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       # taz.de -- Auschwitz-Prozess gegen Hubert Zafke: Ringen um das Verfahren
       
       > Beim Verfahrensauftakt fehlt der 95-jährige Angeklagte, dem 3.681-fache
       > Beihilfe zum Mord vorgeworfen wird. Ist er verhandlungsunfähig?
       
   IMG Bild: Will er den Prozess lieber nicht führen? Ein Befangenheitsantrag gegen den Richter scheiterte.
       
       Neubrandenburg taz | Der Stuhl auf der linken Seite des Gerichtssaals
       bleibt an diesem Montag leer. Hubert Zafke – angeklagt wegen Beihilfe zum
       Mord in mindestens 3.681 Fällen, begangen 1944 im Konzentrations- und
       Vernichtungslager Auschwitz – ist nicht erschienen. Der Vorsitzende Richter
       Klaus Kabisch teilt mit, eine ärztliche Untersuchung am Samstag habe
       ergeben, dass der 95-Jährige erkrankt sei.
       
       Bluthochdruck, Depressionen, Selbstmordgefahr und akute Stressreaktionen
       verzeichnet die Bescheinigung der Ärztin, die Zafke auf Bitten seiner Söhne
       untersuchte. Die Medizinerin habe den Mann an der Kante seines Bettes
       vorgefunden. „Ich will zu Mutti“, habe er gesagt und damit offensichtlich
       seine 2011 verstorbene Frau gemeint. Der Patient sei „nicht transport-
       geschweige denn verhandlungsfähig“, heißt es darin. Der Angeklagte Zafke
       befinde sich zu Hause in seinem Dorf G.
       
       Aber ist Zafke wirklich zu krank, um sich der Verantwortung für seine
       mutmaßlichen Taten, begangen vor mehr als 70 Jahren, zu stellen?
       Tatsächlich setzt sich an diesem Montag vor dem Landgericht Neubrandenburg
       mit seiner Abwesenheit ein heftiger Streit darum nur fort.
       
       Denn das Gericht hat den Prozess schon einmal mit der Begründung nicht
       führen wollen, dass Zafke verhandlungsunfähig sei. Es hatte – sehr
       ungewöhnlich und zum Ärger von Staatsanwaltschaft und Nebenklage – an den
       Anfang des Prozesses eine erneute gesundheitliche Prüfung setzen wollen,
       anstatt wie üblich die Anklage verlesen zu lassen. Die Staatsanwaltschaft
       hatte deshalb den Richter wegen Befangenheit auswechseln wollen, was
       freilich scheiterte.
       
       Richter Klaus Kabisch hatte einem Auschwitz-Überlebenden mit der seltsamen
       Begründung sein Recht zur Nebenklage nehmen wollen, er sei zu Beginn des
       jetzt verhandelten Zeitraumes noch nicht im Lager gewesen. Erst die
       nächsthöhere Instanz, das Oberlandesgericht Rostock, korrigierte diese
       Entscheidung.
       
       ## Eingeschränkt verhandlungsfähig
       
       Das Misstrauen sitzt daher tief bei Oberstaatsanwalt Stefan Urbanek und den
       Vertretern der drei Nebenkläger. Der Richter unternehme alles, damit das
       Verfahren nicht stattfindet, glaubt der Vertreter der Nebenklage, Cornelius
       Nestler.
       
       Tatsächlich passt die Abwesenheit den Angeklagten ins Bild – auch wenn an
       diesem Montag niemand weiß, wie krank Hubert Zafke nun wirklich ist. Im
       Juni letzten Jahres hatte das Gericht mitgeteilt, dass es keinen Prozess
       gegen den Greis geben werde. Zafke sei nicht verhandlungsfähig. Das
       entsprechende Gutachten allerdings stützte sich auf zwei ärztliche
       Expertisen, die, sehr ungewöhnlich, im Auftrag der Verteidigung erstellt
       worden waren.
       
       Dass der Prozess nun dennoch stattfindet, ist Folge der Beschwerde der
       Staatsanwaltschaft Schwerin beim Oberlandesgericht Rostock. Das entschied
       im letzten Jahr auf Basis des Gutachtens des Demenzforschers Stefan Teipel,
       Zafke sei durchaus – wenn auch nur eingeschränkt – verhandlungsfähig. „Die
       Strafkammer will das Verfahren nicht durchführen, und dazu passt die
       heutige Verhandlung“, sagt Nestler.
       
       Dagegen sagt Zafkes Verteidiger Peter-Michael Diestel, das Verfahren gegen
       seinen Mandanten sei „mit einer Todesstrafe gleichzusetzen“. Entsprechend
       hoch her geht es im Gerichtsaal bei der Frage, wer nun beurteilen soll, ob
       Zafke entschuldigt oder unentschuldigt zum Prozessauftakt fehlt – sprich,
       ob das Verfahren platzt oder nicht.
       
       ## Kompromiss zum Ende
       
       Der nuschelnde Richter Kabisch hat damit einen Amtsarzt beauftragt, von dem
       er weder sagen kann, wie dieser heißt, noch, wann er die Untersuchung
       vornimmt. Nebenklage und Verteidigung wollen dagegen den Demenzexperten
       Teipel beauftragt sehen, der schon einmal die eingeschränkte
       Verhandlungsfähigkeit attestiert hatte. Das stößt, wenig verwunderlich, auf
       den Protest der Verteidigung.
       
       Der Tag endet mit einem Kompromiss. Teitel und ein Internist sollen den
       Angeklagten zeitnah vor dem nächsten Verhandlungstermin am 14. März
       untersuchen und feststellen, wie sein Gesundheitszustand nun wirklich ist.
       Damit endet der erste Tag im Prozess gegen den 95-jährigen Hubert Zafke.
       Über Auschwitz ist kein einziges Wort gesprochen worden.
       
       1 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Hillenbrand
       
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