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       # taz.de -- Islamische Frauenbilder und Feminismus: „Wir müssen Rassismus mitdenken“
       
       > Die muslimische Feministin Kübra Gümüşay über die Schockstarre nach
       > Silvester, Frauenbilder im Islam und darüber, was in der Sexismus-Debatte
       > falschläuft.
       
   IMG Bild: „Sexismus ist keine Importware“, sagt die Feministin Kübra Gümüşay.
       
       taz: Frau Gümüşay, was ist schlimmer, Rassismus oder Sexismus?
       
       Kübra Gümüşay: Beides wirkt häufig zusammen. In einer
       Einwanderergesellschaft findet selten nur eins von beiden, also nur
       Rassismus oder nur Sexismus statt. In der aktuellen Debatte wird aber
       versucht, das eine gegen das andere auszuspielen.
       
       Sie meinen die Debatte über die Ereignisse der Kölner und Hamburger
       Silvesternacht. Was läuft in der Diskussion falsch? 
       
       Es wird so getan, als sei Deutschland ursprünglich eine sexismusfreie
       Gesellschaft, als würde das Problem erst von denen importiert, die später
       dazugekommen sind. Also sogenannte „nordafrikanische Männer“ zum Beispiel.
       
       Sexismusfreie Gesellschaft? Wie kommt man denn auf den Quatsch? 
       
       Als das in Köln geschehen ist, war Deutschland in einer Art Schockstarre.
       Rechtspopulisten hatten schon lange das Horrorszenario gezeichnet von
       wilden, triebgesteuerten schwarzen oder muslimischen Männern, die über
       deutsche Frauen herfallen und sie vergewaltigen.
       
       Ein altes koloniales Bild. 
       
       Genau. Und dann geschah Köln und die Mutmaßungen ließen das Ganze so
       aussehen, als hätte sich diese Prophezeiung bewahrheitet. Das war die
       Schockstarre. Die lautesten Stimmen in der Debatte waren dann diejenigen,
       die das Horrorszenario geprägt hatten. Die haben die Debatte für sich
       vereinnahmt und den Sexismus für ein rassistisches Narrativ
       instrumentalisiert.
       
       Wie hätte man die Debatte stattdessen führen müssen? 
       
       Zum Beispiel ist ja zu dieser Zeit [1][#ausnahmslos] entstanden.
       
       Ein Zusammenschluss von Feministinnen, die fordern, Sexismus überall
       anzuprangern, wo er stattfindet, und andere Unterdrückungsverhältnisse wie
       Rassismus dabei mit zu thematisieren. 
       
       Wir führen die Debatten um Sexismus und andere Diskriminierung ja seit
       vielen Jahren. Da darf man die Debatte jetzt nicht denjenigen überlassen,
       die das Wort „sexualisierte Gewalt“ erst seit der Silvesternacht in ihrem
       Wortschatz haben und ernst nehmen. Die verschiedenen
       Diskriminierungsmechanismen wirken alle zusammen und man kann sie nicht
       gegeneinander ausspielen. Wir sind gegen sexualisierte Gewalt, gegen
       Sexismus und Rassismus, und zwar ausnahmslos, überall.
       
       Wie man kann über das Thema diskutieren, ohne in rassistische Fallen zu
       tappen? 
       
       Indem man nicht versucht, einen gesellschaftlichen Missstand als Importware
       darzustellen, sondern sich bewusst ist, dass wir auch in Deutschland noch
       viel daran arbeiten müssen. Wir leben in einer Einwanderergesellschaft. Es
       gibt unterschiedliche Ausprägungen des Sexismus, die sehen in verschiedenen
       kulturellen, religiösen, politischen, sozialen Kreisen verschieden aus.
       Darüber kann und muss man reden. Aber es ist nicht ein Kulturkreis oder
       eine Religion per se sexistisch oder gar der „Nährboden“ für Sexismus, wie
       manche behaupten.
       
       Was macht man mit den rechtspopulistischen Möchtegern-FeministInnen, die
       man plötzlich in den eigenen Reihen hat, obwohl sie etwas ganz anderes
       wollen? 
       
       Es muss ganz klar sein, dass diese Menschen keine ernst zu nehmenden
       Gesprächspartner sind. Sonst ermöglichen wir dadurch erst die
       Instrumentalisierung der Geschehnisse. Stattdessen muss man diejenigen zu
       Wort kommen lassen, die sich seit Jahren mit diesen Themen beschäftigen –
       und nicht erst seit der Silvesternacht.
       
       Seit Silvester werden dauernd Übergriffe von Migranten auf deutsche Frauen
       gemeldet. Was macht man nun damit? Berichten? Nicht berichten? 
       
       Simpel: Man darf nicht nur dann darüber berichten, wenn der mutmaßliche
       Täter schwarz ist. Wenn wir sexualisierte Gewalt ernst nehmen, muss man
       immer darüber berichten. Als ich sah, dass offenbar viele erzkonservative
       Politiker in der Lage sind, das Problem ernst zu nehmen, war ich froh. Na
       gut, wenn das so ist, können wir jetzt mal einen Schritt weitergehen und
       das Problem immer ernst nehmen. Nicht nur dann, wenn die Geschehnisse in
       ein bestimmtes Denkmuster passen.
       
       Was hat sich in den letzten Monaten innerhalb des feministischen Diskurses
       verändert? 
       
       Bei #ausnahmslos haben sich viele Feministinnen verschiedener
       feministischer Strömungen zusammengeschlossen, um eine laute,
       gesellschaftliche Stimme zu bilden und politisch zu intervenieren. Das war
       in der Form neu. Ich denke, damit ist auch klar geworden, dass es eben
       verschiedene Strömungen gibt. Medial wird ja häufig der Eindruck
       vermittelt, als gäbe es nur den Feminismus des Schlages Alice Schwarzer.
       Dabei ist sie für viele Feministinnen, vor allem jüngere, schwarze oder
       solche mit Migrationshintergrund, kaum noch vertretbar.
       
       Welcher feministischen Strömung rechnen Sie sich zu? 
       
       Einem intersektionalen Feminismus. Das heißt, dass der Feminismus andere
       Diskriminierungsformen zumindest mitdenkt, möglichst auch mitbekämpft. Also
       neben Sexismus auch Rassismus, Homofeindlichkeit, Diskriminierung aufgrund
       des Alters, der Behinderung oder der sexuellen Identifikation.
       
       Wie schafft man es, all diese Themen in einem Kampf unterzubringen? 
       
       Eigentlich geht es ja um das Bekämpfen von Ungleichheit. Feminismus greift
       sich eine Ungleichheit raus und arbeitet pointiert. Aber man kann in der
       Arbeit zumindest drauf achten, die anderen Diskriminierungen nicht zu
       reproduzieren. Wenn eine feministische Bewegung es nicht schafft, schwarze
       Frauen oder Arbeiterfrauen mitzunehmen und für sie einzutreten, kann sie
       nicht authentisch und nachhaltig sein.
       
       Heißt das, Feministinnen müssen immer auch Antirassistinnen sein? 
       
       Nein, ich verlange nicht, dass jede Feministin ihre gedankliche Energie
       auch in antirassistische Arbeit stecken muss, aber zumindest sollte sie
       oder er sich bemühen, diese Struktur nicht zu reproduzieren.
       
       Sie sind ja muslimische Feministin. Viele fragen bestimmt, wie das zusammen
       geht. Was antworten Sie? 
       
       Viele fragen mich das, weil in ihrem Kopf nur ein spezifisches Frauenbild
       des Islam möglich ist. Das entspricht aber weder der pluralen Realität,
       noch den theologischen Auslegungen.
       
       Wie sehen denn andere Frauenbilder im Islam aus? 
       
       Medial wird das Bild der unterdrückten Frau gezeichnet, die der verlängerte
       Arm ihres Mannes ist, die keine eigene Meinung hat, und wahrscheinlich
       zwangsverheiratet wurde. Doch allein die islamische Geschichte bietet einen
       Reichtum an emanzipierten Frauen – als eigenständige Intellektuelle,
       Wissenschaftlerinnen oder auch Geschäftsfrauen. Wie zum Beispiel die erste
       Frau des Propheten. Sie war 15 Jahre älter als er, wohlhabend, hatte Kinder
       aus vorherigen Ehen, und sie war es, die ihm den Heiratsantrag gemacht hat.
       Und die erste Universität der Welt wurde von Fatima al-Fihri, einer
       muslimischen Frau gegründet.
       
       Das weiß nur keiner. 
       
       Genau. Solches Wissen wird bewusst zurückgehalten, denn es führt zu
       Empowerment.
       
       Wie gehen muslimische Feministinnen dagegen vor? 
       
       Wir sagen: Lasst uns in die Quellen schauen, lasst uns in die islamische
       Geschichte schauen und das als Emanzipationsgrundlage nutzen, um uns
       innerhalb des Islam zu emanzipieren.
       
       7 Mar 2016
       
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