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       # taz.de -- Kurzes aus der Region: Die Niedersachsen-Kurzfilm-Rolle
       
       > Zum zweiten Mal wurde mit den „Nord Shorts“ ein etwa 90 Minuten langes
       > Programm mit Kurzfilmen aus der Region zusammengestellt, das jetzt in die
       > Kinos kommt.
       
   IMG Bild: Autobiografische Spurensuche und ein Porträt der Stadt Salzgitter: Alexandra Gerbaulets Essayfilm „Schicht“.
       
       Bei Kurzfilmen gilt immer noch die Regel: Es werden viele gemacht, die dann
       Wenige sehen. Denn für das Kino sind nur Formate interessant, die
       mindestens 90 Minuten lang sind. Deswegen werden Kurzfilme oft zu
       sogenannten Rollen montiert. Ein Begriff, der in Zeiten des digitalen Kinos
       zwar anachronistisch ist, aber das gilt streng genommen auch für den Film,
       der längst nicht mehr durch Kameras und Projektoren läuft.
       
       Die Idee, die besten Kurzfilme Niedersachsens in einem Programm zu bündeln
       und durch die Kinos der Region zu schicken, ist nicht neu. Das Film und
       Medienbüro Niedersachsen hat schon vor Jahren damit begonnen. Doch dann gab
       es Schwierigkeiten mit der Finanzierung, sodass nun das zweite „Nord Shorts
       Kurzfilmprogramm“ auf dem Markt ist.
       
       Die diesjährigen Auswahl hat eine große stilistische und thematische
       Bandbreite. Es fehlt zwar ein bei derlei Kompilationen eigentlich schon
       obligatorischer Animationsfilm, aber die Palette reicht von der
       Feel-Good-Komödie über ein historisch, politisches Drama bis zum
       autobiografischen Essayfilm.
       
       Und auch das Sub-Genre des „Films im Film“ ist vertreten. Im 14 minütigem
       Film „Nach dem Regen“ erzählt Tanja Schwerdorf vom 30-jährigen
       Filmset-Runner Jonathan, der bei den Dreharbeiten zu einem Spielfilm über
       die Geschwister Scholl heillos überfordert ist. Auf der untersten Stufe der
       Hackordnung einer Filmproduktion muss er sich um alles Mögliche kümmern: Er
       bringt die Hauptdarstellerin in den Drehpausen in ihren Wohnwagen und
       achtet zugleich darauf, dass alle elektrischen Leitungen stehen. Ein
       Wolkenbruch bringt ihn zur Verzweiflung, aus der er sich in einen Tagtraum
       flüchtet.
       
       Indem hier das Filmhandwerk aus der denkbar niedrigsten Perspektive gesehen
       wird, verliert es jeden Glamour. Der Film ist auf der Höhe der Zeit, weil
       er authentisch und komisch die Grenzen des im modernen Arbeitsleben
       geforderten „Multitaskings“ deutlich macht.
       
       Auf den ersten Blick hat der 22-minütige Kurzspielfilm „Chain“ von Eike
       Bettinga nichts Norddeutsches an sich. Doch der Drehbuchautor und Regisseur
       Eike Bettinga stammt aus Aurich und auch wenn er inzwischen in Berlin lebt,
       reichte dies aus, damit seine aufwendige und internationale Produktion von
       der Filmförderanstalt der Region Nordmedia mitfinanziert wurde. Der in
       Bulgarien gedrehte Film erzählt eines der letzten tragischen Kapitel des
       kalten Kriegs.
       
       An der Grenze von Bulgarien zu Griechenland gab es einen streng
       durchgesetzten Schießbefehl, dem Jahrzehntelang viele Flüchtlinge aus der
       DDR zum Opfer fielen, die letzten nur wenige Monate vor der Öffnung der
       Mauer im Jahr 1989. Der Filmemacher hat um diese historischen Fakten ein
       Drama imaginiert, in dem eine junge deutsche Frau auf einem Landweg einen
       Bulgaren im gleichen Alter trifft, der ihr dabei hilft, die abgesprungene
       Kette ihres Fahrrads wieder aufzuziehen. Diese titelgebende Kette ist eine
       Metapher für die Zwänge, die die beiden Protagonisten noch einmal
       zusammenführen wird. Geschickt erzählt und in der heißen Sommerlandschaft
       Bulgariens stimmungsvoll fotografiert. Interessant ist auch, dass der Film
       auf einem Festival in Südkorea den Grand Prize gewonnen hat, denn dort hat
       er noch eine ganz andere Wirkung als anderswo.
       
       Im indischen Kolkata hat der in Hannover gedrehte „Der alte Mann und die
       Katze“ von Uli Klingenschmitt auf einem Kurzfilmfestival die Preise für das
       beste Drehbuch und den besten Film bekommen. In 10 Minuten wird hier davon
       erzählt, wie ein einsamer alter Mann seinen 80. Geburtstag feiert. Dabei
       arbeitet der Regisseur mit verschiedenen Realitätsebenen, sodass lange
       nicht zu erkennen ist, ob die Katze und eine nette junge Nachbarin wirklich
       mitfeiern oder vom Protagonisten imaginiert werden. Der Regisseur hat mit
       Hannes Stelzer einen grandiosen Hauptdarsteller gefunden, den er zu Recht
       mit vielen Großaufnahmen feiert.
       
       Nicht nur der längste, sondern auch der ambitionierteste Teil des Programms
       ist der Essayfilm „Schicht“ von Alexandra Gerbaulet. Für 28 Minuten begibt
       sie sich darin auf eine autobiografische Spurensuche, in deren Rahmen sie
       auch ein historisches und soziales Porträt ihrer Heimatstadt Salzgitter
       entwirft. In einem frei assoziativen Stil, der an die Montagetechnik von
       Chris Marker erinnert, verbindet sie die eigene Familiengeschichte mit der
       Entwicklung der Industriestadt. Als ein Leitmotiv, das zugleich
       melancholisch und naiv, optimistisch wirkt, hat sie dabei immer wieder
       einen Musikclip der Schlagersängerin Alexandra eingeschnitten und
       verfremdet , nach der ihre Eltern sie benannt haben. Auch sonst bedient sie
       sich bei vielen Bildquellen: historischen Archiv-Aufnahmen, Fotos, privaten
       Amateurfilmen und einigen eigenen Aufnahmen von ihrem Vater. Das Ergebnis
       ist ein faszinierender, raffiniert gewobener Flickenteppich aus
       Erinnerungen, der im letzten Jahr in Oberhausen als bester Film
       ausgezeichnet wurde.
       
       Das Programm beendet die 10 Minuten lange romantische Komödie „Irgendwohin“
       des jungen Filmemachers Constantin Maier aus Hannover. Darin wird einmal
       mehr das Motiv der falschen Zimmernummer bemüht. Der junge, verträumt
       wirkende Daniel will sich nicht damit abfinden, dass seine Freundin per SMS
       mit ihm Schluss gemacht hat. Doch mit ihrem riesigen Lieblingsteddybären in
       der Hand klopft er an die falsche Tür und trifft dort die Richtige.
       Zwischendurch haut ihm an einer anderen falschen Tür noch irgendjemand ein
       blaues Auge. Aber umso mehr gönnt man ihm schließlich das Happy End.
       
       21 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
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