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       # taz.de -- Soziologie-Professor über Technologie: „Die Zukunft ist noch beeinflussbar“
       
       > Klaus Dörre spricht über die Folgen des technischen Fortschritts. Was
       > bedeutet er für Arbeit und Beschäftigte in den kommenden Jahrzehnten?
       
   IMG Bild: Ein Roboter namens Gilberto, heute wahrscheinlich schon veraltet (Hannover 2009).
       
       taz: Herr Dörre, erläutern Sie bitte an einem Beispiel, was „vierte
       industrielle Revolution“ bedeutet? 
       
       Klaus Dörre: Vorstellbar ist Folgendes: Bei einem Mähdrescher verschleißt
       während der Ernte ein Motorteil. Per Mobilfunk und Internet meldet das
       Fahrzeug den bevorstehenden Ausfall selbstständig an den Hersteller.
       Weitgehend ohne menschliches Zutun beginnt dort die computergesteuerte
       Produktion des Ersatzteils. Innerhalb weniger Stunden kann es per Drohne
       beim Landwirt eintreffen. Bei dem Rationalisierungsschub, der gerade
       beginnt, sollen vernetzte Maschinen miteinander kommunizieren und
       menschliche Arbeit teilweise ersetzen.
       
       „Internet der Dinge“ ist das Stichwort. Mit Sensoren ausgestattete Kleidung
       könnte dann meine Gesundheitsdaten an die Arztpraxis schicken und eine
       persönliche Untersuchung überflüssig machen. Wie viele der heutigen
       Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel? 
       
       Der US-Soziologe Randall Collins hält 80 Prozent der US-Arbeitsplätze für
       gefährdet – auch die Berufe der Mittelschicht mit qualifizierter
       Ausbildung. Die Oxford-Wissenschaftler Carl Benedikt Frey und Michael
       Osborne sehen Risiken für die Hälfte der Jobs in Industrieländern.
       Vermutlich sind beides jedoch Horrorszenarien. Sabine Pfeiffer von der
       Universität Hohenheim ist vorsichtiger: Sie meint, dass zwölf Prozent der
       heutigen Arbeitsplätze rationalisierungsgefährdet seien. Sie betont, dass
       Fabriken niemals menschenleer sein würden. Es gäbe dauernd etwas zu
       reparieren und zu überwachen.
       
       Und was denken Sie? 
       
       Wir erleben gerade einen Quantensprung, weil beispielsweise die
       Leistungsfähigkeit des Internets und die ausgetauschten Datenmengen rasant
       wachsen. Wie sich das auf die Beschäftigung auswirkt, können wir noch nicht
       wissen. Die Vergangenheit sagt uns darüber nichts Genaues.
       
       Wir tappen im Dunkeln? 
       
       Ich möchte es positiv formulieren. Die Zukunft ist noch beeinflussbar. Wir
       haben Optionen. Die meisten Bürger lehnen es vermutlich ab, dass sie im
       Altenheim von Robotern versorgt werden. Nicht alles, was technisch möglich
       erscheint, wird auch gemacht.
       
       Die erste industrielle Revolution fand im 18. und 19. Jahrhundert statt.
       Als zweite gilt die Elektrifizierung. Wie war es bei der dritten Stufe, als
       vor 50 Jahren die Computer eingeführt wurden – ist da die Arbeitslosigkeit
       in entwickelten Industrieländer gestiegen? 
       
       Im globalen Maßstab gab es wohl keine eindeutigen Arbeitsplatzverluste. In
       einzelnen Ländern kam es jedoch immer wieder zu Wachstumskrisen und
       steigender Arbeitslosigkeit, die durch die Rationalisierung mitverursacht
       wurden. In Deutschland beispielsweise verzeichnen wir seit 1991 eine
       Abnahme des Arbeitsvolumens. Die Gesamtzahl der geleisteten und bezahlten
       Arbeitsstunden sinkt.
       
       Ist es nicht eine gute Sache, wenn verbesserte Technik und steigende
       Produktivität uns ermöglichen, weniger zu arbeiten und trotzdem genug zu
       verdienen? 
       
       Grundsätzlich ja. Aber wir haben es mit einer Polarisierung zu tun. Gut
       qualifizierte und bezahlte Leute arbeiten oft länger als der Durchschnitt
       der Beschäftigten, während schlechter ausgebildete Arbeitskräfte weniger
       Stunden leisten als sie eigentlich möchten.
       
       Wie könnte man den materiellen Gewinn des Fortschritts gleichmäßiger
       verteilen? 
       
       Ein Modell bestünde darin, dass die produktiven Exportsektoren der
       deutschen Wirtschaft einen höheren Teil ihrer Gewinne als heute abführen,
       damit man beispielsweise die Beschäftigten in Altenpflegeheimen besser
       bezahlen kann, ohne sie teilweise durch Pflegeroboter zu ersetzen, die
       zweimal am Tag die Medikamente ans Bett bringen. Diesen Finanztransfer
       könnte man mit Hilfe der Steuerpolitik organisieren.
       
       20 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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