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       # taz.de -- Großangriff auf einen Stadtteil: Der Kampf um Connewitz
       
       > Über 200 Neonazis nehmen Leipzigs Alternativviertel Connewitz
       > auseinander. Der Angriff läutet eine neue Ära ein.
       
   IMG Bild: Zertrümmerte Scheiben im Leipziger Stadtteil Connewitz.
       
       Leipzig/Berlin taz | Der Abend der Verwüstung beginnt in einer abgelegenen
       Seitenstraße zwischen einem Gewächshaus und einer Industriehalle. Threnaer
       Straße, Montagabend. Von hier bis ins Zentrum des neuen Straßenkampfes sind
       es, zu Fuß, 1.500 Meter. Nur selten ist der ruhige Weg in diesem
       Gewerbegebiet so voll beparkt.
       
       Ein dunkler Mercedes fährt heran. Aus Pirna, Dresden und Gera kommen Autos
       an. Mal sind es Kleinwagen, mal ältere Volkswagen der Mittelklasse. Zwei
       Autos mit Wiener Kennzeichen halten ebenfalls hier, eines ist offenbar ein
       Mietwagen. Trainierte Typen, schwarz gekleidet, steigen aus. Sie lassen
       ihre Handys im Wagen. In einem Auto ist eine Axt zu sehen. Dann gehen sie
       hinüber und nehmen die Läden an der Wolfgang-Heinze-Straße, der Hauptstraße
       von Connewitz, auseinander.
       
       Sie schlagen die Fensterscheiben eines Dönerladens ein, stecken Mülltonnen
       in Brand, attackieren Straßencafés und Szenekneipen. Schließlich demolieren
       sie den Laden von Roter Stern Leipzig, einem Fußballverein mit linker
       Fanklientel. Innerhalb von Minuten ist der gesamte Straßenzug demoliert.
       Eine kurze, koordinierte Aktion. Connewitz brennt. Wieder.
       
       Connewitz. Das ist nicht irgendein Stadtteil im Leipziger Süden, sondern
       auch eine Chiffre. Sosehr es in den letzten Jahren die Angst um den Osten
       gab – soziale Verrohung, Rassismus und offene Gewalt –, so sehr galt
       Connewitz als die letzte Bastion einer ostdeutschen Alternativkultur;
       verankert, um zu bleiben. Hier hält eine linksalternative Studentenszene
       und eine radikale, überwiegend antideutsch geprägte Antifa ihr Zentrum. Und
       nun steht wieder alles auf dem Spiel.
       
       In den 90er Jahren war Connewitz schon einmal Schauplatz eines andauernden
       Straßenkampfes. Auf der einen Seite eine linksradikale Autonomenszene, die
       ihre Lebenskultur und auch die manch anderer Minderheiten verteidigte, auf
       der anderen Seite wöchentliche Gewalttaten von Neonazis. Dann, lange, wurde
       es ruhiger.
       
       211 Festnahmen zählte die Polizei nun am Montagabend, nahezu der gesamte
       rechte Block. Die Beamten waren schnell zur Stelle. Und dann durften sie
       Zeugen werden, wie sich diese große, selbstbewusste Bande stämmiger
       Neonazihools in aller Ruhe festnehmen und abführen ließ, so als sei eine
       Nacht auf der Wache nur ein Zeugnis für sie, eine Belohnung für
       erfolgreiche Gesellschaftsintervention.
       
       Seit Wochen hatten Neonazikreise auf diesen Tag hingearbeitet, ihn mehr
       oder weniger offen angekündigt. Zuletzt wurden die sächsischen Politiker
       Jürgen Kasek, Landesvorsitzender der Grünen, und die Linken-Politikerin
       Juliane Nagel offen bedroht. Auf Twitter konnten sie lesen: „Schlaft ihr
       heute zu Hause? Jeder bekommt was er verdient.“
       
       ## Eine „Überraschung“ war angekündigt
       
       Im Internet hatten Rechtsextreme schon zuvor von einer „Überraschung“ zum
       ersten Jahrestag der Legida-Demonstration gesprochen, die am Montagabend
       nur vier Kilometer weiter nördlich stattfand. Dort stand auch Hannes
       Ostendorf von der Band „Kategorie C“ auf der Bühne, die dem Hogesa-Spektrum
       nahesteht und europaweit bei Neonazi-Veranstaltungen spielt. Dass gerade
       hinreichend weit von der Demonstration entfernt der tätliche Flügel des
       neonazistischen Hooliganspektrums Connewitz verwüstete, war also alles
       andere als ein Zufall.
       
       Die Leipziger Polizei wies am Dienstag auf den Hintergrund der Randalierer
       von Connewitz hin: Diese seien weitestgehend polizeibekannt als „rechts
       motiviert“ oder „Gewalttäter Sport“. Die meisten entstammten demnach den
       rechtsradikalen Fangruppierungen der Fußballvereine Lokomotive Leipzig und
       des Halleschen FC. Tatsächlich deuten auch die Aufkleber und Utensilien auf
       und in den Autos in der Threnaer Straße auf diesen Hintergrund hin.
       
       Doch auch wenn der Angriff auf Connewitz aus dem Fußballmilieu organisiert
       und getragen ist – mit Fanrivalitäten hatte er höchstens am Rande zu tun.
       Es ist beunruhigender: Der gezielte Großangriff auf Connewitz steht in
       einer Reihe zahlreicher offiziell noch ungeklärter Brandangriffe, die eine
       deutliche Sprache sprechen.
       
       ## Ein koordinierter Brandanschlag
       
       Erst vor zwei Wochen waren in Leipzig in einer Nacht 13 Bau- und Wohnwagen
       aus dem alternativen Spektrum gezielt in Brand gesetzt worden. Die Taten
       fanden zeitgleich an drei verschiedenen Orten statt – was für einen
       koordinierten Brandanschlag gegen Links spricht.
       
       Am Wochenende brannte in Leipzig ein auch aus der linken Szene aufgesuchtes
       Kampfsportstudio aus. Eine Polizeisprecherin sagte der taz am Dienstag, die
       Ermittler gingen derzeit auch hier von Brandstiftung aus. Und so steht der
       Angriff auf Connewitz in einer Reihe massiver Übergriffe, die eine neue
       Dimension einer radikalisierten Rechts-links-Auseinandersetzung markieren
       dürften.
       
       Dass die wenig zimperliche und gut vernetzte radikale Linke in Leipzig
       einen solchen Angriff widerspruchslos hinnehmen wird, ist kaum zu erwarten.
       Schon als die Polizisten am Montagabend die festgesetzten Neonazis in einem
       Bus abtransportieren wollten, attackierten Linksautonome das Fahrzeug. Auch
       die Autos in der Threnaer Straße waren am Ende der Nacht demoliert. Bei
       einigen waren die Scheiben eingeschlagen, ein anderes ging in Flammen auf.
       In Connewitz brennt es wieder, und zwar richtig. Dies ist ein Wendepunkt.
       
       12 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jennifer Stange
   DIR Martin Kaul
       
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