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       # taz.de -- Sind Quallen vegan?: Elegante Quälgeister
       
       > Dürfen Veganer Quallen essen? Darüber wird nicht nur in der taz
       > gestritten: Die giftigen Medusen jedenfalls sind anpassungsfähig und sehr
       > schön.
       
   IMG Bild: Macht das hungrig? Wie lecker sind Quallen? Und darf man sie überhaupt essen?
       
       Als der Schauspieler Til Schweiger auf seiner Facebookseite ein Video
       veröffentlichte, auf dem ein Mann mit einer Flasche zwei Feuerquallen
       zerquetscht, waren sein Fans empört: „Wie gestört kann man eigentlich
       sein?“ und „Soll ich Tierquälerei jetzt lustig finden???“
       
       Die Welt fragte den Hamburger Quallenforscher Gerhard Jarms, ob Quallen
       Schmerzen empfinden können. Wahrscheinlich nicht, antwortete der. Die
       Zeitung erinnerte zudem an einen berühmten Quallenversteher: den Jenaer
       Zoologen Ernst Haeckel: „Alle übrigen Tierformen werden an Schönheit und
       Zierlichkeit von den herrlichen Siphonophoren übertroffen“, schrieb er und
       schilderte diese auch Staatsquallen genannten Hohltiere als „zierliche
       Blumenstöcke“ mit „Blüten, durchsichtig wie Glas“.
       
       Die Aquarelle, die er von ihnen malte, gehören zu den schönsten
       naturkundlichen Darstellungen des 19. Jahrhunderts. Eine Fahnenqualle
       benannte Haeckel nach seiner früh verstorbenen Frau Anna Sethe, die er sehr
       liebte: ‚Desmonema annasethe‘.“Bei den „Staatsquallen“ gibt es eine Art,
       die für Menschen besonders schmerzhaft und manchmal sogar tödlich ist: die
       „Portugiesische Galeere“ (Physalia physalis).
       
       Haeckel schätzte die „Siphonophoren“ vor allem weil sie aus Tausenden von
       Individuen bestehen, die Arbeitsteilung praktizieren, indem sie
       verschiedene Funktionen ausfüllen: Beutefang, Verdauung, Verteidigung,
       Vermehrung usw. Damit ähneln sie einem „stark centralisirten“ und
       „hochcivilisirten Culturstaate,“ fand er. Der Biologe Mark Martindale
       entdeckte in ihnen die gleichen Gene, die bei Säugetieren die Aufteilung
       und den Aufbau des Körpers steuern.
       
       ## „Spiele, Eleganz und das Lächeln der neuen Freiheit“
       
       Die Welt fand: „Viel haben sie bei den Quallen nicht aufzubauen. Hohltiere
       besitzen kein Herz, kein Gehirn und kein zentrales Nervensystem. Die
       einzigen Organe, die bei der in Nord- und Ostsee häufigen Ohrenqualle als
       rosa Ringe im ansonsten durchsichtigen Fladenkörper auffallen, sind die
       Geschlechtsteile.“ Die Quallen – auch Medusen genannt – erzeugen durch
       geschlechtliche Fortpflanzung Larven. Diese setzen sich irgendwo fest und
       entwickeln sich zu Polypen. Die Polypen erzeugen daraufhin auf
       ungeschlechtlichem Weg – durch „Sprossung“ – wieder freischwimmende
       Quallen.
       
       Der von der Französischen Revolution beflügelte Naturforscher Jean-Baptiste
       de Lamarck, der den Begriff „Biologie“ prägte, befasste sich mit
       „wirbellosen Tieren“; in den Korallenriff-Gemeinschaften hatten es ihm vor
       allem die Quallen – franz. „Méduses“ – angetan. In ihnen sah er „die
       Spiele, die Eleganz und das Lächeln der neuen Freiheit“ verkörpert.
       
       Inzwischen werden die Quallen weltweit eher als Bedrohung wahrgenommen,
       weil sie sich wegen Überfischung und Verschmutzung der Meere ungehemmt
       ausbreiten; hinzu kommt die Erwärmung des Wassers, was die rhythmische
       Pulsation ihres Magens und ihre Schwimmbewegungen mit dem Schirm (beides
       geschieht über Ringmuskeln) beschleunigt – und damit auch ihren
       Nahrungsbedarf.
       
       Polypen wie Medusen leben von Plankton (gr. das Umherirrende), Letztere
       können mit ihren Tentakeln aber auch kleine Fische und Krebse fangen.
       Anfang der achtziger Jahre gelangte – vermutlich über das Ballastwasser von
       Frachtschiffen – eine Rippenquallenart (die Meerwaldnuss) in das Schwarze
       Meer, wo sie sich derart vermehrte, dass schließlich 240 Exemplare pro
       Kubikmeter Wasser gezählt wurden. Erst durch Aussetzen ihres Fressfeindes
       Beroe ovata (eine andere Rippenquallenart) konnte ihre Population reduziert
       werden.
       
       ## Wie bringt man Quallen um?
       
       In der für die Meerwaldnuss eigentlich zu kalten Ostsee leben bereits zwei
       Quallenarten, die von der biologischen Anstalt Helgoland als ihre
       Fressfeinde identifiziert wurden. Im Mittelmeer „vermiest“ die
       Wurzelmundqualle (Rhizostoma pulmo) „Jahr für Jahr den Urlaub an Italiens
       Küsten,“ schreibt der österreichische Standard über diese Quallenart, die
       den Strand violett färbt, wenn sie in Massen angeschwemmt wird. „Der
       Stachel an den mit Gift gefüllten Nesselzellen lässt bei Berührung die
       Nesselkapsel im Inneren der Zelle platzen, worauf ein Nesselfaden nach
       außen gestülpt wird, der das lähmende Gift abgibt.“
       
       Für den Menschen ist das nur schmerzhaft, das Beutetier hingegen wird
       vergiftet und verdaut. Im Mittelmeer gibt es jedoch eine kleine
       Makrelenart, die am Liebsten Quallen frisst. Laut dem Biologen Jakob von
       Uexküll, der den Begriff der „Umwelt“ prägte, haben es diese Fische auf
       zwei Quallenarten abgesehen, die mitunter viel größer als sie selbst sind.
       In Kiel will eine Firma aus Quallen Arzneimittel und Kosmetika herstellen.
       
       Das aus ihnen extrahierte Bio-Kollagen sei ideal für die Wundbehandlung,
       schreibt der Spiegel, dabei gäbe es nur noch ein Problem: „Wie bringt man
       Quallen um?“ Bisher erledigten die Kieler Forscher das mit einem Quirl, das
       Tierschutzgesetz verlangt jedoch eine „artgerechte“ Tötung.
       
       In China und Japan isst man gerne „Quallensalat“. In „Asien ist der Handel
       mit Quallen für den Verzehr bereits ein Multi-Millionen-Dollar-Geschäft,“
       berichtete der SWR, hierzulande habe die Lebensmittelbehörde Quallenspeisen
       noch nicht freigegeben. Desungeachtet versuche die Industrie bereits aus
       der zunehmenden Not – schrumpfende Fischschwärme und wachsende
       Quallenbestände – das Beste zu machen, indem sie das Problem zu lösen sich
       anschickt, wie man die Tiere entgiften und dabei ihren Nährwert erhalten
       kann.
       
       ## Kein Cholesterin, auch kein Gehirn
       
       Im Institut für Meereswissenschaften in Barcelona gibt es laut SWR „Quallen
       für jeden Geschmack: Mit grünen oder phosphoreszierenden Tentakeln, mit
       bläulichen oder kräftig gelben Schirmen. Der Biologe Josep-Maria Gili
       züchtet unzählige Quallen in seinen Aquarien als Nahrungsmittel und erprobt
       Entgiftungsmethoden: Die Qualle hat kein Cholesterin. Sie ist fettfrei. Wie
       Fisch liefert sie viele Proteine und Spurenelemente und ist reich an
       Natrium, Kalzium, Calium und Magnesium.“
       
       Im Guardian fragte sich kürzlich ein Autor: „Ist es o. k. für Vegetarier,
       Quallen [Jellyfish] zu essen?“ Was er wohl für solche, die sowieso Fisch
       essen, in Ordnung fand. Aber dürfen auch Veganer Quallen essen? Im Forum
       „vegane-inspiration.com“ wurde geantwortet: „Quallen haben kein Gehirn,
       daher können sie auch nicht leiden. Quallen sind eher wie bewegliche
       Pflanzen.“ In der taz wurde kurz über diese beiden Fragen diskutiert. „Sind
       sonst alle weltbewegenden Probleme gelöst?“, fragte eine Redakteurin erst
       mal. Während eine andere die Frage „Was wollen wir essen?“ durchaus für
       „weltbewegend“ hielt. Eine dritte behauptete: „Quallen schmecken wie
       Austern!“
       
       Und ohnehin seien bereits über 50 Prozent der in Europa geschlürften
       Austern mit Quallen gefüllt. Einer der Hausmeister wies darauf hin, dass
       man Quallen auch immer öfter in Aquarien halte – um sich an ihnen lebend zu
       erfreuen. Im Aquarium des Berliner Zoos wird bereits seit den achtziger
       Jahren die größte Quallenzucht des Kontinents aufgebaut. Der für diese
       „Feenwesen“ zuständige Tierpfleger Daniel Strozynski erzählte dem
       Tagesspiegel: „Erst dachte ich, das wird auf Dauer ja langweilig.“
       Schließlich ließe „sich zu den glibberigen Schönheiten nicht wirklich eine
       persönliche Beziehung aufbauen“.
       
       Heute sagt Strozynski: „Das ist mein Traumjob.“ Weil Medusen hochsensible,
       kompliziert zu haltende Geschöpfe sind. Ständig forderten sie ihn neu
       heraus. In seinen Becken werden 22 Quallenarten gehalten. „Wer solche Tiere
       sehen will, muss also nicht ans Meer fahren, nach Spanien oder Italien“,
       meint der Kurator des Aquariums, Rainer Kaiser. Der WWF zählte die Quallen
       zu den „tierischen Gewinnern 2015“.
       
       23 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Helmut Höge
       
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