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       # taz.de -- Verleihung Deutscher Fernsehpreis: „Niemand schaut uns zu“
       
       > In Düsseldorf feiert sich die Branche – zeigt das aber nicht im
       > Fernsehen, weil das außer ihr selbst wohl keiner sehen will.
       
   IMG Bild: Finden sich ganz dufte: Preisträger beim Deutschen Fernsehpreis in Düsseldorf.
       
       Der Deutsche Fernsehpreis hat einen neuen Marcel Reich-Ranicki. Er heißt
       Hubertus Koch, ist 25 Jahre alt und könnte auch Skater und Bandleader sein.
       Im Gegensatz zu Reich-Ranicki, der seinen Preis 2008 abgelehnt hatte, nahm
       der völlig überraschte Koch seinen am Mittwochabend zwar an, nutzte seine
       Dankesrede aber für eine Hasstirade gegen das deutsche Fernsehen.
       
       Das „kalte Kotzen“ bekomme er, wenn er den Fernseher anschalte. Koch war
       nur mit einer Kamera ausgestattet nach Syrien gefahren und hatte dort eine
       Reportage gedreht und sie auf YouTube gestellt. 160.000 mal wurde sie
       angeklickt. Seit er zurück sei, müsse er sich nur aufregen, weil das
       Fernsehen in Unterhaltung ersticke. Koch schimpfte, mit Tränen in den Augen
       und Wut in der Stimme, was die toughe Moderatorin Barbara Schöneberger
       sichtlich nervös machte. Aber: Koch bekam Applaus.
       
       So ganz allein scheint er mit seiner Einschätzung also nicht zu sein, auch
       wenn man an diesem Abend zwischen langen Kleidern, hohen Schuhen und
       Düsseldorfer Bussi-Bussi den Eindruck bekam, dass sich die Branche
       eigentlich ganz dufte findet.
       
       Dabei war der Fernsehpreis schon längst tot. Vor drei Jahren hatten sich
       die Stifter ARD, ZDF, RTL und Sat.1 verkracht und entschieden, 2014 den
       letzten Fernsehpreis zu vergeben. Im letzten Sommer dann die Meldung: Der
       Fernsehpreis kommt zurück – nicht als pompöse Gala, sondern als
       „Branchentreff“: neuer Ort, neue Preiskategorien – und vor allem ein
       „off-air event“.
       
       ## Klingt schlimmer, als es war
       
       Aus Angst, dass die Quote mies wäre, hatten die Stifter beschlossen, den
       Fernsehpreis nicht im TV zu übertragen. „Niemand schaut uns zu, Sat.1 kennt
       das Gefühl“, sagte Barbara Schöneberger. Das ist ein bisschen lustig: Die
       Fernsehbranche feiert sich – zeigt das aber nicht im Fernsehen, weil das
       außer ihr selbst niemand sehen will.
       
       Absurd ist das auch, wenn man bedenkt, dass die Golden Globes, die Anfang
       der Woche verliehen wurden, 18,5 Millionen TV-Zuschauer in den USA hatten.
       Gut: größeres Land, mehr Menschen, mehr Zuschauer. Aber auch: mehr Glamour,
       mehr Show, besseres Fernsehen.
       
       Das mit der Show wollten sie beim Fernsehpreis dann aber zumindest
       probieren und so begann der Abend mit einer Parodie auf Star Wars – „Klar
       Wars“ mit WDR-Intendant Tom Buhrow als Gebührenritter „Major Tom“ und
       ZDF-Intendant Thomas Bellut als Yoda, der erklärte: „Glauben du musst an
       die Macht der Gebühren“. Klingt schlimmer, als es war.
       
       Wie gierig die Fernsehmacher auf die USA schauen, wurde auch in der
       Kategorie „Beste Serie“ klar. Da schwärmte die Jury, die deutsche Serie sei
       auf US-Niveau angekommen. Ausgezeichnet wurde dann nicht der Favorit
       „Deutschland 83“, sondern die Vox-Produktion „Club der roten Bänder“ über
       sechs Kinder auf einer Krankenstation.
       
       Vox gewann auch die beste Reportage für „Asternweg“ über einen sozialen
       Brennpunkt in Kaiserslautern. Und das zeigt schon, dass der wütende
       Hubertus Koch nicht so ganz recht hatte. Immerhin hatten die Stifter
       beschlossen, in der Sektion „Information“ ausschließlich Berichterstattung
       über Flüchtlinge und Rechtspopulismus zu ehren. Ausgezeichnet wurde die
       N24-Produktion, die einen Tag von den Brennpunkten der Flüchtlingskrise
       berichtete, und der NDR-Reporter Michel Abdollahi für seine Reportage aus
       dem Nazidorf Jamel.
       
       Die „Königskategorie“, Bester Schauspieler, ging an „Deutschland 83“- und
       „Tannbach“-Darsteller Jonas Nay, das weibliche Pendant an Ina Weisse.
       Bester Fernsehfilm wurde die ARD-Neuverfilmung des KZ-Dramas „Nackt unter
       Wölfen“. Comedy, die Kategorie, die bei anderen Veranstaltungen vor allem
       dafür eingeführt wurde, damit auch die Privaten mal einen Preis bekommen,
       ging an „Die Anstalt“ vom ZDF.
       
       Jan Böhmermanns „Neo Magazin Royale“ wurde beste Unterhaltung Late-Night.
       Hätte er nicht gewonnen, hätte er sich schwarz angemalt und wäre als Günter
       Wallraff aufgetreten, sagte er später. Wallraff nämlich wurde für sein
       Lebenswerk geehrt. Darüber freute er sich zwar, fühlte sich aber aufs
       „Altenteil katapultiert“. Aber es tröstet ihn sicher, dass das außer der
       Branche kaum einer gesehen hat.
       
       14 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Fromm
       
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