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       # taz.de -- Obamas letzte Rede zur Lage der Nation: Offensiv, optimistisch und ironisch
       
       > In seiner Ansprache liest Obama den Republikanern nochmal die Leviten. In
       > seiner verbleibenden Amtszeit hat er noch einiges vor.
       
   IMG Bild: Applaus für Barack Obama im Congress.
       
       New York taz | Wenn Monisha Mapp sich etwas wünschen dürfte, dann, dass der
       Präsident noch eine weitere Amtszeit im Weißen Haus bleiben kann. Für die
       Afroamerikanerin waren die sieben zurückliegenden Jahre ein Traum, von dem
       sie nicht gedacht hatte, dass sie ihn je erleben würde. „Er hat kleinen
       schwarzen Jungs und Mädchen eine Perspektive gegeben. Er hat keinen
       einzigen Skandal verursacht. Und er hat dazu noch den Benzinpreis auf unter
       2 Dollar pro Gallone gesenkt“, sagt sie.
       
       Zu Barack Obamas siebter und letzter Ansprache zur Lage der Nation sitzt
       Monisha Mapp an diesem Dienstag Abend bei einer „Watch Party“ im New Yorker
       Stadtteil Harlem. Die mehreren hundert Menschen im Saal – Demokraten und
       viele Afroamerikaner – springen immer wieder von ihren Stühlen und
       klatschen der großen Leinwand zu. Auch in Washington wird Obama mehr als 60
       Mal von stehendem Applaus unterbrochen. Doch im Kongress ist die Reaktion
       genau so gespalten wie die Politik. Die Republikaner lassen die etwas über
       einstündige Rede des Präsidenten beinahe regungslos über sich ergehen.
       
       Barack Obama ist bereits erkennbar auf dem Absprung. Er hält eine Rede, die
       so leidenschaftlich klingt wie in seinem ersten Wahlkampf im Jahr 2008. Auf
       dem Balkon für die besonderen Gäste setzt seine Gattin Michelle die
       Symbolik mit einem leeren Stuhl fort. Der leere Platz neben ihr ist eine
       Mahnung an die Opfer von Schusswaffengewalt, die keine Stimme mehr haben.
       Der Präsident spricht über die soziale Ungleichheit im Land, über die
       nötige Erhöhung des Mindestlohns und die überfällige Strafjustizreform, und
       über Investitionen in die Forschung und die Infrastruktur.
       
       Vor allem aber liest er den Republikanern die Leviten. Anders als in den
       Vorjahren versucht er gar nicht erst, ihre Unterstützung zu bekommen.
       Dieses Mal ist er offensiv und ironisch. Er konfrontiert die Blockierer im
       Kongress mit einem Lincoln-Zitat, das anstelle der Verteidigung der Dogmen
       der Vergangenheit Innovation empfiehlt. Er hält den Klimawandelleugnern die
       Einsichten von Wissenschaftlern, Unternehmern und der Mehrheit aller Länder
       vor.
       
       Und den Pessimisten, die über den „Niedergang“ der USA und den „schwachen“
       Präsidenten jammern, antwortet er mit ostentativem Optimismus über die
       Stärke des Landes. „Niemand ruft nach der Führung von Peking oder Moskau“,
       sagt Obama, „die USA sind die mächtigste Nation der Welt“. Seine
       Begründung: „Unser Militär ist so stark wie die nächsten acht Militärs
       zusammen. Und unsere Soldaten sind die besten in der Geschichte der Welt.“
       
       ## Obamas Erbe
       
       Obama beschreibt sein eigenes Erbe: ein Land, das sich von der Finanzkrise
       des Jahres 2007-08 erholt hat, dessen Arbeitslosigkeit wieder auf 5 Prozent
       gesunken ist und das wirtschaftlich und militärisch eine Supermacht bleibt.
       Eine Außenpolitik, die zu dem Ende der mehr als 50jährigen Eiszeit mit Kuba
       geführt hat und den Iran zum Unterzeichnen eines Atomabkommen gebracht hat.
       Terrorgruppen wie Al Kaida und IS seien zwar gefährlich, aber keine
       existenzielle Bedrohung für die Sicherheit der USA.
       
       In den 374 Tagen, die ihm im Weißen Haus bleiben, will Obama einige seiner
       alten Versprechen einlösen. Unter anderen hat er weiterhin die Schließung
       von Guantánamo vor, sagt er dem Kongress. Er will die Schusswaffenkontrolle
       per Dekret verbessern, und weiterhin Einwanderungsreformen betreiben.
       
       Von den Anwärtern, die sich um seine Nachfolge im Weißen Haus bemühen,
       erwähnt Obama keinen einzigen namentlich. Aber seine politischen Ziele –
       die er ausdrücklich als „für die nächsten fünf Jahre“ beschreibt – klingen,
       als kämen sie direkt aus dem Programm von Hillary Clinton. Er kritisiert
       die Flächenbombardements gegen Zivilisten sowie die Stimmungsmache gegen
       Muslime und die Angst, die den republikanischen Wahlkampf bestimmen, als
       säße er Donald Trump und Ben Carson gegenüber. „Wir müssen nicht überall
       intervenieren“ sagt der Präsident, „wir sollten die Lektionen aus Vietnam
       und dem Irak lernen“.
       
       „Sehr politisch, sehr klar“, reagiert Janice Judy-Jackson in dem Saal in
       Harlem am Ende der Ansprache: „Ich wünschte, er hätte schon früher so
       geredet“. Eine andere Obama-Unterstützerin, die Sängerin Tammy Tyree, hat
       bereits Abschiedskummer. Sie glaubt, dass ihr Land „nie wieder so einen
       empathischen Präsidenten haben wird wie Obama“.
       
       Für viele in dem Saal in Harlem ist Obamas letzte Ansprache zur Lage der
       Nation zugleich die vorerst letzte gemeinsame Veranstaltung. In den
       kommenden Wochen werden sie getrennte Wege im Vorwahlkampf gehen: mit dem
       „demokratischen Sozialisten“ Bernie Sanders oder mit Obamas ehemaliger
       Außenministerin Clinton. Oder – wie die angehende Medizinstudentin Monique
       Hedmann – irgendwo dazwischen. „Mit dem Herz bin ich bei Sanders“, sagt
       sie, „aber so stark wie die Clinton-Maschine ist, glaube ich nicht daran.“
       
       13 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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