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       # taz.de -- Wohnortpflicht für Flüchtlinge: Wohnen ist kein Wunschkonzert
       
       > Das Innenministerium will anerkannten Geflüchteten den Wohnort
       > vorschreiben. Die Opposition kritisiert das als völkerrechtswidrig.
       
   IMG Bild: Zuwanderer gegen Zuwanderer: Russlanddeutsche für eine „Sichere Heimat“.
       
       BERLIN taz | In den 90er Jahren hatte es doch schon mal geklappt. Den neu
       zugewanderten Spätaussiedlern wurde damals amtlich vorgeschrieben, wo sie
       sich eine Bleibe suchen sollten. In den Berliner Plattenbauvierteln im
       Osten waren bald ganze von Leerstand bedrohte Straßenzüge wieder bewohnt –
       von Russlanddeutschen. Das Bundesinnenministeirum will die Wohnortzuweisung
       nach einem Bericht der Welt am Sonntag nun wieder einführen. Diesmal für
       anerkannte Flüchtlinge.
       
       Das Bundesinnenministerium bestätigte den Bericht gegenüber der taz. Die
       Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für die Zuweisung eines
       Wohnsitzes an anerkannte Schutzsuchende, die ihren Lebensunterhalt nicht
       selbst decken können, wurde vor allem aus den Reihen der Länder an den Bund
       herangetragen, teilte ein Sprecher mit. Das Interesse gehe dahin, vor allem
       die Ballungsräume von den Risiken der Gettobildung zu entlasten.
       
       Da es sich dabei um ein drängendes Problem handele, werde sich der Bund
       diesem Wunsch nicht verschließen. „Eine Wohnortzuweisung für Flüchtlinge
       halte ich für dringend geboten, um Ballungsräume von den Risiken einer
       Gettobildung zu entlasten“, ließ sich Bundesinnenminister Thomas de
       Maizière (CDU) zitieren.
       
       Nach Informationen der Welt am Sonntag hat das Innenministerium bereits
       Eckpunkte für eine entsprechende Regelung im Aufenthaltsgesetz erarbeitet.
       Über die Verteilung von Flüchtlingen auf bestimmte Wohnorte sollen demnach
       die Bundesländer entscheiden.
       
       Der Koalitionspartner SPD unterstützt das Vorhaben grundsätzlich.
       Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte: „Eine Wohnortzuweisung für
       einen gewissen Zeitraum kann ein sinnvolles ergänzendes Instrument sein,
       wenn es richtig ausgestaltet ist.“ Dabei sollte die Situation auf dem
       Wohnungsmarkt der jeweiligen Bundesländer eine wichtige Rolle spielen.
       
       Die Opposition im Bundestag kritisierte den Vorschlag hingegen als
       rechtswidrig. Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, sagte
       gegenüber der taz: „Das ist ein perfider Vorschlag, den ich ganz klar
       ablehne. Er verstößt gegen Europa- und Völkerrecht. Danach haben anerkannte
       Flüchtlinge das Recht auf Freizügigkeit, und das heißt, sie können ihren
       Arbeits- und Wohnort frei wählen.“ Die in den 90er Jahren praktizierte
       Wohnortzuweisung an Spätaussiedler habe nicht funktioniert, sagte Jelpke.
       „Es sind Gettos entstanden, in denen die Menschen nur noch unter sich
       blieben.“
       
       Der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag, Volker Beck,
       kritisierte ebenfalls, eine Wohnortzuweisung für Flüchtlinge verstoße gegen
       die Genfer Flüchtlingskonvention, nach der anerkannte Flüchtlinge, anders
       als Asylbewerber, Freizügigkeit in den jeweiligen Aufnahmeländern genießen.
       „Ich halte dieses Recht für richtig“, sagte Beck der taz. Probleme der
       Gettoisierung müsse man mit Angeboten und nicht mit Restriktionen lösen.
       (mit dpa)
       
       21 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anna Lehmann
       
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