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       # taz.de -- Strategiewandel bei Hessnatur: Weg vom Naturlatschen-Image
       
       > Der Öko-Versandhändler Hessnatur will stärker auf Mode setzen. Doch von
       > dieser Strategie sind nicht alle überzeugt.
       
   IMG Bild: Auf der Mailänder Fashion Week sind sie jetzt schon modisch unterwegs. Auch Hessnatur will mehr auf Mode setzen.
       
       Berlin taz | Führungswechsel bei hessnatur: Der Öko-Versandhändler bekommt
       am 1. März einen neuen Chef. Der 50-jährige Vivek Batra übernimmt das
       Zepter von Marc Sommer, der als Gesellschafter in den Beirat des
       Unternehmens zurückkehrt.
       
       Damit bekommt die neue Strategie der Butzbacher Modemarke ein Gesicht:
       Obwohl Batra hessnatur schon als Beirat verbunden war, stammt er doch aus
       dem konventionellen Modegeschäft: Bislang war er Geschäftsführer der
       Mannheimer Edelmarke „Dorothée Schumacher“, zuvor machte er unter anderem
       Karriere bei der Mutterfirma des Push-up-BHs „Wonderbra“.
       
       Damit kommt der gebürtige Inder da her, wo hessnatur hinwill: in den
       konventionellen und vergleichsweise hochpreisigen Modehandel. Die faire und
       ökologische Lieferkette steht nicht mehr im Mittelpunkt der
       Unternehmenskommunikation, sondern schöne und modische Kleidung. Dafür
       wurde die Designerin Tanja Hellmuth eingekauft, und die neuen Läden am
       Hamburger Alstertor oder der Kaiserstraße in Frankfurt kommen trendy daher.
       Vom traditionellen, zweimal jährlich versendeten Katalog möchte man weg,
       dafür den Onlinehandel stärken.
       
       In Butzbach freut man sich auf den neuen Chef, allerdings auch, weil man
       den alten dadurch loswird. Viele Mitarbeiter konnten sich mit Marc Sommer
       nicht anfreunden, gegen den die Staatsanwaltschaft Bochum erst im November
       2015 Anklage in einem Untreueprozess erhoben hat; seine Zeit als Manager
       des pleitegegangenen Arcandor-Konzerns holt ihn immer wieder ein. Erratisch
       und ziellos sei seine Unternehmensführung gewesen.
       
       ## Mitarbeiter skeptisch
       
       „Im Versandhandel muss man den Kunden auch mal zwei, drei Saisons Zeit
       geben, sich an etwas zu gewöhnen“, klagt eine Mitarbeiterin, „so kurzatmig
       kann man das Geschäft nicht führen“. Die Belegschaft sei verunsichert, der
       Weg aus der Nische heraus ins Modesegment ein Irrweg, so ist zu hören, und:
       „Modefirmen gibt’s doch schon genug“.
       
       Seinem Nachfolger hinterlässt Sommer also eine Baustelle. Zwar ist hess mit
       einem Umsatz von rund 68 Millionen Euro noch immer ein Branchenriese – der
       bejubelte Kölner Öko-Nachwuchs Armed Angels etwa kommt auf einen Umsatz von
       rund 7 Millionen Euro, das etablierte Kölner Ökolabel Lanius kratzt an der
       Millionenmarke. Doch machten die Butzbacher im vergangenen Jahr zum
       wiederholten Male keinen Gewinn.
       
       Für einen ehemaligen Betriebsrat ist klar: Hessnatur findet keine Sprache
       mehr, die der Kunde versteht. Dass sich Kunstfasern wie Recycling-Polyester
       und Viskose in die Kollektion geschlichen hätten, sei ein Unding. „Das
       Unternehmen träumt von neuen Kunden und stößt die alten dabei weg“,
       kritisiert er. Nachhaltigkeit werde in der Firma nicht mehr gelebt, seit
       der Schweizer Finanzinvestor Capvis sie übernommen habe.
       
       ## Bewertung: „good“
       
       Mitarbeiter berichten, die Lieferanten würden häufig gewechselt und einem
       enormen Preisdruck ausgesetzt. Darum sei man bei der niederländischen Fair
       Wear Foundation (FWF) nicht mehr so angesehen wie früher. Die Organisation
       arbeitet mit Unternehmen zusammen, um deren Lieferkette sozialer zu
       gestalten. Hessnatur erhält zwar noch immer die Wertung „good“, schneidet
       laut dem derzeit auf der FWF-Website abrufbaren Bericht aber schlechter ab
       als etwa die münsterländische Billigkette Takko-Fashion, die ebenfalls mit
       der Stiftung kooperiert. Offiziell will sie hessnatur aber nicht
       kritisieren.
       
       Und auch Heike Scheuer vom Internationalen Verband der
       Naturtextilwirtschaft (IVN) hält die Kritik an hessnatur für überzogen:
       Etwa Kunstfasern aus Recyclingmaterial einzusetzen sei ein interessanter
       Ansatz, den viele Ökodesigner derzeit diskutierten, und nicht etwa
       Teufelszeug. Noch immer sei das Unternehmen ein Vorreiter für die Branche,
       arbeite aktiv in den Gremien des Verbandes mit. Hessnatur nutze seine
       IVN-Mitgliedschaft inzwischen allerdings weniger als Marketing-Instrument,
       sondern vielmehr als Standard, um die Qualität zu sichern.
       
       Eigentümer Capvis hält das für ein erfolgversprechendes Modell. Dass
       hessnatur derzeit keine Gewinne mache, sehe man gelassen: In der
       Textilindustrie sei Nachhaltigkeit inzwischen ein Riesenthema, außerdem
       wachse der Onlinehandel, in dem hessnatur schon stark sei. „Alle Trends
       sprechen für das Unternehmen“, sagt Daniel Flaig, zuständiger Fondsmanager
       bei Capvis. Verkaufsabsichten hege man daher nicht.
       
       1 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Holdinghausen
       
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