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       # taz.de -- Varoufakis in der Berliner Volksbühne: „Wir“ für Demokratie
       
       > Der große Varoufakis-Abend in der Berliner Volksbühne ist vorbei. Was
       > bleibt, ist ein fragiles linkes Bündnis mit vielen Fragen.
       
   IMG Bild: Schaut von links nach rechts und sucht die Demokratie: Gianis Varufakis.
       
       Berlin taz | Im Foyer der Berliner Volksbühne ist es anderthalb Stunden vor
       der Veranstaltung voll. Eine Mitarbeiterin des Theaters verteilt
       Wartemarken, an alle, die keine Eintrittskarte mehr bekommen haben. Seit
       knapp einem Monat ist die Veranstaltung mit Gianis Varoufakis ausverkauft.
       Viele ohne Karte hoffen, trotzdem eingelassen zu werden. Nach 120
       verteilten Wartemarken will die Mitarbeiterin nicht weitermachen. „Das ist
       zwecklos“, ruft sie den enttäuschten Wartenden zu. „Wir haben aber ab 20
       Uhr 30 einen Livestream auf unserer Internetseite.“
       
       Hunderte sind in die Berliner Volksbühne gekommen, um den [1][Start der
       neuen europäischen Bewegung] mitzuerleben, die der ehemalige griechische
       Finanzminister am Dienstagabend ins Leben rufen will. Auf der Bühne steht
       vor einem schwarzen Vorhang ein Redepult, an der Rückwand hängt ein großer
       Monitor, auf rotem Grund ist das Logo DiEM zu lesen. Es steht für
       „Democracy in Europe Movement 2025“, das ist der Name der neuen
       paneuropäischen Bewegung.
       
       Im Saal wird es schon unruhig, da wird es dunkel. Ein ein
       dreieinhalbminütiger Videoclip beginnt. Flüchtlinge in einem Schlauchboot
       sind zu sehen, Trauernde nach den Anschlägen von Paris, Aufnahmen von
       Eurogruppen-Treffen während der Griechenland-Krise.
       
       Zwischen die Bilder der ersten Garde der europäischen Politik von Angela
       Merkel und Wolfgang Schäuble bis zu EU-Kommissionspräsident Jean-Claude
       Juncker und EZB-Chef Mario Draghi ist eine Spinne in ihrem Netz
       geschnitten. Dazu die Botschaft: „Nichts fürchten sie so sehr wie
       Demokratie.“
       
       ## Die EU demokratisieren
       
       Der Film ist zu Ende. Gianis Varoufakis betritt die Bühne. Applaus brandet
       auf. Griechenlands Kurzzeitfinanzminister trägt ein schwarzes Hemd, keine
       Krawatte und eine elegante Jacke. Er ist heute Hauptredner, Moderator,
       Regisseur. Das hier heute Abend ist sein Baby, daran lässt er keinen Moment
       einen Zweifel – auch wenn er noch ein paar Freundinnen und Freunde
       mitgebracht hat und oft von „wir“ redet.
       
       „Wir richten uns an die, die nicht mehr an Politik glauben“, sagt er. „Wir
       wollen eine echte Demokratie“ und „Wir sind allergisch gegen den Mangel an
       Transparenz.“ Er hat eine Menge Leute eingeladen, die an diesem Abend auch
       oft „Wir“ sagen. Und trotzdem: [2][Die vielen Einzelnen ergeben kein
       Ganzes.]
       
       Zum Einstieg doziert Varoufakis gewohnt eloquent über die Voraussetzungen
       der neuen Bewegung – es ist eine Paraphrasierung des „Manifestes für die
       Demokratisierung Europas“, angereichert um ein paar Bonmots und Anekdoten.
       Und auch ein passendes Rosa-Luxemburg-Zitat darf nicht fehlen. Schließlich
       liegt die Volksbühne ja am Rosa-Luxemburg-Platz.
       
       Seine Kernbotschaft: „Die EU muss demokratisiert werden, oder sie wird
       zerfallen!“ Varoufakis geißelt die tiefe Krise der EU, die fatalen Folgen
       der vorherrschenden Austeritätspolitik, das Versagen in der
       Flüchtlingskrise und den drohenden Rückfall in den Nationalismus, der
       Europa in den Dreißigerjahren schon einmal in den Abgrund geführt hat.
       
       ## Osteuropa fehlt
       
       Dagegen will der 54-Jährige eine „breite Koalition“ zur Rettung Europas
       schmieden. Eine Auswahl Gleichgesinnter hat er mitgebracht, eine ziemlich
       große. Ein schier endloser Redereigen spult sich in der Volksbühne ab.
       Zumindest von Veranstaltungsökonomie versteht Varoufakis offenkundig wenig.
       Angekündigt ist das Event für zwei Stunden. Doch er hätte wissen müssen,
       dass das nie und nimmer hinkommen kann.
       
       Den Anfang macht Linkspartei-Chefin Katja Kipping: „Wir brauchen mehr
       Europa, nicht weniger, um die Fragen der Humanität zu lösen.“ Es folgen
       diverse Abgeordnete vom dänischen bis zum Europäischen Parlament. Der
       kroatische Philosoph Srećko Horvat ist ebenso mit dabei wie der britische
       Musiker Brian Eno, von dem auch die bedeutungsschwere Musik für den
       Videoclip stammt.
       
       Dazu gibt es noch eine Reihe von Videobotschaften, angefangen vom
       US-amerikanischen Wirtschaftsprofessor James K. Galbraith über die grüne
       Ex-Ministerin Cécile Duflot aus Frankreich und Barcelonas Bürgermeisterin
       Ada Calau bis zum slowenischen Philosophen Slavoj Žižek. Der Digital-Rebell
       Julian Assange flimmert ebenfalls über die Leinwand. „Europa war ein Traum,
       den Europa verloren hat“, richtet der WikiLeaks-Gründer aus seinem Exil in
       der ecuadorianischen Botschaft in London aus.
       
       Aus dem Süden, dem Norden, dem Westen und der Mitte Europas hat Varoufakis
       MitstreiterInnen um sich scharen können. Nur der Osten ist arg dünn
       besetzt. Hat sich in nationalistisch aufgeheizten Ländern wie Ungarn und
       Polen niemand finden lassen, der von links um das europäische Projekt
       kämpft?
       
       ## Es dauert und dauert
       
       Fast alle Reden werden auf Englisch gehalten, was nicht immer gut ist.
       Nicht nur Katja Kipping klingt hölzern. Wirkliche Begeisterung kommt nicht
       auf. Einzig der Europaabgeordnete Miguel Urbán Crespo von Podemos spricht
       lieber in seiner Muttersprache. „Es gibt das Europa der Institutionen und
       das von unten, das sich erhebt, um solidarisch mit Flüchtlingen und
       Bedürftigen zu sein“, ruft der etwas pummelige Mann mit dem Vollbart und
       der Nerdbrille auf Spanisch in den Saal.
       
       Kontroversen werden heute Abend nicht ausgetragen. So findet die auch
       innerhalb der Linken umstrittene Eurofrage mit keinem Wort Erwähnung.
       Spannend wäre auch, was der IG-Metall-Vorständler Hans-Jürgen Urban von
       einem bedingungslosen Grundeinkommen in Europa hält, das sowohl
       Linkspartei-Chefin Kipping als auch Caroline Lucas, die einzige grüne
       Abgeordnete im britischen Unterhaus, fordern.
       
       Stattdessen lobt der Gewerkschafter die „vielen Gemeinsamkeiten zwischen
       unseren Aktivitäten und dem Manifest von DiEM“. Das Publikum spendet artig
       Applaus. „Wie können wir heterogen sein, aber nicht zersplittert?“, fragt
       die deutsche Blockupy-Aktivistin Anna Stiede. Eine überzeugende Antwort
       bekommt sie nicht. Die RednerInnen beziehen sich kaum aufeinander, jedeR
       spult mal mehr, mal weniger kämpferisch das vorbereitete Statement ab. Es
       dauert und dauert.
       
       Um 23.30 Uhr wird es doch noch einmal spannend. Der Saal hat sich bereits
       zur Hälfte geleert, da bittet Varoufakis Gesine Schwan von der ersten
       Sitzreihe herauf auf die Bühne. Es ist kein geplanter Auftritt, denn die
       zweimalige SPD-Kandidatin für das BundespräsidentInnenamt gehört nicht zu
       den UnterstützerInnen seiner neuen Bewegung.
       
       ## Überraschender Auftritt von Gesine Schwan
       
       Aber die beiden sind seit der Griechenlandkrise freundschaftlich verbunden.
       Denn Schwan war die einzige vernehmbare sozialdemokratische Stimme, die
       öffentlich den Kurs der Syriza-Regierung und von Varoufakis unterstützt
       hatte. „Wir haben wirklich gemeinsam gekämpft im Sommer“, sagt sie. Gerne
       hätte Varoufakis sie auch jetzt wieder dabei gehabt. Doch sie will nicht.
       Ihre Ziele seien zwar durchaus gleich. Aber bei aller berechtigten Kritik
       an undemokratischen Prozessen halte sie es für falsch, die EU-Bürokratie
       zur Wurzel allen Übels zu erklären, sagt Schwan.
       
       „Demokratie wurde von Bürokratie ersetzt, aber als Prozess politischer
       Entscheidungsfindung“, sagt die Politikwissenschaftlerin. Nicht die
       EU-Institutionen seien es, die den Neoliberalismus hervorgebracht hätten,
       sondern die politische Mehrheit in den EU-Ländern. „Die muss geändert
       werden.“
       
       Gleichwohl lobt die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission den
       Enthusiasmus und die Energie, „die sich hier gerade entfaltet“. Sie sei
       eine zwar eine eingefleischte Reformerin, aber sie wisse auch: „Die
       Reformer alleine werden überhaupt nichts erreichen.“ Sie bräuchten „eine
       radikale Bewegung“ im Rücken. Das sei ihre „Erfahrung mit Politik“.
       
       Es ist spät geworden. Varoufakis hat noch ein letztes Bonmot: Er erinnere
       sich an einen Ausspruch Oskar Wildes, nachdem der Sozialismus daran
       scheitere, dass die Sitzungen zu lange dauerten. Um zehn Minuten nach
       Mitternacht wünscht er den noch Verbliebenen eine gute Nacht. Von Gesine
       Schwan verabschiedet er sich mit einer herzlichen Umarmung.
       
       10 Feb 2016
       
       ## LINKS
       
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