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       # taz.de -- Fußball in der Ukraine: Verblüffende Einheitsfront
       
       > Die Notlage in der Ukraine lässt die Profiliga schrumpfen. Unter Ultras
       > und Hooligans herrscht plötzlich ein Burgfrieden.
       
   IMG Bild: Beim Europa-League-Spiel von Kiew gegen Maccabi Tel Aviv waren die Fans ausgesperrt
       
       Kiew taz | Eigentlich befindet sich derzeit auch der ukrainische Erstligist
       Metalurh Saporoshje lediglich in der Winterpause. Anfang März soll der Ball
       wieder rollen. So sieht es der Spielplan vor. Aber für Metalurh-Coach
       Anatoli Jantschew lässt sich momentan wenig planen. „Ich weiß wirklich
       nicht, wie es weitergeht“, sagte er jüngst.
       
       Das ist ein typisches Szenario im ukrainischen Fußball dieser Tage. „Es ist
       eine wirklich schreckliche Situation. Der Krieg im Osten hat dazu geführt,
       dass von fünf der einst wirtschaftlich starken Vereine aus dem Donbass nur
       noch zwei existieren.“ Weil es nicht genug Teams gab, die die finanziellen
       Bedingungen erfüllten, wurde die Premier League verkleinert.
       
       „Und auch unter den 14 sind zwei Vereine, bei denen der aktuelle Spieltag
       schon ihr letzter sein kann“, klagt Andriy. Er ist ein Ultra von Dynamo
       Kiew, die sich im Dezember für das Achtelfinale der Champions League
       qualifizieren konnten. Teams wie Saporoshje sind für Dynamo keine Gegner
       mehr. 6:0 schlug der Rekordmeister die Mannschaft, die aus Kostengründen
       das Heimrecht abtrat.
       
       Metalist Charkiw ist das zweite von einer Pleite bedrohte Team. Präsident
       Sergej Kurtschenko, einst enger Freund der Familie vom früheren
       Staatspräsidenten Wiktor Janukowitsch, hat sich wegen Korruptionsvorwürfen
       nach Russland abgesetzt. „Der wird von Interpol gesucht und hat ganz andere
       Sorgen, als sich um seinen Verein zu kümmern“, meint Andriy.
       
       ## „Wir haben einen gemeinsamen Feind“
       
       Aber auch er und seine Kumpels haben andere Sorgen. „Viele von uns sind an
       der Front im Osten, vor allem in Mariupol. Zwar ist es da gegenwärtig etwas
       ruhiger. Aber sie bleiben vor Ort.“ Als Motivation nennt der groß
       gewachsene Mann, der seit acht Jahren in der rechten Dynamo-Szene aktiv ist
       und sein Geld als Programmierer für ein US-Unternehmen verdient, schlicht
       „die Verteidigung der Heimat“.
       
       „Wir haben einen gemeinsamen Feind. Das ist der russische Präsident. Er
       will unser Land okkupieren. In dieser Situation ist es nicht möglich, dass
       wir gegeneinander kämpfen“, sagt er. Schon in der vergangenen Saison hatte
       für Aufmerksamkeit gesorgt, dass einst verfeindete Ultras und Hooligans in
       Stadien gemeinsame Sprechchöre intonierten. Vor vielen Fußballspielen, so
       auch vor Anpfiff der Partie zwischen Kiew und Saporoshje, standen Spieler
       und Fans auf und sangen die ukrainische Nationalhymne.
       
       Für den Dynamo-Frontmann ist das eine logische Konsequenz aus den
       Erfahrungen vom Euromaidan. Ultras und Hooligans gehörten dort zu denen,
       die das protestierende Volk vor der Polizei und den Provokateuren der
       Regierung schützten. „Auf dem Maidan war unsere Motivation, etwas zu
       verändern. Die vorherige Regierung war schrecklich. Sie stahl, wo sie nur
       konnte, und schädigte das Land. Sie wollte nur sich selbst bereichern“,
       blickt Andriy zurück. Zwar ist für ihn die aktuelle Regierung kaum besser.
       „Aber die Leute wissen, dass sie kämpfen können. Das ist sehr wichtig“,
       bilanziert er.
       
       ## Waffenstillstand sogar mit den linken Fans
       
       Für wen er selbst sich politisch engagieren würde, wenn erst der Krieg im
       Osten des Landes beendet ist, lässt er nicht durchblicken. Auf dem Maidan
       reihte er sich in die bunt gemischte Opposition gegen Janukowitsch ein. Er
       nennt sich einen rechten Nationalisten, legt aber Wert auf die
       Feststellung, dass rechts nicht faschistisch bedeute. „Unter den bis zu
       4.000 Dynamo-Ultras sind vielleicht fünf, maximal zehn Prozent Faschisten“,
       schätzt er. Die sind ihm, trotz seiner Abgrenzung, sichtlich sympathischer
       als die linken Ultras vom Zweitligisten Arsenal Kiew. Aber selbst mit
       Letzteren herrscht jetzt Waffenstillstand.
       
       Die eindrücklichste Bestätigung dafür bringt Andriy direkt von der Front
       mit: „Ich bin dort öfter, bringe meinen Freunden Nachschub. Wenn du in die
       Waffenkammer gehst, siehst du Sticker von jedem Fußballklub der Ukraine.
       Jeder Ultra, der reingeht, um seine Waffe zu holen, befestigt dort den
       Sticker seines Vereins. Über 200 Sticker sind da.“ Auf die Nachfrage, um
       welche Vereine es sich da genau handelt, meint er nur: „Ich kenne kein
       Team, das niemanden an der Front hat.“ Eine verblüffende Einheitsfront.
       
       Sie sollte allerdings auch andere Leute als den diesen „Waffenbrüdern“
       gleichermaßen stark verhassten Wladimir Putin beunruhigen. Denn niemand
       weiß, wer der nächste Gegner sein wird, der dann mit noch mehr
       Gewaltkompetenz rechnen muss. Andriy macht keinen Hehl daraus, dass er das
       gut findet: „Die Leute wissen jetzt, wie man eine Waffe benutzt, wie man an
       eine Waffe herankommt und wie der reale Kampf aussieht.“
       
       ## Beachtliches Aggressionspotenzial
       
       Dass auch die in Kiew verbliebenen Dynamo-Hools beachtliches
       Aggressionspotenzial besitzen, beweisen sie bei internationalen Spielen. Im
       August 2015 lieferten sie sich eine Straßenschlacht mit polnischen
       Legia-Hooligans. Und beim vorletzten Champions-League-Spiel griffen sie
       Fans des FC Chelsea wegen deren Hautfarbe an. Weil der Übergriff selbst von
       der Uefa als rassistisch gewertet wurde, wurde eine Sanktion verhängt: zwei
       Spiele im europäischen Wettbewerb unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
       
       Was auf den Rängen und vor den Stadiontoren wohl los sein wird, wenn erst
       die Frontkämpfer von dem hoffentlich schnell beendeten Krieg heimkehren?
       Auch wenn die ökonomischen Probleme im ukrainischen Fußball schwerwiegend
       sein mögen, bald hat man es vermutlich mit noch wesentlich komplizierteren
       Problemen zu tun.
       
       5 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tom Mustroph
       
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