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       # taz.de -- „Das war schon Psychoterror“
       
       > Sachbuch Die querschnittgelähmte Schwimmerin Kirsten Bruhn hat ihre
       > Autobiografie vorgelegt. Bei der Arbeit am Schreibtisch hat sie bemerkt,
       > dass es ihr eigentlich gut geht
       
   IMG Bild: Der Buchmarkt als kaltes Wasser: Kirsten Bruhn beim Triathlon in Hamburg, 2015
       
       Von Tillmann Bauer
       
       Zuerst lief alles wie geplant. Als „Schwimmerin“ und „Paralympics-Siegerin“
       wurde sie vorgestellt. Kirsten Bruhn, Goldmedaillen-Gewinnerin in Athen,
       Peking und London. Diese Bezeichnungen stimmen, auch wenn Bruhn nach den
       Paralympics 2012 in London ihre aktive Karriere beendet hat. Das alles
       kennt sie, hat sie schon tausendmal gehört. Doch nun nennt man sie
       „Buchautorin“. Das ist neu. Bruhn verzieht das Gesicht, darauf folgt ein
       beherztes Lächeln. Als Schriftstellerin sieht sie sich wohl noch nicht.
       Doch damit muss sie sich in Zukunft abfinden. Denn vor Kurzem hat sie ihre
       Autobiografie „Mein Leben und wie ich es zurückgewann“ veröffentlicht
       (Verlag Neues Leben 2016, 12,99 Euro).
       
       Bruhn ist förmlich im Wasser groß geworden. Mit drei Jahren ging es los.
       „Mein Vater sagte: Schwimm, oder du hast ein Problem“, lacht die
       46-Jährige, „also bin ich geschwommen.“ Es folgte Jugendmeisterschaft um
       Jugendmeisterschaft. Eine steile Karriere wurde schon früh prophezeit. Dann
       der Urlaub auf Kos, mit 21 Jahren. Bei einem Motorradausflug fliegt sie aus
       der Kurve, ist seitdem inkomplett querschnittgelähmt. Diesen Wendepunkt
       ihres Lebens beschreibt sie in ihrem Buch detailgenau. „Ich wollte zeigen,
       wie es für mich wirklich war“, sagt sie. Was danach folgte, ist bekannt.
       Bruhn schwamm im Behindertensport weiter, brach sämtliche Rekorde.
       
       Nun darüber ein Buch schreiben, das war die Idee. Aber Bruhn war zuerst
       skeptisch: „Wenn ich im Buchladen bin, sehe ich so viele Biografien von
       wichtigen Leuten. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Welt meine auch noch
       braucht.“ Sie sei keine Wichtige. Wie kam es aber doch dazu? Für viele
       Menschen aus ihrem Umfeld wurde Bruhn zur Motivationsfigur. „Dann
       sprachen mich immer mehr Menschen darauf an, doch ein Buch zu schreiben“,
       sagt sie. Dennoch blieb sie skeptisch. Den Ausschlag gab letztendlich Jörg
       Lühn, ein Journalist aus Bruhns Heimat, der gleichzeitig für sie zu einem
       langjährigen Freund geworden ist. Er wollte schon immer ein Buch schreiben
       und schlug ihr vor, das doch über sie zu machen. Bruhn war überzeugt.
       
       Doch das Schreiben selbst war für sie nicht immer leicht. Besonders wenn es
       um ihren Unfall ging. Aber die Zeit in der Klinik danach hat sie geprägt.
       Sie hat gemerkt, wie gut sie es eigentlich hat. „Ich habe Bilanz gezogen,
       was ist wirklich wichtig in meinem Leben?“, erklärt sie und zählt auf: Sie
       ist am Leben, sie kann klar denken. Sie kann sogar auf beiden Beinen
       aufrecht stehen und sich mit jemandem auf Augenhöhe unterhalten. „Ich war
       sozusagen die Einäugige unter den Blinden“, so Bruhn. Ihr geht es
       vergleichsweise gut, daraus hat sie neue Kraft geschöpft. „Dann muss man
       die Arschbacken zusammenkneifen und auf Reset drücken, ich kann noch so
       viel machen.“ Dennoch, das Erlebte aufzuschreiben war nicht leicht: „Ganz
       alleine zu Hause am Schreibtisch zu sitzen und alles im Kopf noch einmal
       durchzugehen – das war schon Psychoterror“, sagt sie. Dann schaut sie ein
       paar Sekunden in die Leere, fängt kurz darauf an zu grinsen und sagt: „Das
       brauche ich nicht noch mal. Also es gibt definitiv keine zweite Biografie.“
       
       Dafür aber eine andere große Herausforderung. Bruhn ist erstmals
       TV-Expertin bei den Paralympics für die ARD. Für sie eine neue Perspektive
       – möchte man dann nicht doch lieber ins Wasser, statt nur am Beckenrand zu
       stehen? „Ich habe ganz gut damit abgeschlossen“, lacht sie, „und wenn ich
       ehrlich bin, habe ich auch nicht mehr das Niveau wie vor ein paar Jahren.“
       
       Also volle Konzentration auf den Fernsehjob. „Ich hoffe, dass ich den
       Zuschauern mit kurzen, knappen Erklärungen den Sport näherbringen kann.“
       Dann wird sie wahrscheinlich als „TV-Expertin“ vorgestellt. Das wird für
       sie anfangs sicher komisch klingen. An „Autorin“ hat Kirsten Bruhn sich
       dann aber sicher schon gewöhnt.
       
       11 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tillmann Bauer
       
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