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       # taz.de -- Neues Magazin „Mint“: Vinylporn für die Freaks
       
       > Mit „Mint“ will Herausgeber Michael Lohrmann vom großen Schallplattenboom
       > profitieren. Das Musikblatt dreht sich um Fetisch und Männer.
       
   IMG Bild: Vinyl is back: Es gibt viel zu tun im Presswerk Stollenberg (Sachsen).
       
       Eigentlich fängt es an, schon wieder ein wenig zu nerven, das Comeback der
       Schallplatte. Radioeins veranstaltete zu Weihnachten einen „Tag der
       Schallplatte“, und selbst die Bild hat ihren Lesern inzwischen mitgeteilt:
       „Alles dreht sich wieder um Vinyl.“
       
       Der Marktanteil von Vinyl am Musikmarkt steigt seit einer Weile zwar an und
       war im letzten Jahr so hoch wie seit Anfang der Neunziger nicht mehr, er
       bleibt aber trotzdem mikroskopisch klein. 2014 lag er mit 1,8 Millionen
       verkauften Schallplatten bei 2, 6 Prozent. Dennoch könnte das aktuelle
       Interesse an Vinyl mehr sein als nur ein Hype.
       
       Die Macher der neuen Zeitschrift Mint, die als „Magazin für Vinyl-Kultur“
       angepriesen wird, bauen darauf, dass das Interesse an Vinyl anhält, „Vinyl
       Is Forever“ steht ziemlich optimistisch auf der ersten Ausgabe des
       Magazins. Die Auflage von Mint liegt bei 35.000, was zeigt, wie erstaunlich
       groß man den Markt für das Magazin einschätzt. Verkauft wird die
       Zeitschrift vor allen in unabhängigen Plattenläden. Vor ein paar Jahren
       noch machten diese überall dicht, jetzt eröffnen sie wieder.
       
       Mint, dessen Name übrigens im Plattensammlerjargon den neuwertigen Zustand
       einer Schallplatte benennt, möchte ganz natürlicher Teil dieser
       unerwarteten Boom-Story werden. Das Lebensgefühl, von dem die Rede ist, das
       wird beim Durchlesen des Heftes schnell klar, ist durch mehr definiert als
       den schlichten Genuss von Musik. Es ist eng gekoppelt an das Objekt, den
       Fetisch Vinyl.
       
       Der Plattenhörer liebt das Knistern der Platten, er putzt sie und im
       Extremfall bügelt er sie sogar, er kleidet sie liebevoll ein in
       Schutzhüllen, und bevor er sie aus dem Innensleeve nimmt, um sie behutsam
       unter die Plattennadel zu legen, wäscht er sich am besten noch die Hände.
       Außenstehende mögen derartige Rituale lächerlich finden, Plattenliebhaber
       jedoch können nicht genug kriegen von Geschichten rund um das Vinyl,
       darüber, wie Sammler an bestimmte Schmuckstücke kamen.
       
       Die Artikel in Mint drehen sich dementsprechend weniger um Musiker und
       deren Musik, vielmehr gibt es Stücke wie das über ein englisches
       Bestattungsunternehmen, in dem man seine eigene Asche in Vinyl pressen
       lassen kann. Plattensammler, die man vor einiger Zeit noch belächelt hat,
       sind in Mint keine Freaks, sondern die Kernleserschaft. Der Herausgeber der
       Zeitschrift, Michael Lohrmann, der auch das Musikblatt Visions und das
       Interviewmagazin Galore verantwortet, sieht sich letztlich selbst als
       Betroffenen.
       
       ## Frauen sind abwesend
       
       „Vinyl ist meine große Liebe, meine Leidenschaft“, sagt er, und in der
       ersten Ausgabe seines neuen Magazins zeigt er gleich mal, wie diese gelebte
       Leidenschaft aussieht: Man sieht ihn vor einem gigantischen Regal mit
       Tausenden Platten und er erläutert dazu, dass er ernsthaft einen teuren
       Plattenspieler für neue Platten und einen billigeren für die vom Flohmarkt
       benutzt.
       
       Menschen vor ihrer ausufernden Plattensammlung, diese bizarre Form von
       Vinylporn soll es in jeder Ausgabe von Mint, das achtmal im Jahr erscheint,
       geben.
       
       Frauen übrigens kommen im Mint-Universum so gut wie gar nicht vor. Die
       Protagonisten sämtlicher Geschichten im Heft: Männer. Die im Blatt
       vorgestellten 15 „Freunde des Hauses“, das, so nennt das Lohrmann,
       „Kompetenzteam“ für alle Fragen rund um das Vinyl, mit einer einzigen
       Ausnahme: Männer. „Beim Thema Vinyl ist der Frauenanteil so hoch wie bei
       einem Heavy-Metal-Konzert in den Achtzigern“, entschuldigt sich Lohrmann.
       Es klingt wie eine Ausrede. Es klingt aber immerhin so, als wüsste er das
       auch.
       
       29 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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