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       # taz.de -- SPD will den Gratis-Hort: Billiger wird‘s nicht
       
       > Die SPD will die Elternbeiträge zu den Hortgebühren abschaffen und den
       > Mittelstand entlasten. Sinnvoll oder bloß Wahlkampf? Ein Faktencheck.
       
   IMG Bild: Wer zahlt künftig für ihre Betreuung am Nachmittag? Nicht mehr die Eltern, wenn es nach dem Willen der SPD-Fraktion geht.
       
       Erst die Kita, jetzt der Hort: Auf ihrer Fraktionsklausur am Wochenende hat
       die SPD auf Antrag ihres Chefs Raed Saleh beschlossen, sich für die
       Abschaffung der Elternbeiträge zu den Hortgebühren, also für die
       nachmittägliche Betreuung nach Schulschluss, einzusetzen. „In einer
       solidarischen Stadt muss das möglich sein!“, hatte Saleh gesagt. Die
       Abschaffung der Kita-Gebühren für Kinder unter drei Jahren bis 2017 ist
       bereits beschlossene Sache: Das hatte die rot-schwarze Koalition, ebenfalls
       auf Betreiben Salehs hin, vor Weihnachten beschlossen. Klingt gut? Mal
       sehen.
       
       1. Die SPD will mit dem Gratis-Hort vor allem Geringverdiener und die
       Mittelschicht entlasten. Dagegen kann man doch erst mal nichts sagen, oder? 
       
       Tatsache ist: Bereits jetzt kennt das, Achtung, Zungenbrecher,
       Tagesbetreuungskostenbeteiligungsgesetz sage und schreibe 41 Stufen, die
       die Elternbeiträge je nach Einkommen staffeln. Sprich: Wer wenig hat, zahlt
       wenig, wer viel hat, zahlt mehr.
       
       Konkret: Bei 1.875 Euro Haushaltseinkommen im Monat belaufen sich die
       Elternbeiträge für einen Ganztagsplatz im Hort – das sind acht Stunden
       Betreuung – auf 20 Euro. Und die sogenannte Mittelschicht? Zahlt bei einem
       Bruttohaushaltseinkommen von rund 4.000 Euro etwa 110 Euro im Monat. Zu
       viel für Saleh, der am Wochenende erneut auch die derzeit noch hohen
       Kitagebühren für die Kleinsten als „Zwangsabgabe“ für die „ganz normalen
       Leute, die hart arbeiten und viel Stress haben“, geißelte.
       
       2. Könnte man nicht einfach auch die Staffelung der Elternbeiträge ändern,
       wenn man sie so unsozial findet? 
       
       Klar, könnte man das. Allerdings regen sich die Eltern eigentlich gar nicht
       über den Status quo auf. „Man kann die Staffelung, die wir derzeit haben,
       durchaus als gerecht ansehen“, sagt etwa der Vorsitzende des
       Landeselternausschusses, Norman Heise. Man könne zwar darüber nachdenken,
       „ob man sagt, bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze ist der Hort
       gratis“, so Heise. Ansonsten sei aber nicht verständlich, warum gerade auch
       Besserverdienende – 243 Euro beträgt derzeit der Höchstbeitrag zu den
       Hortkosten – pauschal nichts mehr für die Betreuung zahlen sollten.
       
       3. Apropos bezahlen: Was kostet der ganze Spaß denn eigentlich den
       Landeshaushalt, wenn die Elterngebühren wegfallen? 
       
       Etwa 66 Millionen jährlich hat die SPD ausgerechnet – ab 2018, so die
       Vorstellung von Fraktionschef Saleh. Dafür muss die SPD natürlich bei den
       kommenden Abgeordnetenhauswahlen im September erreichen, dass sie an der
       Regierung bleibt – und einen Koalitionspartner findet, der mitzieht.
       
       Danach sieht es derzeit aber eher nicht aus. Noch-Koalitionspartner CDU
       will laut deren Generalsekretär Kai Wegner lieber 30 Millionen Euro „in
       echte Fortschritte bei Qualität, Ausstattung und Personal“ investieren.
       „Mir ist das Ziel der Übung, das die SPD da veranstaltet, nicht ganz klar“,
       sagt auch die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Stefanie Remlinger.
       „Wir haben bereits eine soziale Staffelung. Das Geld wäre deutlich besser
       in mehr Personal investiert – für 66 Millionen Euro könnte man 1.500
       Erzieherinnen einstellen.“
       
       Tatsächlich ist der Betreuungsschlüssel in den Horts recht desaströs: Nach
       Angaben der Gewerkschaft GEW kommen rund 22 Kinder auf eine ErzieherIn – in
       der Praxis sind es auch mal mehr, denn anders als bei den LehrerInnen gibt
       es bei den Hortkräften keine Vertretungsreserve. „ErzieherInnen sagen, dass
       sie oft nicht mal dazu kommen, eine vernünftige Hausaufgabenbetreuung
       anzubieten“, sagt Elternvertreter Heise.
       
       Wer im September die Stimmen der Schuleltern gewinnen wolle, müsse wissen,
       dass „Eltern sich in erster Linie keine Entlastung bei den Hortgebühren,
       sondern mehr Qualität“ wünschten, so Berlins oberstes Elterngremium in
       einer Pressemitteilung.
       
       4. „Wir wissen, dass der längere Verbleib [von Kindern] in der Schule große
       Erfolge bringt“, hatte Raed Saleh auf der SPD-Fraktionsklausur am
       Wochenende gesagt. Okay. Aber was hat das mit dem Gratis-Hort zu tun? 
       
       Wenn der Hort nichts mehr kostet, haben einkommensschwache Eltern keinen
       Grund mehr, ihre Kinder zu Hause zu lassen – so die Überlegung der SPD. „Da
       muss man aber zum einen angesichts des Personalschlüssels ganz klar sagen:
       Förderung im Hort ist relativ“, sagt Grünen-Expertin Remlinger. Zum
       anderen: Wenn man Kinder aus ärmeren Familien fördern wolle, solle man
       lieber darüber nachdenken, dieser Gruppe pauschal einen Ganztagsplatz
       zuzusprechen, sagen die Grünen. Derzeit bekommen Kinder, deren Eltern
       Leistungen vom Jobcenter beziehen, nur auf besonderen Antrag mehr als einen
       Halbtagsplatz. „Da gäbe es noch prima Möglichkeiten, wenn man gerne Geld
       investieren will.“
       
       25 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
       
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