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       # taz.de -- Sachbuch zu Kooperativen: Vertrauen in den Gemeinschaftsgeist
       
       > Vom Arbeits- zum Lebenszusammenhang: Ein neues Sachbuch widmet sich klug
       > ökonomischen Kooperativen und Commons.
       
   IMG Bild: Dass Commons häufig von privatwirtschaflticher Seite bedroht werden, zeigt der Kampf um die Bodennutzung in Senegal.
       
       Commons wird in der Regel mit „Gemeingut“ übersetzt. Dem Thema haftete
       eigentlich mal etwas Antiquiertes an. 2009 aber hat Elionor Ostrom als
       erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis gewonnen, sie hat etwa 1.000
       Commons-Beispiele aus aller Welt untersucht und daraus acht Regeln
       destilliert, wie Güter auf Dauer gemeinschaftlich genutzt werden können.
       
       Wer jedoch Commons auf den rein ökonomischen Aspekt reduziert, verfehlt den
       Kern. Silke Helfrich und David Bollier stellen in ihrem Buch „Die Welt der
       Commons – Muster gemeinsamen Handelns“ deshalb nicht die genutzten Objekte
       ins Zentrum, sondern richten den Blick auf die sie tragenden
       Sozialstrukturen.
       
       Menschliche Beziehungsgeflechte sind komplex, lebendig, wandelbar – und sie
       entwickeln sich im Austausch mit der Umgebung. Commons können ein prägender
       Faktor für die soziale Praxis sein, manchmal jahrhundertelang, manchmal
       kurzfristig, wie das Buch anhand von Beispielen belegt. Die beiden
       Herausgeber haben Forscherinnen und Forscher aus aller Welt für den Band
       gewinnen können.
       
       Dass Commons häufig von privatwirtschaftlicher oder staatlicher Seite
       bedroht werden, belegen der Kampf um die Wasserversorgung in Bolivien, die
       Bodennutzung im Senegal oder der Umgang der indischen Forstbehörden mit den
       vielfältig genutzten Wäldern in Rajasthan. Hier zeigt sich, dass in
       Mitteleuropa entstandene Vorstellungen von Recht, staatlicher Kontrolle und
       dauerhaftem Eigentum mit der gemeinschaftlichen Verwaltung durch Beteiligte
       vor Ort kollidieren.
       
       ## Wissensplattform für Reisbauern in Madagaskar
       
       Umgekehrt gelingt es aber auch an vielen Stellen, neue Commons jenseits von
       Markt und Staat aufzubauen. Das Onlinelexikon Wikipedia oder die
       Landkartenplattform Openstreet-Map sind nur zwei Beispiele, wie das
       Internet gemeinsames Schaffen ermöglicht. Auch Reisbauern in Madagaskar
       haben eine Wissensplattform geschaffen, um Erfahrungen zu teilen.
       
       Die venezolanische Kooperative Cecosesola existiert schon seit fast 50
       Jahren – ein Netzwerk von etwa 60 Genossenschaften und Basisorganisationen
       mit zusammen 20.000 Mitgliedern. Sie versorgen sich und viele
       Großstadtbewohner mit Lebensmitteln, betreiben ein Gesundheitszentrum, ein
       Beerdigungsinstitut und organisieren Kredite. Die Gemeinschaft versteht
       sich nicht als Wirtschafts- und Arbeits-, sondern als Lebenszusammenhang
       ohne Hierarchien; Entscheidungen werden im Konsens getroffen.
       
       ## Resonanzen zwischen den Beteiligten
       
       „Dinge und Wesen sind ihre Beziehungen; sie existieren nicht vor den
       Beziehungen“, schreibt der kolumbianische Anthropologieprofessor Arturo
       Escobar. Er sieht Dichotomien wie Geist/Körper, Natur/Kultur und
       Mensch/Nichtmensch als „Kulturleistung des Westens“, die zur Ideologie des
       autonomen Individuums geführt hat. Commons dagegen basieren auf Resonanzen
       zwischen den Beteiligten.
       
       Sie funktionieren dauerhaft nur dann, wenn alle das Gefühl haben, dass sich
       ihr Beitrag und Nutzen in einem fairen Verhältnis zueinander bewegen und
       sie das Vertrauen haben, dass die Gemeinschaft Regelverstöße sanktioniert.
       Diese Handlungsmuster werden in diesem Band erkannt. Bei der
       Buchvorstellung in Berlin lobte der Politologe Claus Leggewie sie als Werk,
       das einen Paradigmenwechsel entscheidend mitbefördern könnte – weg von der
       Vorstellung des Homo oeconomicus, hin zum Homo cooperativus.
       
       30 Jan 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annette Jensen
       
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