# taz.de -- Inklusion beim Arzt: Ein Stadtplan zur Hilfe
> Die Patienten-Initiative startet das Projekt „Barrierefreie Arztpraxen“.
> Mit einer Checkliste wird untersucht, ob Praxen behindertengerecht
> gestaltet sind.
IMG Bild: Hier ist‘s mal gerecht: Keine Barrierefreiheit für alle.
HAMBURG taz | Wo findet eine Rollstuhlfahrerin eine gynäkologische Praxis
mit einem höhenverstellbaren Untersuchungsstuhl? Gibt es einen Orthopäden,
der auf gehörlose Patienten eingestellt ist? In welcher Arztpraxis kann ein
Patient sich mit einem Rollator problemlos bewegen oder ein Blinder seinen
Blindenführhund mitbringen? Diesen Fragen wollen die Patienten-Initiative
und die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen des
Paritätischen Wohlfahrtsverbands mit dem Projekt „Barrierefreie Arztpraxen“
auf den Grund gehen. Ihr ehrgeiziges Ziel ist es, einen Stadtplan mit den
Kompetenzen der Arztpraxen zu erstellen, wie Kerstin Hagemann von der
Patienten-Initiative erklärt.
4.200 Arztpraxen gibt es in der Stadt, wenn Zahnärzte und Psychotherapeuten
eingerechnet werden. Aber die Kennzeichnungspflicht für Arztpraxen ist oft
unvollständig, wenn es um die Barrierefreiheit gehe, sagt Hagemann am
Donnerstag bei der Vorstellung des Projekts. Es gebe Definitionen wie
„behindertengerecht“, rollstuhlfreundlich oder „bedingt barrierefrei“, die
oft fehlerhaft oder missverständlich seien und über die tatsächlichen
Zugangsbedingungen nichts aussagen. Sie seien für den Patienten daher wenig
hilfreich, die passende Praxis zu finden.
„Was nützt es, wenn es einen Fahrstuhl gibt, ein Blinder aber das unten
angebrachte Klingelschild nicht findet oder der Gehörlose den Summer der
Eingangstür nicht hört“, so Hagemann. Das Problem sei, dass die Arztpraxen
ihre Barrierefreiheit bislang selbst definiert hätten und oft die Sicht des
Patienten nicht genügend einbezogen haben.
Grundlage des Projekts, das zunächst für ein Jahr von der Krankenkasse AOK
finanziert wird, bildet eine neu entwickelte Checkliste, die die
unterschiedlichen Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen
berücksichtigt. Denn ein angeblich barrierefreies Klo ist nicht immer ein
total barrierefreies Klo, indem sich ein E-Rolli-Patient mit seinem
sperrigen Gefährt bewegen kann.
In den nächsten Monaten werden von den mitwirkenden Arztpraxen alle
relevanten Informationen erhoben, in dem zum Beispiel Menschen mit
Behinderungen als geschulte „Barriere-Scouts“ diese besuchen. Ziel sei es
auch, Ärzte für das Thema zu sensibilisieren. „Es geht nicht um eine
Bewertung der Praxen oder darum, eine Praxis schlechtzumachen“, betont
Hagemann. Eine Arztpraxis mit Stufen von der Haustür könne für einen
sehbehinderten Patienten mit einer guten Ausstattung oder mit Kenntnisse in
Gebärdensprache für Gehörlose die richtige Adresse sein, sagt Hagemann.
„Wir wollen das Vorhandene sichtbar machen, damit die Suche leichter wird.“
Das Projekt stößt auf viel Unterstützung: Die Senatskoordinatorin für die
Gleichstellung von behinderten Menschen, Ingrid Körner, hat an alle
Arztpraxen appelliert, sich an der Erhebung zu beteiligen. Schirmherrin des
Projekts ist die Ärztin und Intendantin des Ernst Deutsch Theaters,
Isabella Vértes-Schütter. Sie ist als „Wegbereiter der Inklusion 2015“
ausgezeichnet worden, da ihre Inszenierungen auch auf Gehörlose und Blinde
ausgerichtet sind. Das Praxis-Projekt nennt die Intendantin „wichtig und
großartig“.
3 Mar 2016
## AUTOREN
DIR Kai von Appen
## TAGS
DIR Inklusion
DIR Gesundheit
DIR Hamburg
DIR Gehörlose
DIR Barrierefreiheit
DIR Inklusion
DIR Familie
DIR Reformpädagogik
DIR Lehrerausbildung
DIR Bremen
DIR Rheinland-Pfalz
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Bremer Verein entwickelt Gehörlosenspiel: Eine kleine Hürde weniger
Anlässlich seines zehnjährigen Bestehens hat der Verein „Hand zu Hand“ ein
bilinguales Spiel für Hörende und Gehörlose herausgebracht.
DIR Barrierefreiheit in Berlin: „Behinderte sind nicht sexy“
RollstuhlfahrerInnen haben es in Berlin weiterhin schwer: In vielen
Restaurants oder auf öffentlichen Plätzen versperren Hindernisse ihnen den
Weg.
DIR Großreformentwurf für Behinderte: Autonomie und Gleichberechtigung
Die Koalition will die Rechte Behinderter stark reformieren. Nun liegt ein
erster Entwurf auf dem Tisch. Ein Aktivist spricht von einem „trügerischen
Traum“.
DIR Menschen mit Behinderung: Starke kleine Schwestern
Sind die Geschwister behindert, läuft vieles im Alltag anders. Vor allem im
Alter wächst die Verantwortung der Angehörigen.
DIR Reformpädagogik in Neumünster: Die klassenlose Schule
20 Prozent Arbeitslosigkeit, sozialer Brennpunkt? Trotzdem! Eine
Gemeinschaftsschule in Neumünster zeigt, wie Inklusion gelingt.
DIR Gutachten zu Lehrerbezahlung: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit
Ein Rechtsgutachten für NRW hält die unterschiedliche Besoldung von Lehrern
verschiedener Schultypen für verfassungswidrig.
DIR Inklusion in Bremen: Vorreiter nur auf dem Papier
Ein Bündnis fordert deutliche Verbesserungen zur Umsetzung der Inklusion in
Bremen. Das Bildungsressort stimmt zu.
DIR SPD-Politikerin Malu Dreyer: „Ich lasse mich nicht behindern“
Die designierte Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz über einen neuen
Politikstil, ihre Behinderung und weshalb sie weiter in einem Wohnprojekt
leben will.
DIR Kommentar Behinderte und Bahnhöfe: Was mit Rollstuhl übrig bleibt
Zwar sind mittlerweile viele Bahnhöfe behindertenfreundlich. Doch sinnvoll
für Behinderte ist das Bahnnetz aber erst, wenn es zu 100 Prozent
barrierefrei ist.