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       # taz.de -- Militär und Kirche: Der pazifistische Dickkopf
       
       > Ein Pfarrer in Uniform? „Unerträglich“, findet das Matthias Gürtler. Der
       > Greifswalder Theologe ist gegen Militärseelsorge.
       
   IMG Bild: Unabhängigkeit ist ihm wichtig: Pfarrer Matthias Gürtler.
       
       Greifswald taz| Der Dom von Greifswald ist aus Ziegelsteinen aufgeschichtet
       worden, als wollten die Frommen an der Ostsee einen neuen Turm zu Babel
       bauen. Fast hundert Meter ragt er in den pommerschen Himmel. Und immer
       pfeift der Wind. Zweimal ist der Turm eingestürzt. Lange her, sagt Matthias
       Gürtler und blickt nach oben.
       
       Dann wandert der Blick des Pfarrers wieder auf das wetterfeste Plakat neben
       dem Eingang. Das fast zwei Meter große Viereck passt nicht recht zur
       mittelalterlichen Backsteinwelt und doch ist das Emblem „Schwerter zu
       Pflugscharen“ Gürtlers ganzer Stolz. Wo sonst hängt die Vision der
       DDR-Friedensbewegung noch so sichtbar an einer Kirche?
       
       „Schwerter zu Pflugscharen“ war die Forderung vieler Christen in der DDR in
       den achtziger Jahren. Sie richtete sich vor allem gegen die eigene
       Regierung. Wer mit diesem Emblem auf dem Ärmel durch die Straßen lief, galt
       als Staatsfeind. Es scheint wie ein Museumsstück aus einer Zeit, als sich
       Ost und West in Deutschland hochgerüstet gegenüberstanden. Doch Matthias
       Gürtler hat das Plakat nicht aus Nostalgie aufgehängt.
       
       Die Verteidigungsministerin bestellt neue Panzer, die Bundeswehr will den
       Kampf in Großstädten simulieren, die Soldaten sollen mit neuen
       Transportflugzeugen schlagkräftiger werden und sind bereits zwischen
       Afghanistan und Westafrika im Einsatz. Und nun sollen sie den
       Flüchtlingsstrom in der Ägäis stoppen. Und die Kirche ist wie
       selbstverständlich mit im Konvoi.
       
       „Die Einsätze der Bundeswehr dienen dem Frieden in der Welt“, unterstreicht
       der evangelische Militärbischof Sigurd Rink, der für die rund hundert
       evangelischen Militärseelsorger verantwortlich ist, in seiner jüngsten
       Weihnachtsbotschaft an die Angehörigen der Bundeswehr.
       
       ## „Schwerter zu Pflugscharen“
       
       Ein Bischof, der eine ganze Armee zu Friedensstiftern erhebt? „Ich konnte
       mir nicht vorstellen, dass das meine Kirche ist, die mit dem Militär
       mitzieht“, wird Gürtler heute noch sagen. Jetzt steht er unter dem
       Transparent mit dem stilisierten Hünen, der so elegant ein Schwert zu einer
       Pflugschar treibt – ein Pfarrer, 63 Jahre alt, in Jeans, die Hände tief in
       der Jacke vergraben. Fehlt nur der Aufnäher auf dem Ärmel. Die Renitenz
       gegen alles Militärische ist offenkundig. Was hat die Kirche in Kasernen,
       auf Nato-Stützpunkten und auf Fregatten verloren? Gürtler geht in den Dom.
       
       Umstandslos erzählt er, dass er Probleme hat mit dem Innenleben dieses
       Baus, in dem so vieles unfertig wirkt. Ein neumodischer Altar, in der Mitte
       des Schiffes statt im Osten. Wohin soll er predigen, wenn ringsum Zuhörer
       sitzen? Eine Taufkapelle ausgerechnet in der düstersten Nische, eine
       wuchtige braune Bühne im Westen und Fensterglas wie in einer Fabrik.
       
       Eine Sanierung ganz nach DDR-Manier, zu deren Abschluss im Juni 1989 Erich
       Honecker zum Festgottesdienst anreiste, hatte die SED die Erneuerung des
       Domes doch wohlwollend unterstützt. Der starrsinnige Honecker zwischen
       Altarkerzen und Gekreuzigtem – ein Bild zum Schütteln.
       
       Ob er jetzt abgeschweift sei? Gürtler ist unsicher. Nein. Ist es doch diese
       Vorgeschichte, die Leute wie Gürtler empfindlich machen bei so
       wohlmeinender Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche. Ende 1955 wurde die
       Bundeswehr gegründet. Im Februar 1957 unterzeichnete die EKD, die
       Evangelische Kirche in Deutschland, den Vertrag mit der Bundesregierung
       über die Militärseelsorge. Erster Militärbischof wurde Hermann Kunst – ein
       Mann mit Erfahrung, Kunst war zwischen 1939 und 1945 Feldprediger der
       Wehrmacht in Polen, Frankreich und Russland.
       
       ## Der Geruch nach Papier
       
       Seit fast sechzig Jahren gehören evangelische Pfarrer in Feldanzügen,
       offiziell „Schutzkleidung“ genannt, zur Bundeswehr wie der große
       Zapfenstreich und das Eiserne Kreuz auf den Panzertürmen. „Ein Pfarrer mit
       Uniform und Kreuzen auf den Schulterstücken!“ Für Gürtler „unerträglich!
       Das passt überhaupt nicht!“ Gürtler ist zurück in seinem Pfarrhaus mit den
       blanken Dielen und den Korbmöbeln.
       
       Gibt es etwas Unmilitärischeres als so ein Pfarrhaus? Der Geruch nach
       Papier, nach Batterien von Gesangbüchern, nach Bibelausgaben? Und nach
       „Selig sind die Friedfertigen“ und „Du sollst nicht töten“? Kein Feldgrau,
       kein Ölpapier, kein Fußschweiß und kein „Schutzanzug“ in Tarnfarbe und mit
       Kreuzen obenauf.
       
       Ein Pastor, der sein Gehalt von der Bundeswehr bekommt? „Wes Brot ich ess,
       des Lied ich sing!“, ätzt Gürtler. Ein Seelsorger, der in der Kaserne sein
       Dienstzimmer hat? Der mit den Offizieren speist? „Wenn ich in die
       Offiziersmesse gehe, verliere ich die Unabhängigkeit“, schimpft Gürtler.
       Natürlich würden das Militärseelsorger bestreiten, räumt er ein. „Aber ich
       glaub das nicht. Wo bleibt der Abstand? Kannst du das mit deinem Gewissen
       vereinbaren?
       
       Weißt du überhaupt, was du da machst?“ Es ist, als stünde jetzt ein
       Militärpfarrer im Raum, auf den Gürtler einredet. In gewisser Weise ist das
       auch so. Gürtler erzählt, dass einer seiner Vikare zur Bundeswehr gegangen
       ist, als Seelsorger. „Unfassbar!“
       
       Dabei war Matthias Gürtler selbst einmal Soldatenseelsorger. Das
       Greifswalder Hinterland mit seinen sandigen Wäldern war zu DDR-Zeiten bis
       zur polnischen Grenze eine einzige Kaserne. „Waldmeer, Sandmeer, gar nichts
       mehr!“, lautete die düstere Begrüßung für Rekruten. Gar nichts mehr? Nein,
       zwischen den Kasernen stand das Pfarrhaus von Matthias Gürtler. Er war in
       den achtziger Jahren in Eggesin tätig, dem Hauptquartier einer
       Panzerdivision der NVA, der „Nationalen Volksarmee“. Und Mathias Gürtler,
       der Gemeindepastor, war auch für Soldaten zuständig.
       
       ## Stasi-Akte und offenes Haus
       
       Offenbar ziemlich erfolgreich. „50 Prozent der Armeeangehörigen, die nach
       Eggesin einberufen werden und Kontakt zur Kirche vorher nicht hatten,
       erhalten ihn über Gürtler“, resümierte das Ministerium für Staatssicherheit
       1983. Es gab inmitten einer Welt von Uniformen ein offenes Haus mit einem
       Pfarrer, der selbst einmal Rekrut gewesen war und all das durchgemacht
       hatte, was seine Besucher durchlitten.
       
       Gürtler erzählt von den langen Abenden am Küchentisch, an dem die Soldaten
       saßen und sich erholten, vom Kujonieren einzelner Rekruten und von den
       immer wieder zerschmetterten Schaukästen, weil in ihnen das Emblem
       „Schwerter zu Pflugscharen“ hing – Verheißung und Skandal in einem.
       „Eggesin hat mein Leben geprägt“, sagt Gürtler und fügt an: „Ich war froh,
       dass ich diese Unabhängigkeit hatte.“ Er war ein Soldatenseelsorger ohne
       Billigung durch das Militär.
       
       Natürlich gibt es gravierende Unterschiede zwischen NVA und Bundeswehr.
       Doch Distanz ist in jedem Fall wichtig, sagt Gürtler. „Es ist keine Frage,
       die an die DDR gebunden ist, es ist eine grundsätzliche Frage.“ Es klopft,
       der Domorganist kommt herein und verschwindet wieder. Der Dom verfügt über
       eine bedeutende Orgel. Die alljährliche Bachwoche ist ein Ereignis in der
       Region.
       
       Was wäre, wenn statt der Orgel plötzlich eine Militärkapelle erschallt?
       Absurd? Gürtler ist nach Dresden geeilt, als sich in der wiedererrichteten
       Frauenkirche für den Gottesdienst ein Musikkorps der Bundeswehr ankündigte.
       „Wenn die Kirche ihr Gebäude zur Verfügung stellt und mit dem Militär
       gemeinsam einlädt, signalisiert sie Zustimmung zu militärischer Gewalt“,
       schimpfte Gürtler öffentlich.
       
       Es ist diese geradezu raffinierte Art, wie sich die Bundeswehr der Kirche
       andient, die Gürtler gegen den Strich geht. Warum etwa füllen Militärdekane
       und Militärpfarrer in der Evangelischen Zeitung – dem Wochenblatt für die
       Nordkirche, zu der Greifswald gehört –regelmäßig ganze Seiten, als wären
       sie PR-Beauftragte, betonen ihre Unentbehrlichkeit und loben die
       Zusammenarbeit „mit den staatlichen Verwaltungen“?
       
       ## „Das ist meine Kirche?“
       
       Sind Militärseelsorger deswegen schlechtere Seelsorger? Bei einem
       Traugespräch hier im Pfarrhaus habe ihm ein junger Mann erzählt, wie er
       sich als Soldat in Afghanistan an den Militärseelsorger gewandt hat,
       erzählt Gürtler. „Ich habe gemerkt, dass da ein Vertrauensverhältnis da war
       – einerseits.“ Er fährt fort: „Auf der anderen Seite konnte ich mir nicht
       vorstellen, dass das meine Kirche ist, die mit dem Militär mitzieht.“
       Gürtler hält ein Foto in der Hand. Wie in einem Exorzismus heuerte er zum
       Reformationstag 2014 einen Schmied an, der mit viel Muskelkraft aus einem
       rotglühenden Schwert eine Pflugschar formte. „Die Menschen waren sehr
       bewegt“, sagt er, blickt auf das Bild und ist selbst wieder aufgewühlt.
       
       In sechzehn Regionen ist die Bundeswehr zwischen Afghanistan und Westafrika
       im Einsatz. Der siebzehnte beginnt gerade. Gemeinsam mit der Türkei und
       Griechenland wird die Deutsche Marine in der Ägäis gegen Schlepper und
       Flüchtlinge vorgehen. Die Flüchtlinge sollen nicht mehr in die EU gebracht,
       sondern in die Türkei abgeschoben werden. Soldaten als Abschiebeservice.
       Eine heikle Mission – auch für die Militärseelsorge.
       
       Wenn die Marine zum Einsatz kommt, „wird bestimmt auch eine Seelsorgerin
       oder ein Seelsorger dabei sein“, versichert der evangelische Militärbischof
       Sigurd Rink der taz. „Eine Rückführung der Schiffbrüchigen in die Türkei
       wäre wohl nicht das Ziel der Menschen in den Booten“, räumt Rink ein.
       „Andererseits könnte das eine Möglichkeit sein, die Menschen aus akuter
       Seenot zu retten, ohne das Geschäft der Schleuser anzukurbeln“, führt er
       aus. Ein Bischof erläutert die Erwartung der Bundesregierung.
       
       ## Der Militärbischof hat zu tun
       
       Der 55-Jährige ist schon von Amts wegen der Antipode zu Matthias Gürtler.
       Rink, seit 2014 evangelischer Militärbischof, ist der sechste nach
       Wehrmachtspfarrer Hermann Kunst und der erste hauptamtliche.
       Militärbischöfe haben zu tun. Wenn man den Bildern glauben kann, ist Rink
       eine Frohnatur – der Militärbischof mit Currywurst in der Hand in der
       Bundeswehr-Universität, im vertraulichen Gespräch mit Ursula von der Leyen,
       beim Nato-General.
       
       „Wir sind immer gerne zum Pastor gegangen“, schmeichelte General
       Hans-Lothar Domröse dem Militärbischof im Hauptquartier der
       Nato-Eingreiftruppe im Januar. Der Kommandeur lobte die Militärpfarrer für
       ihren Beitrag an Gedenk- und Trauerfeiern sowie bei der Behandlung
       posttraumatischer Belastungsstörungen.
       
       Der Militärpfarrer als dienstbarer Geist, Kamerad, „Kümmerer in Kabul“, als
       „Kofferträger der Seele“, als Seelenklempner – es gibt für die vielen
       Männer und wenigen Frauen in „Schutzkleidung“ viele Zuschreibungen,
       tröstende Bilder und kraftvolle Symbole. Eines fehlt: Schwerter zu
       Pflugscharen.
       
       28 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Gerlach
       
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