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       # taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Mehr als nur Sport und Halle
       
       > Flüchtlinge immer in Turnhallen unterbringen zu wollen, zeugt von großer
       > Ignoranz. Denn gleichzeitig soll der Sport doch zur Integration
       > beitragen.
       
   IMG Bild: Umfunktionierte Turnhalle in Gera-Liebschwitz (Thüringen)
       
       Dieser Kommentar beginnt mit einem schlechten Scherz. Fluggäste der
       taiwanischen China Airlines sollen ihre Reise künftig nur noch in
       Sportkleidung antreten: Die Absturzopfer werden schließlich meist in
       Turnhallen aufgebahrt.
       
       Der Witz zeigt, dass Sportstätten mehr sind als nur Orte fürs Training von
       Spitzen-, Breiten- und Schulsport. Wie selbstverständlich werden die
       schmucklosen und so schwer zu beheizenden Hallen immer dann requiriert,
       wenn große Herausforderungen vor der Tür oder der Landesgrenze stehen. Die
       Zuwanderer aus Syrien, Nordafrika und dem Kosovo werden entsprechend in
       Turnhallen untergebracht: Feldbett an Feldbett und mit nicht allzu viel
       Respekt vor der Privatsphäre. 1989 wurden die DDR-Flüchtlinge aus
       Halle/Saale bekanntlich auch gerne in Halle/Turn untergebracht. Dass
       Vereins- und Schulsport solange ausfallen müssen, bis die Krise bewältigt
       ist, scheint selbstverständlich: Da ist Platz, da stören die nicht, und
       Duschen und Toiletten gibt es da auch!
       
       Zumindest der Hinweis auf die sanitären Einrichtungen ist ja in der Tat ein
       gewichtiges Argument, aber dennoch drückt sich in der
       Selbstverständlichkeit, mit der die Politik dem Sport die Belastung
       zuschiebt, die doch die gesamte Gesellschaft zu tragen hätte, auch eine
       Missachtung des Sports aus. Und darin offenbart sich ein tiefes
       Unverständnis, was Sport ist: Er ist, wie sonst vielleicht nur die Musik
       oder die Spiele von Kindern, eine universelle Sprache, in der alle Menschen
       kommunizieren, sich gegenseitig stützen und voneinander lernen können.
       
       Dass in dieser Gesellschaft körperliche Kompetenzen, gerade wenn sie sich
       sportlich ausdrücken, nicht gerade hoch geachtet werden, ist bekannt: Das
       erzieherische Vorbild ist ja eher der Streber, dem man die Vier im Turnen
       nachsieht. Wenn Flüchtlinge unterzubringen sind, darf der Streber seinen
       Turnbeutel vergessen.
       
       Warum nicht mal Schulen?
       
       Wie selbstverständlich werden für diese Menschen nämlich nicht die besser
       beheizten Bibliotheken mit ihren Lesesälen geräumt, vielleicht weil
       Duschcontainer aus Plastik nicht in der Nähe der Goethe-Gesamtausgabe
       stehen sollten. Klassenräume kommen auch nicht in die engere Auswahl, weil
       es zu Unterrichtsausfall käme. Dass sich auch Sportleistungskursler nicht
       aufs Abitur vorbereiten können – who cares? Ist doch nur Sport!
       
       Es ist aber nur der Sport, von dem gleichzeitig verlangt wird, einen großen
       Anteil der Integration der Zuwanderer zu leisten. Wann die Vereine das
       machen sollen? Vermutlich erst dann, wenn es nicht mehr so dringend ist.
       Das ist aber dann auch der Zeitpunkt, zu dem man viele Zuwanderer nicht
       mehr so gut erreichen kann, weil sie über die Republik verteilt wurden oder
       weil sie längst an ihren ethnisch oder kulturell nahestehende Communities
       angedockt haben.
       
       Dass in gesellschaftlichen Notsituationen Sportstätten zur Verfügung
       gestellt werden, ist unstrittig – auch bei Vereinen, deren Breitensport
       leidet (Spitzensport hingegen ist ja ohnehin nur wenig betroffen). Zu
       streiten sollte aber schon darüber sein, warum es in vielen Kommunen oft
       nur der Sport ist, der belastet wird. Soll der Sport jedoch leisten, was
       von ihm verlangt wird, braucht er Räume.
       
       10 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Krauss
       
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