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       # taz.de -- Eisschnellläuferin Pechstein: Langstrecke vor Gericht
       
       > Der Bundesgerichtshof vertagt seine Entscheidung, ob Claudia Pechstein
       > mit ihrer Klage auf Schadenersatz die Sportgerichtsbarkeit aushebeln
       > darf.
       
   IMG Bild: Gibt nicht auf: Claudia Pechstein.
       
       Karlsruhe taz | „Ich habe Ausdauer genug“, sagte Eisschnellläuferin Claudia
       Pechstein nach der zweistündigen Verhandlung am Bundesgerichtshof (BGH) in
       Karlsruhe. Dieser will erst am 7. Juni entscheiden, ob Pechsteins Klage
       gegen die Eislaufunion (ISU) zulässig ist.
       
       Die immer noch aktive Claudia Pechstein (44) gilt als die erfolgreichste
       deutsche Wintersportlerin. Ihre Karriere ist aber überschattet von einer
       zweijährigen Dopingsperre im Jahr 2009. Bei der
       Eisschnelllauf-Weltmeisterschaft in Norwegen waren bei Pechstein
       ungewöhnliche Blutwerte festgestellt worden, die für die ISU auf Doping
       hindeuteten. Der Sportgerichtshof CAS in Lausanne bestätigte die Sperre.
       Pechstein legte jedoch Gutachten vor, wonach sie an einer vererbten
       Blutanomalie leide.
       
       Pechstein will nun rehabilitiert werden und verklagte die ISU vor deutschen
       Gerichten auf Zahlung von zunächst rund 4 Millionen Euro. Sie verlangt
       Schadenersatz für entgangene Sponsorenverträge und Preisgelder sowie
       Schmerzensgeld. Allerdings hatte Pechstein wie alle ihre Kolleginnen und
       Kollegen zu Beginn ihrer Karriere eine Schiedsklausel unterschrieben,
       wonach für alle Streitigkeiten ausschließlich der CAS zuständig ist.
       
       Das Oberlandesgericht (OLG) München ließ im Januar 2015 Pechsteins Klage
       dennoch zu. Sie habe die Schiedsklausel nicht freiwillig unterschrieben,
       diese sei daher unwirksam. Zur Begründung führte das OLG aus: Die ISU habe
       ein Monopol für Eisschnelllauf-Wettbewerbe und habe diese Marktmacht
       rechtsmissbräuchlich ausgenutzt. Der CAS sei nicht wirklich neutral.
       
       ## Über 300 Schiedsrichter
       
       Auf Revision der ISU muss jetzt der BGH über die Zulässigkeit von
       Pechsteins Klage entscheiden. Da aber fast alle Sportverbände ähnliche
       CAS-Klauseln haben, ist die Frage von grundsätzlicher Bedeutung. Zuständig
       ist am Bundesgerichtshof der Kartell-Senat unter BGH-Präsidentin Bettina
       Limperg. Entscheidende Frage ist, ob Athleten durch die alleinige
       Zuständigkeit des CAS benachteiligt werden.
       
       Vor einem CAS-Verfahren wählt der Sportler und der Verband je einen Richter
       aus einer Liste mit über 300 Schiedsrichtern. Die beiden Benannten einigen
       sich dann auf einen Vorsitzenden. Umstritten ist, wie die Liste der
       Schiedsrichter zustande kommt. Hierbei haben die Verbände ein Übergewicht.
       
       Der ISU-Anwalt Reiner Hall sieht darin kein großes Problem. „Es gibt keinen
       natürlichen Interessengegensatz zwischen Verbänden und Athleten“, erklärte
       er. Auch viele Athleten würden sich für scharfe Anti-Doping-Maßnahmen
       starkmachen, dagegen neigten manche Verbände zur Vertuschung. Pechstein
       jedenfalls habe sich „widersprüchlich“ verhalten. „Erst klagt sie beim CAS
       gegen die Sperre, und erst als sie dort verliert, moniert sie dessen
       angeblich fehlende Neutralität.“ Pechsteins Anwalt Gottfried Hammer
       verteidigte diese hingegen als zulässige Prozesstaktik.
       
       ## Pechstein in Bundespolizeiuniform
       
       Unterstützung bekam Pechstein, die in ihrer Bundespolizeiuniform erschien,
       von einem Experten des Bundeskartellamts, der die Schiedsklausel als
       rechtsmissbräuchlich einstufte. „Das Kartellrecht hat nichts
       Grundsätzliches gegen die internationale Sportgerichtsbarkeit“, diese sei
       kompetent, schnell und könne international verbindliche Entscheidungen
       treffen.
       
       Vorschreiben könne ein Verband den exklusiven Gang zum CAS aber nur, wenn
       der CAS wirklich neutral sei. Der BGH könne hier einen „Reformprozess
       auslösen“, sagte Kartellamtsdirektor Jörg Nothdurft. Die existenziellen
       Interessen der Athleten, denen bei Dopingvorwürfen lebenslange Nachteile
       drohten, hätten Vorrang vor den Interessen der Verbände.
       
       Wie der BGH entscheiden wird, war in der Verhandlung noch nicht zu
       erkennen. Sollte er Pechsteins Klage zulassen, müsste diese vor dem OLG
       München nicht nur beweisen, dass sie nicht gedopt hat, sondern auch, dass
       ihr wirklich ein Schaden in dieser Höhe entstanden ist und dass die ISU den
       Schaden hätte vermeiden können.
       
       8 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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