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       # taz.de -- AfD-Kandidat in Baden-Württemberg: Der Mann, der alle mitnehmen will
       
       > Jörg Meuthen ist Spitzenkandidat seiner Partei in Baden-Württemberg. Er
       > gibt sich seriös und liberal. Geht das in der AfD überhaupt?
       
   IMG Bild: Sein Auftritt gefällt vielen, aber nicht allen: Jörg Meuthen in Rastatt
       
       Karlsruhe/ Rastatt taz | Jörg Meuthen sitzt auf einer Bank unter einem Baum
       in der Durlacher Altstadt und telefoniert. „Ich werde von der Presse
       belagert sein“, sagt er. „Aber um neun sollte Schluss sein damit, dann
       möchte ich in Ruhe anstoßen.“ Meuthen, 54, kurze graue Haare, ovale Brille,
       trägt eine schwarze Outdoorjacke und Schuhe, mit denen man auch durch den
       Wald laufen kann. Passanten gehen vorbei, niemand nimmt von ihm Notiz.
       
       Am 13. März, wenn in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt wird,
       dürfte das anders sein. Meuthen ist hier Spitzenkandidat der AfD, nach der
       letzten Umfrage könnte sie hier 13 Prozent bekommen. Der
       Wirtschaftsprofessor, der in Kehl lehrt, gilt als liberales Aushängeschild
       der rechtspopulistischen Partei, die immer schrillere Töne anschlägt.
       
       Meuthen hat das Café Cielo in Karlsruhe-Durlach für ein Treffen
       vorgeschlagen, er wartet vor der Tür, das Telefonat hat er inzwischen
       beendet. Drinnen bestellt er einen großen Milchkaffee. „Hier werden wir
       nicht gewählt“, sagt er, linst über seine schmale Brille hinweg und grinst.
       „Das ist grünes Terrain.“ Meuthen ist ein Mann, mit dem man gut plaudern
       kann. Über Skiurlaub, seine beiden kleinen Kinder, die er wegen des
       Wahlkampfes kaum noch sieht, und seine Frau, die sich das Familienleben
       anders vorgestellt hat. Lässt man die Politik außen vor, wirkt der Mann
       sympathisch.
       
       Die AfD sei eine breit aufgestellte Partei, in der viele Stimmen ihren
       Platz haben, so stellt es Meuthen da. Er selbst sei ökonomisch liberal und
       gesellschaftspolitisch ziemlich konservativ. Die AfD wünscht er sich dort,
       wo die CDU früher stand, bevor Angela Merkel sie sozialdemokratisiert habe,
       dazu ein Schuss FDP. „Der Schutz von Ehe und Familie ist für mich zentral“,
       sagt Meuthen, der insgesamt fünf Kinder mit zwei Frauen hat. Und weil
       Familie im Idealfall aus Vater, Mutter, Kindern bestehe, lehnt er die
       Homo-Ehe ab.
       
       ## Er galt früher als Lucke-Mann
       
       Ganz ähnlich hat sich früher AfD-Gründer Bernd Lucke präsentiert, den die
       Mehrheit auf dem Parteitag in Essen im Sommer aus der AfD vertrieb. Meuthen
       galt früher als Lucke-Mann. Als dieser nach dem Parteitag mit vielen
       Anhängern die Partei verließ, blieb Meuthen jedoch – und folgte Lucke als
       Parteichef nach. Lucke, meint Meuthen, wollte zu viele aus der Partei
       ausgrenzen. „Daran ist er gescheitert. Ich will versuchen, möglichst alle
       mitzunehmen.“
       
       Meuthen weiß, dass das Gespräch bald bei Björn Höcke sein wird, dem
       talentierten Populisten der AfD aus Thüringen. Denkt man sich die AfD als
       eine Schnur, steht Meuthen an einem Ende und Höcke am anderen. Er teile
       nicht alle Meinungen, die in der AfD vertreten werden, sagt Meuthen.
       Manches könne er mittragen, von anderem grenze er sich ab.
       
       Doch so leicht kann es sich ein Parteichef nicht machen. Wo also ziehen Sie
       die Grenze nach rechts, Herr Meuthen? „Rassismus, Ausländerfeindlichkeit,
       Verfassungsfeindlichkeit, völkisch-nationalistisches Gedankengut – das sind
       Dinge, die nicht gehen“, sagt Meuthen und tunkt seinen Mandelkeks in den
       Milchkaffee. „Das sind die Stoppmarken.“
       
       Höcke, der die AfD zu einer „Widerstandsbewegung gegen die weitere
       Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ machen will,
       hat jüngst einen Vortrag gehalten. Darin referierte er über
       unterschiedliche „Reproduktionsstrategien“ – den „lebensbejahenden
       afrikanischen Ausbreitungstyp“ und den „selbstverneinenden europäischen
       Platzhaltertyp“.
       
       „Das war aus meiner Sicht indiskutabel“, sagt Meuthen. „Ich habe mich
       deshalb in einer Presseerklärung klar abgegrenzt.“ Sanktionen aber, wie sie
       seine Kochefin Frauke Petry erfolglos forderte, trug Meuthen nicht mit.
       „Man kann das für rassistisch halten, aber wenn man mit Höcke redet, kann
       man das auch anders sehen.“
       
       Meuthen wuchs in einem Essener Arbeiterviertel auf, zum Studium ging er
       nach Köln, hier hat er promoviert. Erst arbeitete er im hessischen
       Finanzministerium, seit 1997 ist der Katholik Professor für Volkswirtschaft
       an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. Für Politik habe er
       sich schon immer interessiert, „uniformes Denken“ widerstrebe ihm. „Als
       alle links waren, musste ich einfach rechts sein. Es hat mir Spaß gemacht,
       mit dem Bayernkurier im Geschichtsunterricht zu sitzen.“ Als Franz Josef
       Strauß 1980 für die Union als Kanzlerkandidat antrat, verteidigte er den
       Bayern gegen seine Mitschüler. „Es ging mir im jugendlichen Überschwang um
       die schiere Lust an der Provokation.“
       
       Es ist schwer, dieses Bild mit dem Mann zusammenzubringen, der in Durlach
       beim Kaffee sitzt. Der freundlich erzählt, sachlich erklärt, der ruhig und
       besonnen wirkt.
       
       Manche Beobachter sprechen von einer Doppelstrategie der AfD. Im Osten
       schlägt sie schrille, völkisch-nationalistische Töne an, im Westen gibt sie
       sich seriös. Das stimmt und auch wieder nicht. Im Wahlprogramm der
       baden-württembergischen AfD ist von einer Bundeskanzlerin zu lesen, die
       „alle Register der Massenpsychologie und Massensuggestion“ ziehe, um die
       Bevölkerung zu täuschen, vom drohenden Ende der deutschen Kultur und von
       einer „weitgehend gleichgeschalteten Presse“.
       
       „Der Begriff ‚gleichgeschaltet‘ ist einschlägig kontaminiert,“ sagt Meuthen
       dazu. „Ich würde ein solches Wort nicht verwenden.“ Generell gilt für ihn
       beim Wahlprogramm: „Ich muss nicht mit allem einverstanden sein.“
       
       Es ist immer das gleiche Muster, nach dem Meuthen sich selbst vom radikalen
       Ende seiner Partei distanziert – und ihm gleichzeitig Platz in der AfD
       lässt.
       
       ## Afrikanische Patenkinder
       
       In der baden-württembergischen AfD sind auch die „Patriotische Plattform“
       und der „Pforzheimer Kreis“ stark, die am rechten Rand der Partei stehen,
       für den Landtag kandidieren zahlreiche Höcke-Fans. Einer von ihnen verglich
       den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“, eine andere sprach vom „schleichenden
       Genozid der deutschen Bevölkerung“ durch Einwanderung, ein Dritter brüllte
       auf einer Demonstration in Erfurt ins Mikrofon: „Ich sage diesen linken
       Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, wird
       aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk
       gemacht und nur für das Volk – denn wir sind das Volk.“ Die Liste ließe
       sich fortsetzen.
       
       Meuthen, der vor der Parteispaltung stellvertretender Landeschef war,
       betrieb wegen solcher und ähnlicher Aussagen zwei Parteiausschlussverfahren
       – und stoppte sie dann als Bundeschef. Er habe mit allen geredet, vieles
       sei ausgeräumt. „Ich kann, auch wenn ich manche Meinung nicht teile, mit
       ihnen in der Partei leben.“ Er wird mit ihrer Hilfe auch Stimmen von jenen
       einheimsen, denen er selbst zu gemäßigt ist. Meuthen sieht das
       selbstverständlich anders: „Auf zehn Leute, die ich damit gewinnen kann,
       kommen hundert, die uns deshalb nicht wählen.“
       
       Gegen Abend saust Meuthen, inzwischen im Anzug, mit seinem VW-Cabrio ins 30
       Kilometer entfernte Rastatt. Unterwegs erzählt er von seinem Glauben an
       Gott, den vier Patenkindern in Afrika und der Idee, ein Buch über das
       Vatersein zu schreiben. Dann zieht er das Auto von der linken Spur zur
       Ausfahrt rüber.
       
       ## „Ich bin kein Hetzer“
       
       Fast 200 Zuhörer sind in die „Reithalle“ gekommen, wo sonst Konzerte
       stattfinden, etliche Plätze bleiben leer. Mehr Alte als Junge, mehr Männer
       als Frauen, wie immer bei der AfD. Manche sind Parteimitglieder, andere
       wollen sich informieren. Meuthen kritisiert die „Rechtsaußenkeule“, mit der
       die anderen Parteien die AfD diffamierten. Finanzminister Schäuble spreche
       von „Dumpfbacken“, SPD-Chef Gabriel von „Pack“, Ministerpräsident
       Kretschmann von „geistigen Brandstiftern“. „Haltloser Quatsch“, sagt
       Meuthen. „Ich bin kein Hetzer und schon gar kein Rassist.“ Applaus.
       
       Egal ob im Durlacher Café oder in der Rastatter Halle – Meuthen bleibt der
       freundliche, seriöse Hochschullehrer. Sein Auftritt gefällt vielen, aber
       nicht allen im Saal. Der Mann, der Hartz IV für unwürdig hält, schluckt,
       als Meuthen ihm später eine klare Absage erteilt: „An Hartz IV ist
       festzuhalten.“ Eine Frau will wissen, was er von Artikel 26 im Grundgesetz
       halte. „Was steht da drin?“ fragt Meuthen zurück. Die Frau ist entsetzt.
       Traurig sei es, dass er nicht wisse, dass es dort um Angriffskriege gehe.
       
       Gegen Ende seines Vortrags ist Meuthen endlich bei dem Thema, das die
       meisten Zuschauer angelockt hat. Er erklärt, wie die AfD Flüchtlinge aus
       Deutschland fernhalten will. Das Grundrecht auf Asyl müsse beschnitten,
       Nichtbleibeberechtigte müssen konsequent abgeschoben werden. Asylanträge
       sollen nur noch in Aufnahmezentren außerhalb der EU gestattet sein. Und vor
       allem: Deutschland soll die Grenzen dicht machen und mit Zäunen sichern.
       „Ceuta und Melilla zeigen doch, dass Zäune wirken können.“
       
       Die spanischen Exklaven in Marokko sind mit sechs Meter hohen Zäunen
       gesichert, an der Oberkante ist Nato-Stacheldraht angebracht. Bei dem
       Versuch, die Grenze zu überwinden, hat es bereits Tote gegeben, immer
       wieder bleiben Menschen blutend in den Zäunen hängen. Ein solche Grenze
       zwischen Deutschland und Österreich? „Nicht schön, aber notwendig.“ Dafür
       bekommt Meuthen in Rastatt am meisten Applaus.
       
       10 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine am Orde
       
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