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       # taz.de -- Lebensgefahr fürs Baby: „Die Täter wissen oft nicht, was sie tun“
       
       > Der Kinderarzt Karl-Heinz Deeg über die Folgen des Schütteltraumas bei
       > Babys. Das Schütteln sei eher Hilflosigkeit als bewusste Misshandlung.
       
   IMG Bild: Eltern müssen vorsichtig sein, denn bei kleinen Kindern sind die Halsmuskeln noch schwach
       
       taz: Herr Deeg, warum ist ein Schütteltrauma für Babys so gefährlich? 
       
       Karl-Heinz Deeg: Der Kopf eines Säuglings ist im Unterschied zum Körper
       sehr groß. Ein Neugeborenes kann seinen Kopf nur schlecht kontrollieren,
       erst mit einem halben Jahr, wenn es zu sitzen beginnt, sind die Halsmuskeln
       so gut entwickelt, dass eine bessere Kopfkontrolle möglich ist. Wenn man
       ein sehr kleines Kind mit den Händen unter die Achseln hält, hin und her
       schüttelt und auffordert: „Hör endlich auf zu schreien!“, dann schleudert
       sein Kopf genau in diesem Takt hin und her.
       
       Das klingt nach einer Alltagssituation. 
       
       Den Leuten ist nicht bewusst, wie extrem gefährlich das ist. Der schwere
       Kopf schleudert unkontrolliert vor und zurück. Wie bei einem Aufprallunfall
       mit dem Auto, nur dass es für das Kind viel schlimmer ist. Wird der Körper
       nach vorne bewegt, schleudert der Kopf phasenverschoben nach hinten. Bewegt
       sich der Körper nach hinten, schleudert der Kopf nach vorn.
       
       Und das schädigt das Hirn? 
       
       Das Hirn schwimmt in Flüssigkeit, dem Nervenwasser. Die außen lokalisierte
       graue Substanz des Gehirns ist über kleinste Gefäße mit den sie umgebenden
       Hirnhäuten verbunden. Die innere weiße Substanz ist demgegenüber nicht
       fixiert. Durch das Schleudern verschieben sich graue und weiße Substanz
       gegenläufig zueinander. An der Grenze zwischen grauer und weißer Substanz
       kann es zu Zerreißungen kommen. Die Nervenzellen können dann keine Impulse
       mehr weiterleiten. Schwerste neurologische Schäden mit geistiger
       Behinderung sind die Folge.
       
       Wie reagiert das Kind? 
       
       Wenn es zu Verletzungen im Gehirn gekommen ist, hört das Kind eventuell auf
       zu schreien. Es kann zu Bewusstseinstrübungen, zur Hirnschwellung und zu
       Hirnblutungen kommen. Ein Kind muss daran nicht unbedingt sterben. Es kann
       jedoch zu schweren geistigen Behinderungen führen.
       
       Wie stellen Sie als Arzt ein Schütteltrauma fest? 
       
       Es ist schwer zu diagnostizieren. Da man dem Kind die Hirnverletzungen
       nicht ansieht, muss man zunächst daran denken, dass eventuell ein
       Schütteltrauma vorliegt. Beim jüngsten Fall, den ich hatte, wurde ein Baby
       gebracht, das schlecht trank, bewusstseinsgetrübt war und nur noch
       wimmerte. Mit hoch auflösenden Ultraschalluntersuchungen oder einer
       Kernspintomografie des Gehirns kann man die Verletzungen sichtbar machen.
       Typisch für das Schütteltrauma sind zudem Netzhautblutungen, sodass der
       Augenhintergrund untersucht werden sollte.
       
       Gibt es Risiko-Konstellationen? 
       
       In der Regel sind es junge Eltern, oft aus schwächeren sozialen Schichten,
       sowie Menschen ohne berufliche Perspektive. Häufig sind die Täter Männer.
       Bei alleinerziehenden Müttern ist es dann vielleicht nicht der Vater des
       Kindes, sondern ein Freund. Der fühlt sich in dem, was er tut, gestört, und
       will seine Ruhe.
       
       Geschieht dies aus böser Absicht? 
       
       Nein. Wenn man ein Kind schlägt und ihm die Knochen bricht, dann ist das
       eine bewusste Kindesmisshandlung. Das Schütteln ist eher eine Hilflosigkeit
       und keine bewusste Misshandlung. Aber auch gerade deshalb gefährlich.
       
       Ein jungen Vater in Hamburg wurde gerade zu sieben Jahren verurteilt, weil
       sein Kind durch Schütteln sehr schwer verletzt wurde. 
       
       Das finde ich lange. Nicht dass ich das gut finde, ich bin Anwalt des
       Kindes. Aber die Täter wissen oft gar nicht, wie gefährlich das ist was sie
       tun.
       
       Passiert es häufiger als früher? 
       
       Nein. Aber, die inneren Verletzungen sind heute durch die modernen
       bildgebenden Verfahren früher und besser zu erkennen.
       
       Was sollte man tun als Prävention? 
       
       Zum einen die Gefahr bekannter machen in der Öffentlichkeit. Zum anderen
       ist das Schütteltrauma oft ein mehr-zeitiges Ereignis. Das heißt, die
       meisten betroffenen Kinder wurden nicht nur einmal geschüttelt und sterben
       nicht beim ersten Mal daran. Wenn man es rechtzeitig diagnostiziert, kann
       man eingreifen und das Kind aus der Familie nehmen.
       
       7 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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