URI: 
       # taz.de -- Debatte Rausschmiss Kölner Polizeichef: Richtiger Schritt, pauschales Urteil
       
       > Wolfgang Albers‘ Versetzung in den einstweiligen Ruhestand war
       > unvermeidlich. Aber Albers hat nicht alles falsch gemacht.
       
   IMG Bild: In der Kölner Polizei mit ihrem bisweilen anachronistischen Korpsgeist hatte Albers sich viele Feinde gemacht.
       
       Schon lange gab es nicht mehr eine solche Übereinstimmung von
       Öffentlichkeit, Medien und Politik über alle Parteigrenzen hinweg. Dass der
       [1][Rausschmiss des Polizeipräsidenten] von Köln richtig war, darüber sind
       sich alle einig, die sich sonst so uneinig sind. Das sollte, das muss
       misstrauisch machen. Nicht wegen der Entscheidung selbst: Der Entschluss
       des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger, seinen
       sozialdemokratischen Parteifreund Wolfgang Albers in den vorzeitigen
       Ruhestand zu schicken, war zwingend und überfällig. Nur: Es ist sinnvoll,
       genau hinzuschauen, was Albers zu Recht und was ihm zu Unrecht vorgeworfen
       wird.
       
       Richtig war die Amtsenthebung von Albers, weil er sich zu keinem Zeitpunkt
       als Herr der Lage gezeigt hat: weder vor noch in der Silvesternacht und
       schon gar nicht in den Tagen nach den Geschehnissen am Kölner Hauptbahnhof.
       Die Polizei in Köln hat offenkundig nicht die notwendigen Schlüsse aus dem
       HoGeSa-Desaster vom Oktober 2014 gezogen, sondern alle Fehler wieder
       begangen.
       
       Erneut unterschätzte die Polizeiführung in der Domstadt im Vorfeld das
       drohende Konfliktpotential, hatte also eine untaugliche Lageeinschätzung.
       Erneut waren deswegen viel zu wenige Einsatzkräfte vor Ort - was im Übrigen
       auch für die im Bahnhof eingesetzte Bundespolizei galt, die
       Bundesinnenminister Thomas de Maizière unterstellt ist. Erneut kam es
       deswegen zu unerträglichen chaotischen Zuständen. Dafür trägt
       selbstverständlich Albers als Leiter der Kölner Behörde die entscheidende
       Verantwortung.
       
       Verantwortung trägt er ebenfalls für das Kommunikationsfiasko danach. Bei
       solch hochgradig emotionalisierenden Geschehnissen ist eine schnelle,
       umfassende, nichts beschönigende und – falls nötig – auch selbstkritische
       Unterrichtung der Öffentlichkeit das Gebot der Stunde. Größtmögliche und
       schonungslose Transparenz ist angesagt, um gar nicht erst den Eindruck
       entstehen zu lassen, hier solle etwas unter den Tisch gekehrt oder
       verharmlost werden.
       
       ## Und der Hamburger Polizeipräsident?
       
       Doch stattdessen verkündete die Kölner Polizei, eigentlich sei alles mehr
       oder weniger ganz gut gelaufen – angefangen bei der unsäglichen
       [2][Bilanzpressemitteilung am Neujahrsmorgen] mit der Überschrift
       „Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“.
       
       Eine Peinlichkeit, die sich die Polizei in Hamburg genauso leistete. Bei
       ihr lautete die Überschrift: „Silvesternacht in Hamburg – Tausende feiern
       friedlich den Jahreswechsel“. Anders als in der Kölner Neujahrsmeldung
       findet sich in der Hamburger Fassung kein einziges Wort, dass es überhaupt
       irgendwelche Probleme in der Silvesternacht auf der Reeperbahn gab.
       
       Dabei gibt es auch in der Hansestadt inzwischen alleine wegen der Vorfälle
       auf der Reeperbahn 108 Strafanzeigen wegen sexueller Belästigung. Auch in
       der Hansestadt wäre es also nicht verkehrt, darüber zu sprechen, ob der
       dortige Polizeipräsident Ralf Martin Meyer noch der richtige Mann am
       richtigen Platz ist.
       
       Was Albers endgültig untragbar machte, waren seine aberwitzigen Aussagen
       noch fünf Tage nach Silvester: „Wir waren an dem Abend ordentlich
       aufgestellt; wir haben die Kräfte gehabt, die wir brauchten.“ Dass ein
       Polizeipräsident, der solch groben Unfug verkündet, nur schwer im Amt zu
       halten ist, dürfte nachvollziehbar sein.
       
       ## Interessengeleiteter Vorwurf
       
       Aber: Eine fatale Verkennung der Situation und eine katastrophale
       Kommunikationsstrategie sind nicht gleichzusetzen mit der Verbreitung von
       Un- oder Halbwahrheiten, wie es Albers ebenfalls unterstellt wird. Denn das
       ist ein – interessengeleiteter – Vorwurf, der nicht stimmt. Die Behauptung,
       er hätte die Herkunft der mutmaßlichen Täter verschleiert, ist schlicht
       unwahr. Angefangen von der Pressemitteilung der Kölner Polizei vom 2.
       Januar – also noch bevor die überregionalen Medien in die Berichterstattung
       über die Kölner Vorfälle einstiegen – bis zu der [3][verunglückten
       Pressekonferenz] mit Oberbürgermeisterin Henriette Reker am 5. Januar wurde
       das Aussehen des Täterkreises benannt.
       
       Auf dieser Pressekonferenz teilte Albers mit, dass es sich bei den gut
       1.000 Menschen, die sich in der Spitzenzeit auf dem Bahnhofsvorplatz
       versammelt hatten, überwiegend um junge Männer gehandelt hat, „die aus dem
       nordafrikanisch-arabischen Raum stammen“. Er wies weiter darauf hin, dass
       es entsprechende Zeugenbeschreibungen auch von den Tätergruppen gibt. Aber
       er hat das eine nicht gleichgesetzt mit dem anderen. Albers verwahrte sich
       vielmehr zu Recht gegen eine Kollektivkriminalisierung: „Es gibt keine
       1.000 Täter.“
       
       Ebenso bemühte er sich um eine Differenzierung was die mögliche
       Tatbeteiligung von Flüchtlingen anbetrifft. Im Gegensatz zu jetzt vielfach
       zu lesenden Behauptungen, berichteten Albers und der Leitende
       Polizeidirektor Michael Temme bereits auf der Pressekonferenz am 5. Januar
       darüber, dass es in der Silvesternacht etwa 100 „personenbezogene
       Maßnahmen“ gab, darunter „einige Ingewahrsamnahmen“ und „einige
       Festnahmen“. Die große Masse seien Identitätsfestellungen gewesen, wobei
       sich viele der Betroffenen als Asylbewerber ausgewiesen hätten.
       
       ## Man hätte nur richtig zuhören müssen
       
       Aber was Albers nicht machte: Er erklärte die kontrollierten Flüchtlinge
       nicht leichtfertig zu Tätern. Stattdessen stellte er fest: „Allein dadurch,
       dass man überprüft worden ist, heißt das noch nicht, dass man
       Tatverdächtiger ist.“ Ja, genau so ist es. Auch wenn das allzu viele nicht
       hören wollen, weil es nicht in ihr Weltbild passt.
       
       Obwohl man nur am vergangenen Dienstag richtig hätte zuhören müssen,
       ploppte am Donnerstag die vermeintliche Enthüllung auf, Albers hätte die
       Flüchtlinge verschwiegen. Das war sein endgültiger Todesstoß. Der Kölner
       Stadt-Anzeiger verstieg sich zu der [4][reißerischen Schlagzeile:] „Polizei
       verheimlichte offenbar Herkunft von Verdächtigen“– und viele schrieben es
       unüberprüft ab.
       
       Dabei musste Kölns führende Lokalzeitung in ihrem Artikel selbst
       konstatieren, dass die angeblich verschwiegenen Personalienfeststellungen
       eine solche Schlagzeile nicht rechtfertigen: „Anhaltspunkte für eine
       Festnahme hatte es in keinem der Fälle gegeben. (...) Ob und falls ja, wie
       viele dieser 100 Kontrollierten womöglich auch sexuelle Übergriffe und
       Raubstraftaten begangen haben, ist noch unklar.“
       
       Wolfgang Albers hingegen hat demgegenüber bis zuletzt auf die Einhaltung
       rechtsstaatlicher Prinzipien bestanden. Noch am Tag seiner Amtsenthebung
       schrieb er in einer Stellungnahme: „Solange die Polizei Menschen keine
       durch Fakten gestützten Tatvorwürfe machen kann, gilt hier in Deutschland
       die Unschuldsvermutung.“ Das mag manchen in der gegenwärtigen Hysterie
       nicht mehr zeitgemäß erscheinen. Aber desto anerkennungswerter ist seine
       Haltung in diesen Tagen.
       
       Albers hat sich auch als Polizeipräsident stets als ein sozialliberaler
       Bürgerrechter verstanden. In der Kölner Polizei mit ihrem bisweilen
       anachronistischen Korpsgeist hat er sich damit viele Feinde gemacht. Auch
       daran ist er gescheitert. Trotzdem: Er hat vieles falsch gemacht. Das
       nicht.
       
       9 Jan 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Nach-Uebergriffen-in-Koeln/!5267691
   DIR [2] http://www.presseportal.de/blaulicht/pm/12415/3214905
   DIR [3] https://www.youtube.com/watch?v=KRzfSx-I-3o
   DIR [4] http://www.ksta.de/koeln/-polizei-silvester-uebergriffe-silvesteruebergriffe-sote-koeln,15187530,33475226.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Pascal Beucker
       
       ## TAGS
       
   DIR Wolfgang Albers
   DIR Ralf Jäger
   DIR Köln
   DIR Polizei
   DIR Silvester
   DIR Köln
   DIR Reeperbahn
   DIR Hamburg
   DIR Silvester
   DIR Silvester
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Köln
   DIR Rechtsextremismus
   DIR Schwerpunkt Rassismus
   DIR Wolfgang Albers
   DIR Köln
   DIR Köln
   DIR Hans-Peter Friedrich
   DIR Sexismusdebatte
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Nach Urteil zur Silvesternacht in Köln: Verurteilter legt Rechtsmittel ein
       
       Das Gericht hatte einen 26-Jährigen wegen Beihilfe zu sexueller Nötigung
       mit einem Jahr Haft auf Bewährung bestraft. Jetzt legt sein Anwalt
       Rechtsmittel ein.
       
   DIR Erste Urteile nach Kölner Silvesternacht: Bewährungsstrafe für drei Männer
       
       Nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht gibt es Bewährungsstrafe für
       drei Männer. Sie waren nicht wegen sexueller Übergriffe angeklagt.
       
   DIR Fahndungserfolg in Hamburg: Haftbefehle nach Silvester-Übergriffen
       
       Nach der Veröffentlichung von Fahndungsfotos nimmt die Polizei zwei
       Afghanen fest. Sie sollen Frauen gemeinschaftlich sexuell genötigt haben.
       
   DIR Debatte über sexualisierte Gewalt (2): Nur ein Nebenwiderspruch?
       
       Es häufen sich Berichte über Flüchtlinge, die sexualisierte Gewalt ausüben.
       Ist die Erwähnung ihrer Herkunft notwendig oder fahrlässige
       Diskriminierung?
       
   DIR Übergriffe auf Frauen in Hamburg: „Handlungsspielraum war begrenzt“
       
       Die Hamburger Polizei war von den Übergriffen auf Frauen in der
       Silvesternacht überrascht. Mittlerweile zählen die Beamten 205
       Strafanzeigen von 306 Opfern.
       
   DIR Gewalttätige „Spaziergänge“ in Köln: Menschenjagd in der Innenstadt
       
       Per Facebook rufen Hooligans, Rocker und Rechte zur Hatz auf
       Andersaussehende auf. Viele kommen, die Polizei reagiert mit einem
       Großaufgebot.
       
   DIR Hysterischer Diskurs in Hamburg: Stuss nach Kuss
       
       Ein Mann küsst ein Mädchen gegen dessen Willen: Weil es ein Flüchtling war,
       regt sich jetzt die halbe Stadt darüber auf
       
   DIR Nordrhein-Westfalens Innenminister: Jäger kritisiert Kölner Polizei
       
       Beim Landtagsausschuss übt NRW-Innenminister Ralf Jäger Kritik an der
       Kölner Polizeiführung. Er selbst steht unter Druck – nicht nur wegen der
       Vorfälle an Silvester.
       
   DIR Nach Ausschreitungen in Köln: Polizei löst Pegida-Demo auf
       
       Böller und Flaschen wurden geworfen und es kam zu Handgemengen: In Köln hat
       die Polizei den Aufmarsch von Pegida-Anhängern und Rechtsextremisten
       gestoppt.
       
   DIR Der „Focus“ zu den Kölner Übergriffen: Titel der Schande
       
       Der „Focus“ inszeniert sexuelle Gewalt als erotische Fantasie. Das ist
       nicht Kritik an Rape Culture, das ist Rape Culture. Und rassistisch.
       
   DIR Nach Übergriffen in Köln: Polizeipräsident abgesetzt
       
       Wolfgang Albers stand in der Kritik wegen der Informationspolitik seiner
       Behörde. Jetzt wurde er laut Medienberichten in den „einstweiligen
       Ruhestand“ versetzt.
       
   DIR Polizeibericht zu Übergriffen in Köln: „Chaotisch und beschämend“
       
       Der interne Bericht eines Polizeibeamten offenbart die Überforderung der
       Polizei. Auch die Aggressivität der Täter wird beschrieben.
       
   DIR Kommentar zu den Köln-Übergriffen: Popanz und gefährlicher Irrglaube
       
       Politiker überbieten sich gerade mit Versprechen, die Täter von Köln mit
       aller Härte zu bestrafen. Sie werden viele enttäuschen müssen.
       
   DIR Kolumne Fernsehen: Achtung! „Schweigekartelle“!
       
       Willkommen in der wunderbaren Welt der Verschwörungstheorien von
       CSU-Politiker und Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich.
       
   DIR Gewalt gegen Frauen: Willkommen in der Hölle, Ladys
       
       Seit der Kölner Silvesternacht wird einer sexismusfreien Zeit
       hinterhergetrauert. Die hat es in Deutschland nie gegeben.