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       # taz.de -- Berlins SPD will feiern, darf aber nicht: Geschichte in der Schule fällt aus
       
       > Vor 70 Jahren wurde die Westberliner SPD wiedergegründet – in einer
       > Schule. Dort sollte gefeiert werden, doch der Bezirk hat das verboten.
       > Nun grollen die Genossen. Zu Recht?
       
   IMG Bild: Selters statt Sekt – Berlins SPD darf nicht feiern.
       
       Kennen Sie die Themenhefte der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb)?
       Dünnstes Papier, frustrierend eng bedruckt, gefühlt weniger
       Schwarz-Weiß-Fotos als die FAZ in den 90er Jahren. Generationen von
       SchülerInnen wurden mit den „Informationen zur politischen Bildung“
       traktiert – und werden es wohl nach wie vor, sie sind ja tatsächlich auch
       sehr gut, sehr erschöpfend, diese Hefte.
       
       Irgendwo in Heft 259 (“Deutschland 1945–1949“) dürfte es, vielleicht
       flankiert von einem allerdings dann maximal briefmarkengroßen
       Schwarz-Weiß-Porträt von Kurt Schumacher, einem der Gründerväter der
       West-SPD, um ebenjene gehen: Um die Genossen, die sich kurz nach dem Krieg
       über die Frage entzweiten, ob man nun mit den Kommunisten gemeinsame Sache
       machen wolle oder nicht. Das Ergebnis ist bekannt: Der Osten bekam die SED
       übergeholfen, im Westen gründete sich am 7. April 1946 die SPD neu.
       
       Alle noch wach? Genau, alles ganz schön lange her. Und es ist wichtig,
       genau das zu betonen – nämlich wie weit diese Ereignisse zurückliegen,
       archiviert in Heft 259 der bpb und analysiert in Tausenden Schüleraufsätzen
       –, wenn man sich mit dem aktuellen Ärger des SPD-Landesvorstands Jan Stöß
       befasst. Der zieht am Dienstag in einer Pressemitteilung über das
       CDU-geführte Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf her, das eine
       Gedenkveranstaltung zu 70 Jahren SPD-Neugründung nicht in der Aula der
       Zehlendorfer Zinnowwaldschule stattfinden lassen will.
       
       Ein solches Verbot könne man nicht hinnehmen, findet Stöß, denn: „Der
       Einsatz für Freiheit und eine wehrhafte Demokratie muss gerade an Schulen
       möglich sein.“ Und der SPD-Kreisvorsitzende von Steglitz-Zehlendorf,
       Ruppert Stüwe, rügt in einem Brief an Bürgermeister Norbert Kopp die
       „Geschichtsvergessenheit“ des Bezirksamts.
       
       Nun regt sich die Landes-SPD natürlich ganz und gar vergebens auf, denn das
       Berliner Schulgesetz verteidigt die Schule nun mal grundsätzlich als
       „politisch neutralen Raum“. Und nicht anders lägen die Dinge in diesem
       Fall, heißt es am Dienstag mit kühlem Verweis auf die geltende Rechtslage
       aus der Amtsstube von Bürgermeister Kopp.
       
       Tatsächlich, eine absolut sinnvolle Regelung. Vor einigen Jahren gab es an
       einem Lichtenberger Oberstufenzentrum den Fall, dass der Senat eine
       Feierstunde der NPD erlauben musste – das Oberverwaltungsgericht hatte
       damals mit Hinweis auf das Gleichbehandlungsprinzip geurteilt, eine
       Ablehnung der NPD sei nicht rechtens, weil andere Parteien auch bereits in
       der Schulaula getagt hatten. „Auch vor diesem Erfahrungshintergrund haben
       wir die Veranstaltung untersagt“, sagt Schulstadträtin Cerstin
       Richter-Kotwoski (CDU).
       
       Das ist sehr vernünftig. Und doch könnte man in diesem Fall einmal darüber
       nachdenken, ob es sich hier wirklich noch um eine parteipolitische
       Veranstaltung handelt – oder um eine Veranstaltung zur politischen Bildung,
       gewissermaßen die „Informationen“-Hefte live, bei der die Partei eigentlich
       überhaupt keine Rolle spielt. Aber wer weiß schon, wie ein
       Oberverwaltungsgericht über so viel Spitzfindigkeit geurteilt hätte.
       
       Es gibt eine verwitterte Bronzetafel an der Zinnowwaldschule, an der der
       Grünspan nagt. Die Inschrift verweist auf den7. April 1946, an dem
       „grundlegende Voraussetzungen für eine weitere demokratische Entwicklung in
       unserer Stadt geschaffen“ wurden. Das könnte man doch wahrlich feiern,
       meinetwegen gemeinsam mit der SPD – denn die Partei selbst ist dabei
       ziemlich egal.
       
       26 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Klöpper
       
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