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       # taz.de -- Wie vor 20 Jahren: Es brennt
       
       > 20 Jahre nach dem Anschlag von Lübeck brennen wieder
       > Flüchtlingsunterkünfte. Nach Bekanntwerden von sexuellen Übergriffen
       > kippt die Stimmung.
       
   IMG Bild: In der Lübecker Hafenstraße verbrannten am 18. Januar 1996 zehn Menschen
       
       HAMBURG taz | Wenn es doch bloß Geschichte wäre. Ein dunkles Kapitel aus
       dem Rüpelalter der Berliner Republik, als das neue Deutschland sich seiner
       selbst mit Feuer und Schwert zu vergewissern suchte. Solingen, Mölln,
       Lübeck – das sind bis heute Orte der Scham für viele Deutsche, und Orte der
       Angst für viele Nichtdeutsche.
       
       Hier wurde offensiv und tödlich vertreten, was die Politik vorgegeben
       hatte: „Wir“ sind ein Volk, und „die“ gehören nicht dazu. Was Kohls
       „Rückkehrhilfen“ für „Gastarbeiter“ nicht besorgt hatten, sollten nun die
       Flammen erledigen.
       
       Gehört der Brandanschlag auf das von Ausländern bewohnte Haus in der
       Lübecker Hafenstraße vor 20 Jahren überhaupt in diese Reihung? Schließlich
       ist bis heute nicht erwiesen, wer das Feuer legte, in dem zehn Menschen
       verbrannten. Dennoch, er gehört dazu. Denn natürlich war auch Lübeck danach
       ein Ort der Angst für Nichtdeutsche.
       
       ## Schlampige Beweisaufnahme
       
       Und ein Ort der Scham ist die Stadt allein schon, weil die Ermittlungen im
       Sande verlaufen sind – und wie. Schlampige Beweisaufnahme. Verdächtige mit
       versengten Haaren, die Geständnisse ablegen – und später widerrufen. Ein
       Beschuldigter, der einzige Nichtdeutsche und selbst eines der Opfer, der
       wegen eines einzigen, im Getümmel vermeintlich mitgehörten Worts durch zwei
       Instanzen um seine Freiheit kämpfen muss. Das klingt heute unvorstellbar.
       
       Dabei erinnert heute Vieles an die Situation Anfang der 90er-Jahre. Wie ein
       deutscher Automatismus scheinen steigende Flüchtlingszahlen eine drastische
       Zunahme rassistischer Anschläge nach sich zu ziehen: 2014 gab es bundesweit
       sechs Brandanschläge auf Unterkünfte, 2015 waren es 82. Was die Politik
       nicht schafft, soll auf der Straße durchgesetzt werden: Abschreckung durch
       Mordversuch. Purer Zufall, dass bei Anschlägen wie dem im niedersächsischen
       Salzhemmendorf niemand ums Leben kam.
       
       ## Option für die bürgerliche Mitte
       
       Zumindest in ihrer Häufung neu ist eine etwas subtilere Form des xenophoben
       Terrors: Einen regelrechten Boom erfuhren in den vergangenen Monaten
       Brandanschläge auf noch nicht bewohnte Flüchtlingsunterkünfte.
       
       Sie sind weniger riskant und damit auch für die bürgerliche Mitte zur
       Option geworden. Denn wer wie der Finanzbeamte aus dem Hamburger
       Speckgürtel dabei erwischt wird, wie er sein „Idyll“ mit Feuer verteidigt,
       kommt oft mit einer Bewährungsstrafe davon.
       
       Dieser taktische Einsatz von Brandbeschleuniger ist heutzutage auch
       deswegen möglich, weil Verwaltungen transparenter agieren als vor 20 Jahren
       – und weil etwa ihre Entscheidungen über Standorte für
       Flüchtlingsunterkünfte in den sozialen Netzwerken viel schneller verbreitet
       werden.
       
       Aufgeklärt wird nicht mal jeder vierte Brandanschlag auf ein
       Flüchtlingsheim. Bei Brandstiftungen insgesamt ist es immerhin ein gutes
       Drittel. Offenbar ist seit Lübeck bei Polizei und Justiz nicht viel
       passiert.
       
       Den ganzen taz.nord-Schwerpunkt zum Thema „20 Jahre Brandanschlag in
       Lübeck“ lesen Sie in der taz.am Wochenende oder [1][hier].
       
       15 Jan 2016
       
       ## LINKS
       
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