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       # taz.de -- Eine bessere Agrarwirtschaft: Dein Landwirt und du
       
       > Die forcierte Industrialisierung der Landwirtschaft hat Bauern und
       > Verbraucher entzweit. Die taz schaut nach Alternativmodellen.
       
   IMG Bild: Solidarische Landwirtschaft hilft auch den Kühen
       
       BREMEN taz | Vermutlich lässt sich alles als Erfolg verkaufen. Als „eine
       [1][gute Nachricht]“ bezeichnete Bundesagrarminister Christian Schmidt
       (CSU) jedenfalls am Mittwoch, dass so viele Viehhalter Liquiditätsbeihilfen
       bei der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft beantragt haben.
       Schließlich sei damit das Funktionieren des Programms belegt. Dabei ist das
       eine Reaktion auf ein Desaster.
       
       Und viel spricht dafür, dass es durch die von Bund und Bauernverband
       forcierte Industrialisierung des Agrarbereichs mindestens mitverursacht
       wurde, die Landwirtschaft und Verbraucher, Dorf und Stadt radikal
       entkoppelt hat und immer schärfer in Frontstellung zueinander bringt.
       
       Bundesweit gab’s 7.800 Anträge. Davon kamen 1.863 aus Niedersachsen und 684
       aus Schleswig-Holstein. Darunter sind einige Schweinehalter, die meisten
       Anträge kommen aber von Milchbauern. Das Programm reagiert auf Notlagen:
       Voraussetzung für die Beihilfe ist ein Preisverfall des Produkts um
       mindestens 19 Prozent – und dass sie selbst einen großen Kredit laufen
       haben.
       
       Zumal Milchbauern haben vor dem Wegfall der Quote im vergangenen Jahr
       kräftig investiert, die Herden vergrößert, die Ställe modernisiert,
       Melkroboter angeschafft – ganz wie vom Deutschen Bauernverband und seinen
       Ländergliederungen empfohlen und von konservativen Agrarpolitikern begrüßt.
       
       Folge: Die Menge wächst. Seit Beginn des Jahrhunderts ist in Niedersachsen
       die Milchanlieferung um 30 Prozent von fünf auf sechseinhalb Millionen
       Tonnen gestiegen. Die Nachfrage bleibt gleich. Also sinkt der Preis. Der
       Versuch der Molkereien, Exportmärkte zu erschließen, klappt nur mäßig.
       
       Vor allem schafft er neue Abhängigkeiten: Mit Russland war man im Geschäft.
       Dann kam das Embargo. Also fällt der Preis weiter. Was die Molkereien kaum
       tangiert. Sie geben die Ausfälle an die Rohstofflieferanten weiter. Sollen
       die Bauern ihre neuen Turbokühe jetzt notschlachten?
       
       Dazu wird es nicht kommen. Dafür ist der durch intensives Lobbying genährte
       politische Wille, den Industrialisierungskurs des Agrobusiness weiter zu
       verfolgen, zu groß. Aber feststellen lässt sich, dass eine stärker von den
       Verbraucher- als von Lobbyinteressen geleitete Landwirtschaft die Bauern
       nicht in diese Misere geführt hätte.
       
       Oder besser gesagt hat: Denn der Preisverfall ereignet sich exklusiv in der
       konventionellen Landwirtschaft. So sank der „Rohstoffwert Milch“ laut
       [2][Kieler Institut für Ernährungswirtschaft] im Vergleich zum Vormonat
       erneut um 0,9 Cent pro Kilo und notierte damit im Dezember bei 23,4 Cent je
       Kilo Milch ab Hof. Bei Bio-Milch sieht das ganz anders aus: Deren
       Literpreis lag im Dezember durchschnittlich knapp über 49 Cent. Und er war
       2015 jeden Monat gestiegen.
       
       Die ökologische Landwirtschaft aber hat ihre Ursprünge auch in den
       Vorstellungen der Verbraucher: Die Alternativbewegung der 1970-Jahre war,
       daran erinnert die Bremer Aktivistin Jutta Draub-Ketelaar im taz-Interview
       (), ein wichtiger Impuls für deren Entstehen. Dieser Impuls hat die
       Gründung von Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften inspiriert wie der in
       Bremen, die nun einen Bürgerantrag in die Bürgerschaft eingebracht hat.
       
       Der gibt dem Bremer Senat auf, die Caterer von öffentlichen Mensen und
       Kantinen auf regionale und faire Agrarerzeugnisse, einen wachsenden Anteil
       von Bio-Produkten und einen Verzicht auf Billigfleisch zu verpflichten. Das
       würde die regionalen Absatzmöglichkeiten deutlich verbessern. Und die
       Preiskrise könnte so gemildert werden.
       
       Beim Bauernverband ist man allerdings noch weit entfernt von solchen
       Modellen: „Wir leben nicht in der Stadt wie Sie“, bedient Jörn Hauschild,
       der Pressemann im Kieler Bauernverband-Büro, in einem [3][offenen Brief] an
       Schleswig-Holsteins Agrarminister Robert Habeck (Grüne) ein altes Klischee.
       Der Brief endet mit einem „Tut uns leid“.
       
       Das ist sarkastisch gemeint. Denn in der Stadt wohnen, das ist beim
       Bauernverband offenkundig etwas Verächtliches. Wer in der Stadt wohnt, ist
       ahnungslos und ein Idiot. Und um Forderungen nach mehr Tierschutz, nach
       artgerechterer Haltung oder dem Verzicht auf Pestizide abzubürsten, reicht
       es dem Bauernverband meist, sie als von Städtern erhoben zu diffamieren.
       Gelegentlich wundert man sich zwar, dass das einstige Vertrauen fehlt:
       „Landwirtschaftliche Fachsprache und intern akzeptierte Bildbotschaften“
       kämen „draußen“ nicht an, wundern sich die Funktionäre. Also starten sie
       eine neue [4][Plakatkampagne].
       
       Mit der will der Bauernverband „Botschaften an den Verbraucher“ senden.
       Immerhin: Kommunikation kann helfen, wenn es darum geht, eine Ware an die
       Kunden zu bringen. Aber nur als Dialog: Klar werden die Städter weiter von
       irgendwo ihr Gemüse beziehen, ihre Milch und, außer sie sind angesichts von
       Tiermast-Horror-Bildern zum Vegetarismus konvertiert, auch ihr Fleisch.
       Aber sie lassen sich nicht mehr jede Schweinerei andrehen. Sie verdrängen
       nicht mehr, dass Essen in [5][Zeiten des Klimawandels] ein Politikum ist.
       
       Wenigstens nicht alle: Die taz.nord hat Modelle aufgesucht, die rund um die
       Städte entstehen oder sich schon etabliert haben: Modelle, die Transparenz
       ermöglichen durch einen direkteren Vertrieb, einen unmittelbaren Kontakt,
       sei es in Form von Netzwerken, die Produzenten und Konsumenten
       zusammenbringen, sei es in Gestalt von Betrieben, in denen eine
       solidarische Landwirtschaft längst nicht mehr nur erprobt wird: in denen
       die Ernte geteilt wird, und die Ernteausfälle auch. So wird Vertrauen
       möglich.
       
       Den ganzen taz.nord-Schwerpunkt zu alternativer Agrarwirtschaft lesen Sie
       in der taz.am Wochenende oder [6][hier].
       
       9 Jan 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.ble.de/DE/08_Service/03_Pressemitteilungen/2016/160106_Liquiditaetshilfeprogramm.html
   DIR [2] http://ife-ev.de/
   DIR [3] http://www.bauernverbandsh.de/aktuelle-meldungen_aktlink_index_29_43861_1_eintrag.html
   DIR [4] http://www.landvolk.net/Agrarpolitik/Artikel/2015/11/1545/%C3%96ffentlichkeitsarbeit.php
   DIR [5] http://ec.europa.eu/agriculture/survey/index_de.htm
   DIR [6] /!p4350/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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