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       # taz.de -- Antibiotika in Bioland-Ställen: Das merkt fast keine Sau
       
       > Der Biolandverband hat Bauern erlaubt, Tieren bestimmte Antiobiotika zu
       > geben – entgegen den eigenen Regeln. Experten sind entsetzt.
       
   IMG Bild: Verarschung bei Bioland? Fleisch kann ein Bioland-Siegel haben, auch wenn durch den Verband verbotene Antibiotika zum Einsatz gekommen sind
       
       BERLIN taz | Deutschlands größter Ökobauernverband Bioland verstößt
       mitunter gegen seine eigenen Regeln, mit denen er hohe Preise rechtfertigt.
       „2014 wurden 35 Ausnahmegenehmigungen zur Einzeltierbehandlung für alle
       Tierarten auf den Einsatz eines nicht zugelassenen Medikaments erteilt“,
       schreibt Bioland-Sprecher Gerald Wehde auf Anfrage der taz.
       
       Bauern des Verbands durften ihren Tieren also zum Beispiel bestimmte
       Antibiotika geben, obwohl Bioland diese [1][in seinen Richtlinien]
       ausdrücklich und ohne die Möglichkeit von Ausnahmen verboten hat.
       
       Wehde begründet die entgegen den Regeln erteilten Ausnahmeerlaubnisse
       damit, dass „der Tierarzt keine Alternativbehandlung aus Sicht des
       Tierschutzes“ habe vornehmen können. Kritiker wenden jedoch ein, kranke
       Tiere könnten zwar behandelt werden – sie dürften dann allerdings nur mit
       dem gesetzlichen EU-Biosiegel und nicht mit dem teureren Bioland-Siegel
       verkauft werden.
       
       Sogar wenn Bauern die verbotenen Medikamente verwenden, ohne sich eine
       Ausnahmegenehmigung zu besorgen, wird das Tier meist weiter mit dem Siegel
       des Verbands verkauft. Denn Wehde ergänzt: „Ein einmaliger Einsatz eines
       Medikaments aus unserer Verbotsliste führt nicht zu einer
       Zeichenaberkennung.“
       
       Damit widerlegt er Angaben des Chefberaters für Schweineerzeuger von
       Bioland in der taz vom 2. Februar. Solche Fälle werden Wehde zufolge aber
       „über Auflagen und Abmahnungen und im Wiederholungsfall durch eine
       Vertragsstrafe“ sanktioniert. Auf die Frage nach der Rechtsgrundlage für
       Ausnahmegenehmigungen verwies der Pressesprecher lediglich auf „interne
       Anweisung der Qualitätssicherung“ – also nicht auf die maßgeblichen
       Richtlinien von Bioland.
       
       „Ich bin erschüttert“, sagt ein langjähriger Brancheninsider der taz, der
       aus Angst vor „Rache“ von Bioland nicht namentlich genannt werden möchte.
       [2][Zwar toleriert auch der viertgrößte deutsche Ökoverband Biokreis
       Verstöße gegen seine Medikamentenverbote], wie die taz vergangene Woche
       aufdeckte. Aber Bioland ist der bedeutendste Verband für ökologischen
       Landbau in Deutschland.
       
       Mehr als 6.200 Landwirte, Gärtner, Imker und Winzer haben sich
       verpflichtet, nach den Richtlinien des Vereins zu wirtschaften. Hinzu
       kommen über 1.000 Händler und Verarbeiter wie Bäckereien, Molkereien und
       Metzgereien. Die Richtlinien „gehen weit über den gesetzlichen
       Mindeststandard für Biolebensmittel hinaus“, wirbt Bioland und erklärt sich
       zu „einer Wertgemeinschaft zum Wohl von Mensch und Umwelt“.
       
       Zu diesem Selbstverständnis passt, dass Bioland als erster Ökoverband den
       Einsatz von Antibiotika der Gruppe Fluorchinolone verboten hat. Die
       Weltgesundheitsorganisation hatte diese Medikamente als „von entscheidender
       Bedeutung für die Humanmedizin“ eingestuft, die oft als
       „Reserveantibiotika“ bezeichnet werden. Denn sie gehören zu den sehr
       wenigen Präparaten, mit denen sich etwa Infektionen mit dem Keim
       Campylobacter bekämpfen lassen.
       
       ## Bio nur Etikettenschwindel?
       
       [3][Die Grünen etwa fordern, Reserveantibiotika in der Landwirtschaft
       gesetzlich zu verbieten]. Denn auch der häufige Einsatz in der Tierhaltung
       trägt dazu bei, dass Krankheitskeime gegen diese Wirkstoffe resistent
       werden – und die Medikamente irgendwann auch nicht mehr bei Menschen
       wirken. Schätzungen zufolge [4][sterben in der EU jährlich rund 25.000
       Menschen an Infektionen mit resistenten Bakterien].
       
       Für Gegner der Branche wie den Agrarstatistiker Georg Keckl sind
       Eingeständnisse wie die von Bioland und Biokreis eine Steilvorlage. „Alles
       was zu Anwendungsverboten oder Anwendungsbeschränkungen in den Richtlinien
       steht, ist Show für die Öffentlichkeit. Was ist sonst noch Show?“, fragt
       er. Bio – nur ein Etikettenschwindel?
       
       Und selbst Experten, die Biolebensmittel empfehlen, sind entsetzt. „Es ist
       schon schwer zu vermitteln, dass überhaupt Antibiotika in der
       Bio-Tierhaltung eingesetzt werden“, sagt Armin Valet, Ernährungsfachmann
       der Verbraucherzentrale Hamburg. Umso inakzeptabler sei es, wenn Bioland
       seine eigenen Medikamentenverbote unterläuft. Dann würde es keinen Sinn
       machen, solche Vorschriften festzulegen. Die Branche müsse in diesem Punkt
       offener kommunizieren.
       
       ## Demeter weicht aus
       
       „Wer sich solche Regeln gibt, ist den VerbraucherInnen gegenüber
       verpflichtet, sie konsequent durchzusetzen. Alles andere ist
       Verbrauchertäuschung“, sagt auch der Vizegeschäftsführer von Foodwatch,
       Matthias Wolfschmidt.
       
       Eckehard Niemann, Agrarindustrieexperte der ökologisch orientierten
       Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, warnt gar: „Der Ruf von
       Bioland geht vor die Hunde.“ Zu fragen sei, warum die Tiere überhaupt diese
       Antibiotika benötigten. „Die werden ja im Wesentlichen krank durch die
       Haltungsbedingungen.“ Hier müsse Bioland ansetzen, statt seine Prinzipien
       zu verraten.
       
       Demeter, wichtiger Bioland-Konkurrent, antwortet ausweichend auf die Frage,
       ob die inkonsequente Anwendung von Medikamentenverboten bei Biokreis und
       Bioland die Glaubwürdigkeit von Bio insgesamt und speziell der Bioverbände
       untergraben könnte. Demeter teilt aber mit: Ausnahmen von
       Medikamentenverboten „sind bei uns kein Thema“. Allerdings hat Demeter im
       Gegensatz zu Bioland Reserveantibiotika gar nicht verboten.
       
       8 Feb 2016
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.bioland.de/fileadmin/dateien/HP_Dokumente/Richtlinien/Bioland-Richtlinien_16_Nov_2015.pdf
   DIR [2] /Missstaende-in-Biobetrieb/!5270892
   DIR [3] https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressemitteilungen/2015/juli/reserveantibiotika-lassen-resistenzentwicklungen-steigen_ID_4396286.html
   DIR [4] http://www.euro.who.int/de/health-topics/disease-prevention/antimicrobial-resistance/antibiotic-resistance
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jost Maurin
       
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