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       # taz.de -- Kampfvokabeln & Stereotypien: Wer hat Angst vor dem Islam?
       
       > Der Islam ist nicht nur eine Religion. Er verkörpert das Andere, vor dem
       > Angst zu haben, die eigene Identität stabilisiert.
       
   IMG Bild: Wird jetzt eine Moschee: Die ehemalige Kapernaum-Kirche in Hamburg
       
       BREMEN taz | Köln war so ein Auslöser, das ist klar, die Vorfälle von der
       Silvesternacht. Sülmez Dogan schreibt gerade an einem Antrag für die
       Bremische Bürgerschaft. Sie will damit die Debatte umlenken, „weg von der
       Religion“, sagt sie, auf das, was sie als das eigentliche gesellschaftliche
       Problem ansieht, unseren Umgang mit sexualisierter Gewalt, über
       Gesetzeslücken, Verfahrensmängel, Aufklärungshürden. „Da haben wir in
       Deutschland Defizite“, sagt die Grünen-Politikerin aus Bremerhaven.
       
       Das fange schon mit der prekären Beweissicherung an. Zu überprüfen seien
       auch die Ermittlungsabläufe, die erschreckend niedrige Verurteilungsquote,
       das oft läppische Strafmaß, „darüber müssen wir reden“, sagt die
       Rechtsanwältin. Dass Deutschland noch immer nicht die Istanbuler Konvention
       gegen sexuelle Gewalt ratifiziert hat, dass – laut niedersächsischer
       Dunkelfeld-Studie – gerade mal jede 17. Sexualstraftat überhaupt angezeigt
       wird – das alles zeigt, „da haben wir ein gesellschaftliches Problem“, sagt
       Dogan. Und: „Das alles hat doch nichts mit dem Islam zu tun.“
       
       Das ist richtig, solange man den Islam als eine Religion mit Theologie,
       Bräuchen und heiliger Schrift auffasst: In keiner Auslegung des Koran ist
       es vorgesehen, dass alkoholisierte Männer Frauen vergewaltigen, und der
       gregorianische Jahreswechsel hat im muslimischen Mondkalender keinerlei
       Relevanz.
       
       In Deutschland aber führt der Islam eine Art Doppelleben. Außer als
       funktional definierbares System von Regeln, Überzeugungen und Verhalten
       existiert noch ein imaginärer Islam: Ein von fantasmatischen Zuschreibungen
       durchzogenes Bild des Anderen. Dieses Bild wurde jahrhundertelang in
       Erzählungen des Grauens kultiviert. Und diese Tradition bildet die
       Grundlage, den Nährboden für den Erfolg oder die Karriere auch der jetzigen
       Ängste, ihr sprunghaftes Anwachsen. Hauptbestandteile dieses imaginären
       Islam sind extreme Grausamkeit, tiefe Unbildung, Despotie und sexuelle
       Maßlosigkeit. Diesen bedrohlichen Bildwelten kommt eine wichtige Funktion
       innerhalb der Identitätsentwürfe des Westens zu: Sie lassen sich
       tendenziell als Reaktion darauf entziffern. Die Angst vor dem Anderen
       stabilisiert sie.
       
       Als einen dieser Entwürfe benennt taz-Autor Daniel Bax den von Luther
       geprägten Begriff des „Abendlandes“. Dieses sei „schon immer mehr eine Idee
       als ein geografisch fest umrissener Ort“ gewesen. Ein Wort, das sich als
       Kampfvokabel nahezu beliebig mal gegen Sowjets, mal gegen Menschen vom
       Balkan, aber ebenso auch gegen Juden einsetzen ließ. Die höchst
       fragwürdige, neuerdings aber populäre „Rede vom christlich-jüdischen
       Abendland“ zeige vor diesem Hintergrund, „wie dehnbar der Begriff“ geworden
       sei, schreibt Bax in seinem Buch „Angst ums Abendland“, das er im Februar
       bei den taz Salons in Bremen und Hamburg zur Diskussion stellt.
       
       ## Angst vor dem Generalverdacht
       
       „Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten
       sollten“ heißt programmatisch der Untertitel. Im Buch zeichnet er das – von
       manchen offenbar sehr bewusst betriebene, von anderen mehr überwältigt
       mitgeschriebene – Anwachsen der antimuslimischen Stimmungsmache nach,
       sodass sich die Umrisse einer neurechten Islamhasser-Front erkennen lassen.
       Pegida, die Erfolge der FPÖ in Österreich, der Marine Le Pen in Frankreich
       und der Zulauf zur AfD, es gibt ganz offenkundig Profiteure der wachsenden
       Angst. Und noch offenkundiger Verlierer: „Viele aus der türkischen
       Community haben Angst vor diesem Generalverdacht gegen den Islam“,
       bestätigt Sülmez Dogan.
       
       Abendland: komisches Wort, klang immer schon ideologieverdächtig. Und kaum
       jemand hatte das bis vor Kurzem im aktiven Sprachschatz. Das ließe sich
       vermeiden. Aber das ist nicht alles. Heute gibt es in allen Bundesländern
       Europaschulen. Eine tolle Idee, eine feine Sache. „Europaschulen in
       Niedersachsen machen es sich zur Aufgabe, Schülerinnen und Schüler auf ein
       Leben im gemeinsamen Haus Europa vorzubereiten“, informiert das
       niedersächsische Kultusministerium. Die Metapher des Hauses ist populär,
       wenn es darum geht, von den Vorzügen der EU zu sagen und zu schreiben. Und
       sie klingt so friedlich.
       
       ## Kriegerischer Ursprung
       
       Und doch hat das Bild auch ausgrenzendes Potenzial – und einen
       kriegerischen Ursprung: Das Haus bestimmt die Sphäre des Eigenen. Wer das
       Hausrecht hat, bestimmt, wer rein darf. Und wer nicht. Und wer trotzdem
       kommt – ist ein Verbrecher und Feind: Der wohl erste Text von
       welthistorischer Bedeutung, der die Metapher vom Haus Europa wenn nicht
       prägt, dann doch nutzt, ist eine Rede des Enea Silvio Piccolomini. Wenige
       Jahre, bevor er zum Papst gewählt und sich Pius II. nennen wird, predigt er
       in Regensburg darüber, dass man in Afrika und Asien ja schon in früheren
       Zeiten verletzt worden sei. Aber „nunc vero in Europa, idest in patria, in
       domo propria, in sede nostra percussi caesique sumus“, heißt es in seiner
       Rede von 1454 – also „jetzt sind wir wirklich in Europa, das ist im
       Vaterland, in unserem eigenen Haus und unser Wohnsitz geschlagen worden“.
       
       Von wem? Vom Islam versteht sich. Die Türken – ethnische und religiöse
       Kategorie fallen zusammen – hatten Konstantinopel, den Sitz des
       oströmischen Kaisers, erobert. Es heißt seither Istanbul. Das Bild des
       Hauses wird beschworen, um Eindringlinge zu definieren – und zu bekämpfen:
       Pius stößt das Projekt eines Kreuzzugs gegen die Türken an, die
       „asiatischen Halbmenschen“, wie der Humanist schreibt. Von Machtgier
       zerfressen, von unaufhaltsamem Expansionsdrang getrieben, als Erotoman –
       die legale Polygamie fasziniert die Fürsten Europas sehr – ist der Türke
       Sklave seiner Gemahlinnen, zudem ein Kinderfresser.
       
       Wütend werden moderate Stimmen wie die des Schweriner Bischofs Gottfried
       Lange niedergeschrieben: Der Lüneburger Patriziersohn ist der erste
       deutsche Autor, der die Niederlage von Konstantinopel schildert. Sein Werk
       gilt der heutigen Forschung als ungewöhnlich sachlich. Das passt nicht zu
       den Kriegsplänen des Papstes. Für die wird in ganz Europa Propaganda
       gemacht: Die Blutdurst der Türken scheint täglich zuzunehmen, und bezüglich
       der Qualen, die sie ihren Opfern zuzufügen pflegten, scheinen die Prediger
       und Traktateverfasser in einem sadistischen Überbietungswettbewerb
       gestanden zu haben.
       
       Die Fürsten finden das offenbar nicht verkehrt. Sie profitieren von der
       Angst, dafür gibt es ein schönes Beispiel aus dem Holsteinischen: Dort ist
       in Messen für den Krieg gegen den Feind der ganzen Christenheit Geld,
       Silber und Gold gesammelt worden. Wohin das Geld geflossen ist, lässt sich
       selten nachvollziehen. Immerhin in einem Fall hat der dänische König
       Christian I. eine Quittung unterzeichnet: In Roskilde hatte er den ganzen
       Opferstock konfisziert, mit 535 1/2 Lybsker Mark. Selbstredend nicht ohne
       das königliche Versprechen, dem Papst das Geld zu schicken, sobald der
       Krieg losgeht.
       
       ## „Die pathologische Angst“
       
       Auch wenn eine reale Gefahr angesichts der geografischen Distanz zu den
       Kriegsschauplätzen für Holstein nie bestanden hat: Es ist nicht so, als ob
       da nichts gewesen wäre. Die Osmanen waren keine zimperlichen Eroberer. Und
       sicher gibt es die „pathologische Angst vieler westlicher Linksliberaler,
       sich der Islamophobie schuldig zu machen“, vor der nach den
       Charlie-Hebdo-Anschlägen der slowenische Philosoph und Psychoanalytiker
       Slavoj Žižek gewarnt hat: Ängste durch andere Ängste zu ersetzen, das kann
       als Konzept in der Tat nicht überzeugen. Aber Kritik würde Kenntnis
       voraussetzen, und die Fähigkeit, sich selbst, also die eigenen
       Selbstkonstruktionen infrage zu stellen, die vom Bild des Anderen abhängig
       sind.
       
       Das ist nicht leicht. Denn das Motivbündel, aus dem sich die Bilder des
       Islam speisen, ist dick, und „Die Stereotypien und die Muster lassen sich
       fast beliebig kombinieren und je nach Bedarf einsetzen“, sagt der
       Historiker Felix Konrad, der an der Kieler Uni zum Bild des Islam als der
       Antithese Europas geforscht hat: Verändert sich das Kräfteverhältnis,
       wendet sich das Schlachtenglück, modifiziert sich auch die Vorstellung vom
       Islam: Die Bilder des Muslimen zeigen ihn mal als Ungeheuer, mal als
       Idioten, inszenieren ihn als Feind oder als Witzfigur.
       
       ## Umwertung als Schock
       
       Mitunter kann diese Umwertung selbst als Schock empfunden werden. So erlebt
       er in Hamburg 1686 eine radikale Neubewertung. Noch das gesamte 17.
       Jahrhundert über werden in Flugschriften die Türken als barbarische
       Bluthunde, blutdürstige Christenfeinde, grausame Thiere geschmäht. Die
       Dramen des Barock apostrophieren ihre Sultansfiguren als Antichristen und
       Tyrannen, als geile Hunde, sie sind Wurm, Drache, Ertzmoerder: Je übler die
       Verwünschung, desto größer ist die Angst. Doch im Jahr 1686 eröffnet das
       Opernhaus am Gänsemarkt zum zweiten Mal. Es wird ein pompöses
       gesellschaftliches Ereignis.
       
       Der heute vergessene Komponist Johann Wolfgang Franck hat eine Doppeloper
       geschrieben, die nicht weniger als 48 verschiedene Szenerien und Maschinen
       verwendet, Akrobatik, Tanzeinlagen, ja, es werden sogar mit Seilen Figuren
       und Requisiten scheinbar zum Fliegen gebracht: Drei Jahre nach der
       verheerenden Niederlage der Türken vor Wien hat Librettist Lukas von Bostel
       die Geschichte vom osmanischen Heerführer, dem „Grosz-Vezier Cara Mustapha,
       Nebenst Der grausamen Belagerung/ und Bestürmung der Käyserlichen
       Residentz-Stadt Wien“ und von dessen Unglück „Nebenst Dem erfreulichen
       Entsatze der Käyserl. Residentz-Stadt Wien“ für die Bühne eingerichtet. Und
       zwar, um „in der Welt im schwange gehende Missbräuche durch hönische
       Aufziehung zu Verbesserung der Sitten zu entdecken und durchzuhecheln“, wie
       er schreibt.
       
       Skandal erregt die Oper – die zur zweijährigen Schließung des gerade wieder
       eröffneten Hauses geführt zu haben scheint – sowohl, weil sie den
       Strangulationstod der Titelfigur auf offener Bühne vorführt, als auch weil
       sie ihn – immerhin eine historische Persönlichkeit von höchstem Rang – der
       Lächerlichkeit preisgibt. Hamburgs Klerus protestiert.
       
       Es fällt leicht, diese Karikatur als Vorbereitung eines Abwertungsdiskurses
       zu deuten, als Beginn der Umstellung auf einen kolonialisierenden Blick.
       Doch sie ermöglicht in der Überwindung der Angst durchs Lachen auch einen
       anerkennenden Blick, den man als Zug zum Realismus deuten kann: Der Sultan
       Mehmet IV., der in dieser Oper durchaus seine Auftritte hat, erscheint, so
       schreibt die französische Germanistin Laure Gautier, als „mäßiger und
       vernünftiger Herrscher, der den Krieg eigentlich hatte vermeiden wollen“:
       ein Mensch, mit dem man reden kann.
       
       5 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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