# taz.de -- Massenprotest in Frankreich: Arbeitgeber bekommen Gegenwind
> Hunderttausende haben gegen die geplante Reform des Arbeitsrechts
> demonstriert. Die Jugend fürchtet um ihre Zukunft, die Regierung um ihre
> Mehrheit.
IMG Bild: Werden von der Regierung zum Dialog aufgefordert: Demonstranten in Nantes.
Paris taz | In rund 200 Städten Frankreichs haben am Mittwoch zwischen
250.000 und 500.000 Menschen, unter ihnen viele SchülerInnen und
StudentInnen, gegen eine Liberalisierung des Arbeitsrechts demonstriert,
gleichzeitig streikte das Bahnpersonal.
Wie in anderen Universitäten hatten die Studierenden von Nanterre im Westen
von Paris mit Büromöbeln und Baumaterial Barrikaden errichtet. Derartiges
hatte man dort nicht mehr gesehen seit dem Mai 68, als am selben Ort die
Studentenrevolte ausbrach. Wie immer, wenn die Jugend auf die Straße geht,
muss dies ein Alarmzeichnen für die Regierung in Paris sein.
Anlass der Protestaktion der Hochschuljugend ist eine Revision des
französischen Arbeitsrechts. Die von den wirtschaftsliberalen Forderungen
des Arbeitsgeberverbands Medef inspirierte Reform soll offiziell Frankreich
erlauben, der internationalen Konkurrenz besser standzuhalten.
Nach dem Motto, wer einfacher entlassen kann, wird auch schneller wieder
Leute anstellen, sollen der Kündigungsschutz gelockert oder die Bezahlung
von Überstunden gesenkt werden. Die Studierenden von Nanterre sehen darin
nur eine zusätzliche Verschlechterung ihrer beruflichen Zukunftsaussichten.
Sie sind nicht die Einzigen.
## Mehr „Flexibilität in den Unternehmen“
Für die großen Gewerkschaftsverbände CGT und FO kuscht die Regierung vor
dem Medef. Die Linke und die Grünen lehnen die Vorlage ebenfalls
kategorisch ab. Bei den Sozialisten ist die Malaise spürbar. Wegen der
umstrittenen Reform der Arbeitsministerin Myriam El Khomri geht die
Trennlinie quer durch die Partei von Präsident François Hollande, der sich
in dieser Kontroverse seltsam bedeckt hält. Dieser meinte zu den Protesten
bloß, um das französische Sozialmodell zu verteidigen, bedürfe es einer
Anpassung. Er forderte seinen Premierminister Manuel Valls auf, den Dialog
mit den Gewerkschaften und der Jugend fortzusetzen.
Für mehr „Flexibilität in den Unternehmen“ sind vor allem die Vertreter
einer „modernen Sozialdemokratie“: Premier Valls und der emblematische
junge Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Dieser macht keinen Hehl daraus,
dass er im Stil eines Tony Blair oder Gerhard Schröder aus pragmatischen
Überlegungen ideologischen Ballast abwerfen und definitiv mit den
Traditionen aus der Zeit des „Programme Commun“ (Linksunion der Sozialisten
mit den Kommunisten) des letzten Jahrhunderts brechen möchte.
Dafür erhält Macron vor allem Applaus aus der politischen Mitte. Von links
erntet er dagegen scharfe Kritik. Integrationsfigur der parteiinternen
Opposition ist nicht zufällig die frühere Parteichefin und
Arbeitsministerin Martine Aubry geworden. Sie gilt in Frankreich als
„Mutter der 35-Stunden-Woche“. Es verwundert nicht, dass sie ihr
sozialpolitisches „Kind“ heute gegen die Angriffe der „Sozialliberalen“ aus
den eigenen Reihen verteidigt. Sie kann sich dabei nicht nur auf eine
wachsende Unterstützung in der Partei stützen, sondern auch auf die Grünen
und die restliche Linke. Eine Internetpetition gegen die „Loi El Khomri“
ist inzwischen von mehr als einer Million Leute unterzeichnet worden.
Für Hollande und Valls wird die Arbeitsrechtsreform zu einem Test, bei dem
es um ihre Mehrheit und um ihre Autorität geht. Sie hätten wissen müssen,
wie schwer es ist, Frankreich zu modernisieren, wenn es um „heilige Kühe“
der sozialen Errungenschaften des Arbeitsrechts geht. Es ist unsicher, ob
sie diese Vorlage im Parlament durchbringen. Die Vertrauensabstimmung auf
der Straße haben sie bereits verloren. Die Schüler und Studenten wollen
weiter protestieren.
10 Mar 2016
## AUTOREN
DIR Rudolf Balmer
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