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       # taz.de -- Wohlstand und Wirtschaft: Die andere Sicht der Dinge
       
       > Sigmar Gabriel legt seinen Jahreswirtschaftsbericht vor. Die Grünen
       > kontern mit einem alternativem Jahreswohlstandsbericht.
       
   IMG Bild: Sigmar Gabriel glaubt an eine positive Wachstumsprognose.
       
       Berlin taz | Deutschlands Wohlstand stagniert. Das ist das Ergebnis des
       ersten Jahreswohlstandsberichts, den die Grünen im Bundestag am Mittwoch
       vorgelegt haben. Damit widerspricht die Partei Bundeswirtschaftsminister
       Sigmar Gabriel (SPD), der das Wachstum für 2016 auf 1,7 Prozent
       prognostiziert.
       
       In ihrem Wohlstandsbericht analysieren die Grünen anhand von acht
       Indikatoren, wie sich Deutschland entwickelt. Sie betrachten den
       ökologischen Fußabdruck (negative Tendenz), die Artenvielfalt der Natur
       (negativ), den Anteil von Umweltschutzprodukten am Industrieexport
       (neutral), die Verteilung der Einkommen zwischen Armen und Reichen
       (negativ), den Bildungsstand der Bürger (positiv), die Wirtschaftsleistung
       (neutral), die Qualität der öffentlichen Ordnung (positiv) und die
       Lebenszufriedenheit der Bevölkerung (positiv).
       
       Bei zwei neutralen, drei negativen und drei positiven Indikatoren ergibt
       sich ein neutrales Gesamtergebnis. Mit anderen Worten: Der Wohlstand der
       Deutschen ist in den vergangenen Jahren nicht gewachsen.
       
       Zum Beispiel der ökologische Fußabdruck: In der Landwirtschaft verursacht
       die starke Düngung der Äcker und Felder, dass viel mehr Nitrat in den Boden
       gelangt, als dieser verträgt. Grundwasser, Meere und Flüsse werden stark
       belastet. Die Qualität der Umwelt nimmt ab. Der Indikator zeigt deshalb ein
       negatives Ergebnis.
       
       Beispiel Wirtschaftsleistung: Deutschland stellt zwar immer mehr Waren und
       Dienstleistungen her. Die Grünen sagen allerdings, dass man ökologische
       oder soziale Schäden, die dadurch entstehen, gegenrechnen muss. Unter dem
       Strich ist die Wirtschaftsleistung damit nicht gestiegen, sondern nur
       gleichgeblieben.
       
       ## Gabriel sieht durchs Schlüsselloch
       
       Demgegenüber präsentierte Wirtschaftsminister Gabriel den traditionellen
       Jahreswirtschaftsbericht mit der Wachstumszahl. Das Bruttoinlandsprodukt
       (BIP) – der Wert aller produzierten Waren und Dienstleistungen minus
       Vorleistungen – soll demnach 2016 preisbereinigt um 1,7 Prozent steigen.
       2015 lag in einer ähnlichen Größenordnung. Die Prognose ist wegen der
       weltwirtschaftlichen Turbulenzen etwas pessimistischer als bisher.
       
       Trotz des starken Zuzugs von Flüchtlingen wird die Zahl der Arbeitslosen
       nur wenig zunehmen, meint das Wirtschaftsministerium. Außerdem steigt der
       Bedarf an Arbeitskräften, weil mehr Menschen einkaufen. Dieser expansive
       Effekt neutralisiert die Zunahme der Erwerbslosigkeit unter Migranten zum
       Teil.
       
       Die Grünen betrachten die Fixierung auf die Zahl des Wirtschaftswachstums
       jedoch als einseitig. „Wir nehmen Abschied von der Magie einer einzelnen
       Zahl“, sagte Kerstin Andreae, Vizevorsitzende der grünen
       Bundestagsfraktion. „Gabriel blickt nur durch das Schlüsselloch“, sagte
       Fraktionschef Anton Hofreiter. „Unser Bericht ist breiter.“
       
       Der alternative Wohlstandsbericht, den die Wissenschaftler Roland Zieschank
       und Hans Diefenbacher erarbeitet haben, baut auf den Ergebnissen einer
       Bundestagskommission auf, die während der vergangenen Regierungsperiode
       einen Katalog von Messgrößen entwickelt hat, um das BIP zu ergänzen. Eine
       Berichterstattung der Regierung anhand dieser Indikatoren gibt es bisher
       aber nicht.
       
       Positiv entwickelte sich laut grünem Bericht die Bildungssituation, weil es
       den Schulen mittlerweile besser gelingt, soziale Nachteile auszugleichen.
       Der Indikator für „Governance“ zeigte ebenfalls nach oben: Die Verwaltung
       in Deutschland ist wenig korrupt, die Regierungen handeln effektiv und im
       Interesse der Bürger. Das deutlichste Zeichen einer positiven Entwicklung
       ist schließlich die Lebenszufriedenheit der Bürger, die auf dem höchsten
       Stand der vergangenen 25 Jahre liegt.
       
       27 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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