URI: 
       # taz.de -- Wettbewerb der Berlinale: Wandern, Boxen und Rimbaud
       
       > André Téchinés großartiger Film „Quand on a 17 ans“ erzählt von zwei sehr
       > ungleichen Protagonisten und deren Erwachsenwerden.
       
   IMG Bild: Corentin Fila und Sandrine Kiberlain in „Quand on a 17 ans“.
       
       Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens. Und die schwierigste. Egal,
       woher du kommst, wo du lebst und wie behütet du aufwächst. Es lauern große
       Leidenschaften sowie die Suche nach Stellung und Orientierung. André
       Téchiné, einer der ganz Großen des französischen Kinos, inszeniert in
       „Quand on a 17 ans“ die Geschichte zweier faszinierend ungleicher Jungs auf
       der Schwelle zum Erwachsenwerden.
       
       Tom (Corentin Fila) und Damian (Kacey Mottet Klein) gehen in dieselbe
       Klasse des Gymnasiums in einer Kleinstadt in den französischen Bergen –
       womit ihre Gemeinsamkeiten fast schon aufhören. Die beiden beäugen und
       prügeln sich bei jeder Gelegenheit. Und kommunizieren auch mit dem Rest der
       Klasse kaum. Warum?
       
       Tom wechselte von der Landwirtschaftsschule auf das Gymnasium. Er ist ein
       verschlossener, gut aussehender Junge. Sein Rückzugsgebiet sind die Berge.
       Die Natur strahlt in Téchinés Spielfilm eine unergründbare, aber auch
       unverrückbare Konstante aus. Bewaldete, in Nebel getauchte Gebirgszüge,
       baumlose Höhenzüge im Schnee. Tom durchquert diese Wildnis auf einsamen
       Märschen.
       
       Als Kind maghrebinischer Herkunft wurde er von einfachen, liebevollen
       Bergbauern adoptiert. Der junge Mann kümmert sich neben der Schule auch um
       das Vieh – deutlich attraktiver für ihn als Mathematik. Seine dunkle Haut
       bildet einen Kontrast, als er sich im Schnee entkleidet und nackt in einen
       eisigen Bergsee springt.
       
       Auch Damien, der im Tal wohnt, will härter und männlicher sein, als er es
       mit seinen 17 Jahren ist. Er ist sehr weiß, wirkt – auch wenn er zum Boxen
       geht – etwas linkisch. Im Ohr trägt er einen grünen Knopf. Im Unterricht
       rezitiert er pathetisch ein Rimbaud-Gedicht.
       
       So erinnert Téchinés Titel „Quand on a 17 ans“ wohl nicht zufällig an die
       Anfangszeile eines Rimbaud-Gedichts von 1870: „On n’est pas sérieux, quand
       on a dix-sept ans“. Die diffusen, existenziellen Leidenschaften ihres
       empfindsamen Sohnes Damien versucht auch Landärztin Marianne (Sandrine
       Kiberlain) zu verstehen.
       
       Die Landärztin ist schlau, einfühlsam, auf spezielle Art cool. Als Toms
       schwangere Mutter ins Krankenhaus muss, holt sie diesen vom Bauernhof zu
       sich und Damien. Und beweist nebenher, wie leicht Lernen mit ein wenig
       Förderung funktioniert.
       
       Die Kamera in Téchinés Film zoomt dicht an die Gesichter seiner
       überzeugenden Darsteller heran. Sie zeigt die schwankende Gefühlswelt
       seiner Protagonisten, ohne sie bloßzustellen. Téchinés Regie bleibt
       zurückhaltend, tastend. „Quand on a 17 ans“ enthält im Kleinen vieles, was
       Frankreich, Europa und die Welt heute bewegt. Und vereint dabei glückliche
       und traurige Momente. Die Landärztin ermuntert ihren Sohn, er müsse mehr
       vertrauen zu sich und seinem Leben haben. Was gegen Ende diese berührenden
       Films gerade auch für sie selber gilt.
       
       16 Feb 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Fanizadeh
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Berlinale
   DIR Schwerpunkt Berlinale
   DIR Schwerpunkt Berlinale
   DIR Schwerpunkt Berlinale
   DIR Schwerpunkt Berlinale
   DIR Schauspieler
   DIR Schwerpunkt Berlinale
   DIR Schwerpunkt Berlinale
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Tatiana Huezo auf der Berlinale: „Ein Tropfen im Ozean“
       
       In „Tempestad“ erzählt Dokumentarfilmerin Tatiana Huezo vom organisierten
       Verbrechen in Mexiko und von einer deformierten Gesellschaft.
       
   DIR Quotendebatte auf der Berlinale: Routine der Ausgrenzung
       
       Warum liegt die kreative Gestaltungsmacht im Fernsehen in den Händen von
       Männern über 50? Die Organisation Pro Quote Regie kämpft dagegen.
       
   DIR Berlinale, Tag 6: Was bisher geschah: Gegen das Mittelmaß
       
       Regisseur Thomas Vinterberg wurde mit „Dogma 95“ bekannt – auf dem Podium
       spricht er von Revolte, Genitalien und seinem Film „Kollektivet“.
       
   DIR Berlinale Wettbewerb: Das Märchen von der Würde
       
       Die Falladaverfilmung „Alone in Berlin“ von Vincent Perez gerät trotz guter
       Momente zu beflissenem und pädagogischem Kitsch.
       
   DIR Staralbum – Bjarne Mädel: Der Ausbrecher
       
       Egal ob in „Stromberg“ oder als „Tatortreiniger“ – Bjarne Mädel ist der Typ
       für skurrile Verlierer. Jetzt zeigt er in „24 Wochen“, dass er auch ernst
       kann.
       
   DIR Berlinale Wettbewerb – „Foucoammare“: Die Unmöglichkeit einer Insel
       
       Gianfranco Rosis Film „Fuocoammare“ ist ein Dokument der Fassungslosigkeit.
       Er erzählt von einem Jungen auf Lampedusa und dem Flüchtlingsdrama.
       
   DIR Goldener Ehrenbär der Berlinale: Perfekter Kamerawirbel
       
       Michael Ballhaus wird für sein Lebenswerk geehrt. Er war Kameramann bei
       Rainer Werner Fassbinder, Martin Scorsese und Wolfgang Petersen.