1600 glücklich – We are the champs.“
Die Gegenwart sieht nüchterner aus – und auch das hängt mit jener Zeit
zusammen, in der alles scheinbar so prächtig gelaufen ist.
Schon damals war nicht alles eitel Sonnenschein bei dem Verein, der nur
wegen des Tourismus entstanden ist. Eine Hotelketten-Gruppe baute Anfang
der 80er die Halle. „Es ging darum, die Saison zu verlängern. Die Gäste
sollten gewissermaßen vom Strand in die Eishalle wechseln. Aber das lief
nicht“, sagt der EHC-Vorsitzende Hans Meyer. Die Eislaufhalle stand bald
vor der Schließung und da übernahm die Gemeinde sie. „Ein paar Verrückte“,
wie der 57-Jährige es formuliert, hatten es sich 1985 zum Ziel gesetzt, ein
Eishockey-Team aufzubauen.
Das funktionierte zunächst besser als gedacht. Erfolgreiche Jahre in der
Oberliga und der 1. Liga Nord folgten. Möglich gemacht wurde dies durch das
Sponsoring eines Fisch- und Feinkostunternehmens. 1994 hätte der damalige
ETC theoretisch sogar in der DEL antreten dürfen. Wegen der geringen
Zuschauerkapazität wurde aber darauf verzichtet. Als der Großsponsor keine
Lust mehr hatte, folgte die erste Insolvenz, in der Saison 2005/06 unter
dem Namen EC Timmendorfer Strand die zweite.
In der aktuellen Spielzeit müssen die Ostholsteiner um den Klassenerhalt in
der Oberliga Nord bangen. Immer präsent ist auch die bange Frage, ob das
Geld reicht. „Wir reizen das Budget so aus, dass wir durch die Saison
kommen“, sagt Meyer, der als Berufsschullehrer arbeitet. „Es liegt bei
etwas mehr als 150.000 Euro. Im Liga-Vergleich gehören wir damit zu den
Bescheideneren.“
Dementsprechend ist die Mannschaft aufgestellt. „95 Prozent der Spieler
sind voll berufstätig. Mehr ist da einfach nicht möglich“, sagt der
40-jährige Coach Martin Williams. Die Spieler kommen überwiegend aus der
Region, zweimal in der Woche wird abends trainiert. Ablösesummen sind
illusorisch, richtige Gehälter auch. „Wir versuchen, junge Spieler über
eine Ausbildung für drei Jahre zu binden“, sagt Williams, der sich bis eine
Viertelstunde vor dem Anpfiff gegen die Rostock Piranhas (5:7) Zeit für das
Gespräch nimmt. Die meisten seiner Spieler kurven auf 400-Euro-Basis über
das Eis.
Seit dieser Saison geht es zu Liga-Spielen sogar bis in die Niederlande.
Die Tilburg Trappers nehmen aufgrund einer Ausnahmegenehmigung an der
deutschen Oberliga teil. Sportlich ist das zwar reizvoll, zeitlich und
finanziell aber aufwändig. Schon jedes Heimspiel schlägt mit allem
Drumherum mit 1.500 Euro zu Buche. 800 Euro beträgt allein die Miete der
Halle, die stets bis eine Stunde vor dem Eröffnungsbully noch für Gäste zum
Schlittschuhlaufen geöffnet ist.
Es bleibt immer die Frage, wie es weitergeht für den Verein, der für Greg
Poss einst eine frühe Station auf dem Weg zum deutschen Bundestrainer (2004
bis 2005) war und bei dem Wyatt Russell, der Sohn der US-Schauspieler
Goldie Hawn und Kurt Russell, vor sieben Jahren das Tor hütete. „Wir sind
seit Längerem im Gespräch mit der Gemeinde über eine Modernisierung der
Halle. Wenn die kommt, wird es uns noch lange geben“, sagt Meyer. Williams
sieht das ähnlich: „Wenn man sich in ganz Deutschland mal alle Vereine
anschaut, ist man mit zwei Pleiten gar nicht so schlecht aufgestellt. Ich
hoffe, dass es nie wieder eine Pleite geben wird. Solange es eine Eishalle
in Timmendorf gibt, wird es auch Eishockey hier geben.“
Auch Bürgermeisterin Hatice Kara (SPD) betont, dass nicht der Verein das
Problem sei, sondern die Eishalle. „Das Objekt ist in die Jahre gekommen.
Es sei aber der erklärte Wille der Gemeinde, den Eishockeysport hier
aufrechtzuerhalten. Es wird eine Herkulesaufgabe“, sagt Kara. Vieles
scheint möglich – von der Modernisierung, wie sie der EHC anstrebt – bis
hin zu einem Neubau. Ein solcher dürfte 7,5 Millionen Euro kosten und wäre
ohne Geldgeber aus der Wirtschaft nicht zu stemmen.
„Wir sind ganz am Anfang einer Entscheidungsfindung und müssen sehen, was
geht“, sagt Kara. Die Perspektiven für die Beach Boys wird bei einem
Klassenerhalt der Oberliga wohl besser sein, als es noch bis vor einigen
Jahren ausgesehen hatte. Die Zeitreise könnte also in die Zukunft gehen.
4 Jan 2016
## AUTOREN
DIR Christian Görtzen
## TAGS
DIR Eishockey
DIR Eishockey
DIR Eishockey
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Niederländisches Team in Deutschland: Der Eishockey-Meister von drüben
Seit fast vier Jahren dominieren die Tilburg Trappers aus den Niederlanden
die dritthöchste deutsche Eishockeyliga. Ein Ortsbesuch.
DIR Eishockey: Underdogs auf Kufen
Angesichts des merkwürdigen Rufs, den sie geradezu kultivieren, wirkt der
sportliche Erfolg der Grizzlys Wolfsburg umso überraschender