# taz.de -- Flüchtlingslager in Calais: Vom Dschungel ins gelobte Land
> Ein Gericht urteilt, dass vier syrische Flüchtlinge das berüchtigte Lager
> von Calais verlassen dürfen. Sie können zu Angehörigen auf die Insel
> reisen.
IMG Bild: Belastende Umgebung: Flüchtlingslager bei Dünkirchen.
London taz | Unter Beifall von Angehörigen und rund 100 Demonstranten sind
in der vergangenen Woche vier junge syrische Flüchtlinge in London
eingetroffen. Sie kamen mit dem Eurostar durch den Tunnel aus Calais, wo
sie sich seit Monaten im berüchtigten „Dschungel“-Lager aufhielten.
Am Tag zuvor hatte ein britisches Gericht die Einreise der drei Teenager
und eines 26-jährigen Behinderten im Rahmen der Familienzusammenführung
erlaubt. Laut dem Dublin-III-Abkommen haben die drei als Minderjährige ein
Recht auf Familienzusammenführung.
„Das Problem“, so erklärte Rechtsanwalt Mark Scott der taz, sei, „dass das
britische Innenministerium auf dem regulären Verfahren zwischen Frankreich
und Großbritannien beharrte“. Zur Familienzusammenführung hätten sie somit
eine Empfehlung von den französischen Behörden benötigt. Scott
argumentierte im Verfahren, dass dies in diesem Fall eine unangemessene
Forderung war, da die Personen weder über ihre Rechte informiert noch in
der Lage waren, sich auf ihre Rechte zu berufen.
In einem psychiatrischen Gutachten hieß es überdies, die vier seien in dem
Camp in Calais „der Einschüchterung, Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt“.
Keines der Grundbedürfnisse der jungen Menschen werde hier gedeckt.
„Zwischen Müll und menschlichen Exkrementen“ gebe es „weder eine humanitäre
Versorgung noch Sicherheit, emotionelle Wärme oder Orientierung, Bildung
oder Stabilität“. Die Jugendlichen hatten in Syrien vor ihrer Flucht
Bombenangriffe und den gewaltsamen Verlust von Familienangehörigen
miterlebt und waren allein durch Europa geflüchtet, mit dem Ziel, bei
Angehörigen in Großbritannien unterzukommen.
Doch angesichts der politischen Hartnäckigkeit der britischen Regierung,
überhaupt keine Flüchtlinge aus Calais aufzunehmen, hatte die Reise der
vier im Dschungelcamp von Calais ein vorzeitiges Ende gefunden, wie es
schien. Dieses Lager ist laut dem im Verfahren vorgelegten psychiatrischen
Gutachten, für „junge bereits traumatisierte Menschen besonders nachteilig,
es vermittele Menschen den Glauben, dass ihr Leben nichts wert sei, und
treibe sie in tiefe Verzweiflung“. Zudem hätten die französischen Behörden,
die eigentlich die Asylverfahren hätten durchführen müssen, versagt.
Laut Anwalt Scott war es die Kombination all dieser Umstände, wegen der das
Gericht die sofortige Einreiseerlaubnis anordnete. Der Anwalt ist überdies
der Ansicht, dass dieser Fall nun auch für andere Personen von Vorteil sein
kann, deren Antrag auf Familienzusammenführung bisher aus rechtlichen
Gründen abgelehnt worden ist.
Der Jurist Georg Gabriel, dessen NGO „Citizen UK“ diesen Fall betreute und
zugleich eine Bestandsaufnahme der rund 7.000 Personen im Dschungelcamp von
Calais vorgenommen hat, glaubt, dass noch für rund 200 weitere Personen
dieselben Voraussetzungen vorliegen.
Der Chef der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, forderte nach Besuchen der Lager
in Calais und Dünkirchen am Sonntag, dass Personen, die eine Verbindung zu
Großbritannien vorweisen, einreisen dürfen. Außerdem forderten mehrere
NGOs, dass Großbritannien 3000 allein reisende Flüchtlingskinder aufnehmen
solle. Solche Kinder wecken in Großbritannien Erinnerungen an den Transport
jüdischer Kinder aus dem nationalsozialistischen Deutschland.
Premierminister David Cameron hat bislang lediglich die Aufnahme von 20.000
Syrern bis 2020 zugesagt.
26 Jan 2016
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DIR Daniel Zylbersztajn
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