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       # taz.de -- Israelische Popband Cut Out Club: Einzelgänger auf Klassenreise
       
       > Die 80er im Blick und auf dem Weg nach vorn: Die zufällig entstandene
       > israelische Band Cut Out Club hat ein grandioses Debüt vorgelegt.
       
   IMG Bild: Sorgen mit furiosen Konzerten für Aufregung: Cut Out Club.
       
       Auch in Israel gilt selbstverständlich die universelle Alltagsweisheit
       „Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt“. Als der Popmusiker
       Nitzan Horesh vor knapp drei Jahren sein Indie-Trio Electra auf Eis legte,
       ging er ins Studio, um in Ruhe an einem Soloalbum zu arbeiten. Er fühlte
       sich durch die Kombination Bass, Gitarre, Schlagzeug sowie die
       Power-Pop-Ausrichtung seiner alten Combo ein bisschen eingeschränkt und
       wollte neue Wege gehen.
       
       Herausgekommen ist dabei statt eines Soloprojekts die achtköpfige Band Cut
       Out Club, die in Israel seit einigen Monaten mit furiosen Konzerten für
       Aufsehen sorgt und kürzlich ein exzellentes Debütalbum mit überraschenden
       70er- und 80er-Jahre-Anleihen vorgelegt hat.
       
       „Es fühlt sich fast ein bisschen magisch an, wie sich alles zusammengefügt
       hat“, erzählt der 38-jährige Horesh beim Interview in Tel Aviv. „Ich habe
       einige alte Weggefährten ins Studio eingeladen, außerdem bei Musikern
       angefragt, die ich bewundere und mit denen ich schon immer zusammenarbeiten
       wollte. Alle hatten Lust, aus einzelnen Sessions wurde mehr – und plötzlich
       waren wir eine Band.“
       
       Seine Mitstreiter sind oder waren in anderen populären Bands dabei, einige
       davon kennt man auch in Deutschland: Bassist Ishay Berger spielt sonst
       Gitarre bei den punkigen Useless ID, Schlagzeuger Haggai Fershtman
       trommelte bei der Garage-Skandalkombo Monotonix, Gitarrist Ben Golan ist
       Mitglied der Bluesrocker Tree, Keyboarder Shay Roth ein Teil der
       psychedelisch angehauchten Popband Taani Ester, die Sängerin Doron Talmon
       singt auch beim Folk-Trio Jane Bordeaux, Saxofonist Roey Bar Yehuda spielt
       Rock ’n’ Roll mit The Meatballs, und – ungewöhnlich in dieser Reihe und
       gerade deshalb gut – die zweite Sängerin Daniella Millo war in der
       Castingshow „The Voice“ dabei.
       
       „Wenn wir zusammen sind, fühlt es sich wie auf einer Klassenreise an, bei
       der völlig unterschiedliche Typen gemeinsam Spaß haben“, sagt Horesh. „Alle
       haben bei der Produktion des Albums ihre eigenen Stile und Ideen
       eingebracht, das war ein unglaublich inspirierender Prozess. Meine Rolle
       war dabei oft die eines Dirigenten, der alles koordiniert – und das
       Ergebnis hätte auch ein absolutes Durcheinander, ein Desaster werden
       können.“ Ist es aber nicht.
       
       ## Mut, Lyrik & Ausreißer
       
       Die Songs sind aufregend, ein bisschen verschroben und dennoch eingängig.
       Es mag seltsam klingen, aber die Kompositionen von Horesh sind inspiriert
       vom Besten, was oft belächelte 80er-Jahre-Bands wie ABC, Duran Duran und
       Wham! hervorgebracht haben. Die funky Bassläufe, die starken Melodien, der
       Mut zum Pathos! Dazu schweben Einflüsse der Talking Heads und der frühen
       Roxy Music durch den Raum. Diese Vorbilder überführt der Cut Out Club mit
       eigenen Ideen in die Gegenwart. Ein kleiner Ausreißer ist der Song „We Are
       The Ghosts“, der in Israel ein Hit war und, anders als der Rest des Albums,
       sehr viel von Arcade Fire hat.
       
       Horesh singt auf Englisch, die Texte schrieb er mit dem Künstler Allan
       Moon, der 1992 von New York nach Israel zog und nicht nur dort durch seine
       Beatnik inspirierten Gedichte Bekanntheit erlangte. Besonders leicht
       zugänglich sind ihre gemeinsamen Werke für Cut Out Club nicht, die Texte
       sind überwiegend abstrakt und metaphernreich. Simple Liebeslieder oder
       Alltagsgeschichten gibt es nicht zu hören.
       
       Obwohl der dem eher linken Lager zugehörige Horesh ein politisch
       interessierter Mensch ist, sind die Texte wohl nicht politisch zu deuten.
       „Ich finde sehr viele Dinge hierzulande enorm frustrierend“, sagt er. „Ich
       lese die Zeitung und ärgere mich und gehe auch mal auf Demos. Aber ich
       möchte nicht, dass meine negative Stimmung aus diesem Bereich sich in
       meiner Musik und meinen Texten niederschlägt.“
       
       Stattdessen sind Spielfreude und Lust am Experimentieren in jedem Moment
       spürbar. In Israel haben Cut Out Club damit schon viele Menschen für sich
       gewinnen können, jetzt ist der Rest der Welt dran: Nach Auftritten in
       Russland und Indien sind für dieses Jahr auch Konzerte in Deutschland
       geplant.
       
       19 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Sakowitz
       
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