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       # taz.de -- Die Wahrheit: Der Plauzen-Ken
       
       > Nach Barbie wird nun auch der ewige Begleiter an ihrer Seite
       > wirklichkeitsgetreuer. Das Vorbild für den neuen Look kommt aus der
       > Eifel.
       
   IMG Bild: Das waren noch Zeiten, als Ken und Barbie untergewichtig waren.
       
       „Ken!“, hallt es sehnsuchtsvoll, aber auch unzweifelhaft besitzergreifend
       aus Hunderten von Mädchenmündern, deren Eignerinnen sich derart heftig
       gegen den eilig geflickten Jägerzaun schmiegen, dass die hölzerne
       Begrenzung des kleinen Vorgartens verdächtig zu knacken beginnt.
       Kratzspuren im unteren Bereich der Eingangstür künden von der letzten
       geglückten Invasion, ein pink Gummistiefel Größe 28 mit Einhornmotiv steckt
       noch immer einsam im Matsch des niedergetrampelten Gemüsebeets.
       
       Erwin Drömmer zündet sich nervös eine neue Zigarette an, obwohl die letzte
       noch im Aschenbecher glimmt. Der plötzliche Ruhm macht dem Frührentner
       sichtlich zu schaffen – so recht weiß der kinderlose Mann mit den
       Liebesbekundungen seiner minderjährigen Fans nicht umzugehen.
       
       „Ich muss mich mal wieder zeigen, sonst rennen die mir die Bude ein“, sagt
       Drömmer schließlich und tritt ans offene Küchenfenster seiner
       Einliegerwohnung, worauf das Gekreisch prompt atemloser Stille weicht.
       Drömmer zieht sein Hemd über den erkahlenden Schädel und legt ächzend eine
       käsige Plauze frei, die dicht behaart und von Dehnungsstreifen marmoriert
       über den Hosenbund lappt.
       
       Doch erst als Drömmer seine Fettschürze über das Fensterbrett schwappen
       lässt, löst sich die Spannung. „Iiiiiiiiih!“, kreischt die Mädchenmeute
       ebenso beglückt wie angewidert los und beginnt umstandslos ihre plumpen
       Püppchen zu liebkosen, die dem gelernten Trockenbauer wie aus dem teigigen
       Gesicht geschnitten sind.
       
       ## Kreischende Mädchenmeute
       
       Denn Erwin Drömmer ist das fleischliche Vorbild des neuen Ken, jenes ewigen
       Begleiters der Barbiepuppe, der genau wie der Frührentner 1961 das Licht
       der Welt erblickte, wenn auch nicht wie dieser in der Sackeifel, sondern am
       Zeichenbrett der Entwickler des amerikanischen Spielzeugherstellers Mattel.
       
       Doch während das alte Ken-Modell athletisch und braungebrannt einem
       idealisierten Surfer und Highschool-Schwarm nachempfunden war, haben die
       Puppendoktoren diesmal erbarmungslosen Realismus walten lassen. Der neue
       Ken ist ein realistisch gealterter, dicklicher Mittfünfziger mit ergrautem
       Haarkranz, rheumatischen Knien, chronischem Raucherhusten und Wasser in den
       Beinen. Verantwortlich für diese ästhetische Neuorientierung ist
       Mattel-Chefentwickler Dennis Carl Brian Wilson, der die konservative
       Spielzeugszene bereits in der vorigen Woche mit der Präsentation neuer
       Barbiepuppen schockte, die erstmals verschiedene weibliche „Body Shapes“
       berücksichtigen.
       
       Neben der klassischen Barbie (“Anorectic Dumb Blonde“), die Generationen
       von Mädchen zu interessanten Essstörungen inspirierte, werden nun auch
       Puppen mit authentischeren Körperformen angeboten. Neben den Größen
       „petite“, „tall“ und „tall maple flavoured low fat decaf“ sollen die
       stattlichere Ausführung „curvy“ sowie das noch ausladendere Modell
       „kardashian“ für Diversität sorgen.
       
       „Es gibt einfach keinen liebevolleren Weg, einem kleinen Mädchen zu sagen,
       dass es zu fett ist, als ihm eine Curvy-Barbie zu schenken“, erläutert
       Vorzeigefeminist Wilson das pädagogische Konzept der Sortimentserweiterung.
       In Drömmer meint der Puppendesigner nun auch den Phänotyp für ein
       realistischeres Männerbild entdeckt zu haben. „Wir haben weltweit alle
       relevanten medizinischen Daten ausgewertet, typisch männliches
       Risikoverhalten analysiert, sowie alle gängigen Ernährungsgewohnheiten
       berücksichtigt“, erklärt Wilson. „Als statistischer Mittelwert in der
       relevanten Alterskohorte wurde uns Herr Drömmer aus Daun angezeigt. Wir
       waren selbst überrascht. Aber ich finde, das Ergebnis kann sich sehen
       lassen.“
       
       Drömmer selbst sieht das freilich anders. „Ich kann mich nirgendwo mehr
       blicken lassen, ohne dass mir irgendwelche kleinen Mädchen am Bauch
       herumtatschen und dabei gehässig kichern“, barmt das Ken-Vorbild.
       Mittlerweile hält er streng Diät und ernährt sich nur noch von Zigaretten
       und angstlösenden Benzodiazepinen, die er wie Nüsschen aus einer Schüssel
       nascht.
       
       ## Neue Modelle aus der Männerwelt
       
       „Natürlich wollen wir langfristig auch andere Modelle anbieten“, beruhigt
       Wilson. „Derzeit arbeiten wir an einem Geeky-Ken, der einem 38-jährigen
       Programmierer mit Hühnerbrust, Mausarm und Haltungsschaden nachempfunden
       wird, an Steroid-Ken mit aufblasbarem Bizeps und selbst wachsender
       Gynäkomastie und an Ken FM, um auch den zerebral auffälligen Teil der
       Männerwelt abzubilden.“
       
       Das derzeitige Ken-Ebenbild Erwin Drömmer möchte jedoch so lange nicht auf
       den Entsatz warten. Gestern verkaufte der genervte Frührentner seine
       Wohnung, um den Erlös in eine Schönheits-OP zu investieren. In weniger als
       einem Monat will der neue Ken aussehen wie der alte.
       
       3 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Bartel
       
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