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       # taz.de -- Lustige Hilfsgüter: Clowns und Helfer
       
       > Wenn in der russischen Provinz der Zirkus ausfällt, ist das für die
       > Kinder vor Ort eine „kulturelle Katastrophe“. Ein Bremer exportiert
       > Hilfsgüter: Clowns
       
   IMG Bild: Kira Petrov und Stefan Semken schicken Clowns nach Russland.
       
       BREMEN taz | Zirkus – das ist hierzulande ein tendenziell nostalgisch
       eingefärbtes Vergnügen. Eines, das Eltern ihren Kindern angedeihen lassen,
       damit sie nicht immer vor Fernseher oder Playstation sitzen. Der Bedarf ist
       mit gelegentlichen Gastspielen gedeckt, auch wenn die Nachfrage wächst. In
       der russischen Provinz sieht das hingegen etwas anders aus. Die meisten
       dortigen Zirkusunternehmen sind stationär und liefern eine ganzjährige
       Grundversorgung, an der durchaus Bedarf besteht.
       
       Und da liegt ein Problem, wenn einmal, wie derzeit in Nischni Tagil, unweit
       von Bingi, ein Zirkusgebäude renoviert werden muss. Dann fällt der Zirkus
       aus. „Eine kulturelle Katastrophe für die Kinder“, nennt Stefan Semken das,
       weil der Zirkus in Russland eine viel größere Bedeutung habe als hier.
       Semken weiß das, weil er zwar den Winter in seiner alten Heimat Bremen
       verbringt, doch seit 2007 für den Rest des Jahres in Bingi lebt.
       
       ## Artisten verdrücken sich
       
       Das alte Zirkusgebäude ist dringend sanierungsbedürftig. Für einen
       Ersatzspielort ist nicht gesorgt und die am Haus tätigen Artisten suchten
       sich schnellstmöglich andere Engagements. Semken beschloss zu helfen.
       Zunächst versuchte er einen Zirkus aus Sankt Petersburg zu engagieren, aber
       das klappte nicht. Semkens nächste Idee war, Artisten aus der Ukraine nach
       Nischni Tagil zu holen. „Das fördert die Völkerfreundschaft“, sagt er, aber
       offenbar ist das Interesse eben daran gering: „Da gab es keine Chance.“
       
       Über eine befreundete deutsche Journalistin bekam er schließlich Kontakt zu
       Bernd-Arno Kortstock, der in Hannover die Kleine Bühne betreibt. Kortstock
       überzeugte Semken davon, dass Artisten ohnehin die falschen Künstler für so
       ein Projekt gewesen wären – weil ja auch deren Gerätschaften transportiert
       werden müssten. Um die Kosten gering zu halten, entwickelte er die Idee,
       stattdessen eine Clownsshow nach Russland zu schicken.
       
       Ganz reibungslos ging aber auch das nicht: Zwar hatte Kortstock schnell
       acht Clowns aus der ganzen Bundesrepublik zusammengetrommelt, allerdings
       sprachen die allesamt kein Russisch, und Erfahrung mit dem dortigen
       Publikumsgeschmack hatten sie auch noch nicht gemacht. Und der ist
       speziell. Grinsend erzählt Semken, dass es zu den beliebtesten Vergnügen
       gehöre, wenn ein Mann in Frauenkleidern auftritt. Und ohne einen Moderator
       geht in Russland im Zirkus nichts – sogar bei seiner eigenen Hochzeit sei
       er nicht ohne ausgekommen, erinnert sich Semken.
       
       ## Know-how aus Bremen
       
       Hier kommt nun die Schauspielerin und Regisseurin Kira Petrov ins Spiel.
       Petrov leitet das Theater 11 in Bremen, das sich auch um interkulturelle
       Jugendprojekte kümmert – um Angebote für Kinder mit Migrationshintergrund,
       von denen viele russische Wurzeln haben. Wie Petrov selbst übrigens, die
       aus Sibirien stammt und in Sankt Petersburg Regie studierte. Petrov wollte
       ihrerseits schon lange nach Jekaterinburg fahren, um dort den Dramatiker
       und Theatermacher Nikolai Kolyada zu treffen, der dort nicht nur ein
       eigenes Kammertheater betreibt, sondern eben auch ein guter Bekannter von
       Stefan Semken ist.
       
       So willigte Petrov ein, die künstlerische Leitung der Clownsrevue zu
       übernehmen und ein Programm zusammenzustellen, das auch für russischen
       Geschmäcker geeignet ist. Die Not der Kinder kennt sie aus ihrer täglichen
       Arbeit: „Zu uns ins Theater 11 kommen viele Kinder, die wenig Geld haben,
       und ich weiß, wie sehr sie sich freuen, wenn sie Künstler von weit weg zu
       sehen bekommen.“ Für Inszenierungen im eigenen Theater hat Petrov bereits
       Clownsfiguren auf die Bühne gebracht und führt dort auch als Moderatorin
       durch den Abend. „Ich möchte, dass es eine Geschichte wird, in der ich der
       rote Faden bin“, erklärt sie.
       
       ## Wird schon klappen
       
       Petrov und Semken sind zuversichtlich. Neun Vorstellungen sind bereits
       organisiert: Drei in Jekaterinburg, eine in Bingi und fünf weitere in
       Nischni Tagil. Und das wird dann auch reichen müssen, um die Kinder mit
       ihrer winterlichen Zirkusdosis zu versorgen.
       
       Nur nur noch eine wichtige Zutat zu dem zirzenischen Winterwunder fehlt:
       Geld. Zumindest ein wenig. Auch bei der Suche nach Sponsoren für seine
       Projekte greift Semken gern auf seinen Bekanntenkreis zurück. Ein Bremer
       Familienunternehmen und eine Liechtensteiner Firma stifteten immerhin so
       viel, dass die Flugtickets bezahlt werden können. Woher er die Wohltäter
       kennt? „Das sind meine Touristen“, sagt Semken, der in seiner Wahlheimat
       Bingi eine kleine Pension betreibt. „Wenn ich denen mein Russland gezeigt
       habe, dann verstehen die, was ich da mache und wie man einen positiven
       Eindruck hinterlassen kann.“
       
       2.000 Euro hat er immerhin schon zusammen. Das ist nicht viel, sollte nach
       Semkens Meinung aber ausreichen: Die Flüge kosten 300 Euro pro Kopf, Visum
       und Unterbringung vor Ort sind günstig. Und für die Fahrten von Stadt zu
       Stadt nimmt Semken sein eigenes Auto. Wenn dann noch genügend Menschen zu
       den Vorstellungen kommen, bleibt auch noch etwas für die Clowns übrig. Und
       für den Fall, dass nicht, haben sie ohnehin längst angeboten, für Spesen
       aufzutreten.
       
       28 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Schnell
       
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